Steinmeier-TV-Porträt Kurnaz an den Hacken

Er darf vor den Kameras mit Frau Elke durchs Havelland wandeln, wird aber auch mit dem Fall Kurnaz konfrontiert: Das ARD-Porträt von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ist nicht nur nett.

"Als Mutter möchte man den Kindern ja so viel wie möglich ersparen", sagt die Mutter und schaut dabei sehr besorgt. Es gibt zurzeit aber auch wenig Grund zur Freude. Weder für sie noch für ihren ältesten Sohn, von dem es gleich zu Beginn der Dokumentation heißt: "Frank-Walter Steinmeier braucht dringend ein Lifting. Wegen der Umfragewerte. Irgendwie kommt er nicht so richtig rüber."

Fünfundvierzig Minuten widmet die ARD an diesem Donnerstag dem Herausforderer im Kampf ums Kanzleramt. "Der Herausforder" heißt denn auch das Porträt von Tom Ockers und Hans-Jürgen Börner, die ihn ein Jahr lang begleitet haben, mit dem Ziel zu zeigen: Wer ist dieser Mann, wo liegen seine Wurzeln, was hat ihn geprägt? Überraschend neue Einsichten erfährt man nicht unbedingt, dafür wurde im letzten halben Jahr vielleicht einfach zu viel gesendet und gedruckt.

Fünfundvierzig Minuten also, in denen gefühlte 92 Personen auftreten, die in gefühlten 142 kurzen Interviewschnipseln, die selten handgestoppte zwölf Sekunden Länge überschreiten, vom Wirken und Werden des Kandidaten Zeugnis ablegen. Man ahnt unter welcher Materialflut die Autoren am Ende offenbar gelitten haben.

Mit Elke durchs Havelland

Und man kommt wirklich rum mit diesem Film: Damaskus, Willy-Brandt-Haus, Brakelsiek. Im Auto, im Flugzeug, im Fahrstuhl - und da sind erst drei Minuten um. Schnelle Schnitte, rasante Fahrten, dräuende Musik - echtes Polit-Actionkino. Auch personell herrscht mächtiges Gedränge: Steinmeiers Eltern, der Bruder, Ehefrau Elke, Kommilitonen, Mitstreiter, der alte Professor, Müntefering, Nahles, der Biograf, der Publizist, Freund und Feind - und natürlich Schröder.

"Die versuchen ihn sozusagen zu nem Abklatsch von mir zu machen. Das ist ganz falsch", sagt der Altkanzler. "Der ist schon das Original. Und der braucht auch keine Anleihen bei mir. Der kann das selber."

Ein "Kümmerer" wird vorgestellt, kein geborener Volkstribun, doch einer, der was kann. Natürlich darf auch ausgiebig gemenschelt werden. Darf Ehefrau Elke Büdenbender von seinem Lachen schwärmen, spazieren beide durchs leuchtend grüne Havelland, zeigen verstaubte VHS-Sequenzen den liebevollen Hüter kleiner Nachbarskinder.

Nowaks Stänkereien

Und doch geht der Film hart ins Gericht mit dem Kandidaten. Ziemlich hart. Immer wieder taucht das maliziöse Lächeln Wolfgang Nowaks auf, des ehemaligen Chefs des Planungsstabes im Kanzleramt, dessen Abteilung Steinmeier nach einer Legislatur auflösen ließ, was dieser ihm bis heute nicht verwunden hat. Als Kritiker macht ihn das nicht zwangsläufig zum Verdächtigen, aber zur Einordnung des Zeugen wäre es ganz hilfreich gewesen, das zu wissen. Etwa wenn Zeuge Nowak nölt: "Er ist immer etwas geworden durch ein Hinterzimmer, durch ein paar Strippen, die gezogen wurden - er hat nie für etwas gekämpft." Oder wenn Zeuge Nowak stänkert, dass Steinmeier nicht mal in Brakelsiek antritt, sondern sich einen Wahlkreis in Brandenburg zuschustern ließ.

Bis zur Minute 35 läuft dennoch alles weitgehend glatt für den Herausforderer. Dann wird es ungemütlich, bekommt der Film eine Wendung. Denn nach 35 Minuten taucht ein Mann auf, der Steinmeier wohl bis ins Grab verfolgen wird; ein Mann, der ihn in einem Untersuchungsausschuss in Bedrängnis brachte; der früher einen langen Bart trug - damals als er zurückkehrte aus Guantanamo: Murat Kurnaz.

Der Fall Kurnaz

"Ich habe wegen Frank-Walter Steinmeier mindestens vier Jahre unschuldig in Guantanamo gesessen", sagt Kurnaz. "Und er hat die Möglichkeit gehabt, mich da rauszuholen." Dann erzählt er vom Waterbording, womit er im Lager gequält worden sei. Und davon, dass ihn irgendwann selbst die Leute von FBI und CIA für unschuldig hielten: "Nur Frank-Walter Steinmeier nicht."

Schnitt auf Steinmeier, der unter den damaligen Umständen alles richtig gemacht haben will. "Daneben bedauere ich, dass Herr Kurnaz über viele Jahre in Guantanamo gesessen hat."

Schnitt. Kurnaz, der sagt, wenn Steinmeier seine "Arroganz" ablegen, den Fehler eingestehen und sich entschuldigen würde, "wäre die Sache für mich auch geklärt."

Doch Steinmeier lehnt ein Gespräch ab. Er habe "keinen persönlichen Streit mit Herrn Kurnaz". Und: "Ich hätte ihm im persönlichen Gespräch auch kaum anderes zu sagen."

Vier, fast fünf Minuten lang widmet sich das Porträt dem Fall Kurnaz. Über vier Minuten einer Dreiviertelstunde sind eine Ewigkeit. Vier Minuten, so kurz vorm Ende des Films, sind der bleibende Eindruck.

Nein, "Der Herausforderer" ist kein nettes Wahlkampffilmchen über Aufzucht und Pflege des Kandidaten. Und vielleicht hätte Ursula Steinmeier ihrem Sohn auch das lieber erspart.

"Der Hausforderer": Frank-Walter Steinmeier im Porträt, Donnerstag, 3. September, 21.45 Uhr in der ARD.