Irgendwie war es zwingend geboten, dass Stephan Steinlein nun ein zweites Mal Botschafter in Paris wird. Dass er damit – mindestens in der Nachkriegshistorie – der einzige deutsche Botschafter ist, der auf demselben Posten gleich zwei Staaten vertreten hat. Steinlein hat dort noch etwas zu erledigen: Einmal muss es ihm schließlich gelingen, sein Beglaubigungsschreiben im Élysée Palast vorbeizubringen.
Beim ersten Mal hat er genau das nicht geschafft. Dieses erste Mal liegt 33 Jahre zurück. Nach sechs Wochen wurde er damals schon wieder abberufen. Er hatte nichts falsch gemacht. Nur das Land, das ihn entsandt hatte, die DDR, ging da gerade im vereinten Deutschland auf. Und alle seine Botschaften unter.
Er war 29 und galt als unbelastet
Es war Steinleins erste Zeitenwende. Geschichte passierte nicht einfach, sie wurde gemacht. Markus Meckel, eben noch zauselbärtiger Pfarrer der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung, plötzlich Außenminister der ersten und letzten freigewählten DDR-Regierung, hatte dringend unverdächtige Leute gesucht – und den damals 29-jährigen Steinlein gefunden. Der konnte weder politische noch außenpolitische Erfahrung vorweisen, aber er erfüllte immerhin zwei Kriterien: Er lernte seit vier Jahren Französisch und galt als unbelastet.
Der Sohn des evangelischen Superintendenten im brandenburgischen Nauen war nicht in der FDJ und darum nur über den Umweg einer Berufsausbildung im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf zum Abitur gekommen. Erst danach konnte er in Ost-Berlin am Sprachenkonvikt Theologie studieren – wo auch Neu-Außenminister Meckel einst studiert hatte. Eins kam zum anderen.
Frankreich kannte er nur aus Louis de Funès-Filmen
Alles, was er bis dahin über Frankreich wusste, hat Steinlein mal erzählt, habe er in Louis de Funès-Filmen gelernt, die auch im DDR-Fernsehen gezeigt wurden. Nein! Doch! Ooaahr! Er war nie mit der Ente durch die Provence gefahren, geschweige denn im Taxi nach Paris – aber die Hälfte des Wegs dorthin hatte er in den Vorwende-Wirrungen geschafft. Schon den Mauerfall erlebte Steinlein in Frankreich, im Elsass. Im August 1989 hatte er als Promotionsstipendiat nach Straßburg reisen dürfen. Es änderte alles. Hier lernte er seine spätere Frau François kennen. Drei ihrer vier Kinder sollten später in Frankreich studieren, zusammen würden sie fast jede Sommerferien in Frankreich verbringen. Das Land, sagt er heute, sei seine zweite Heimat geworden.
Auch wenn das erste Paris-Abenteuer nur jene sechs Wochen dauerte, Steinlein war auf den Geschmack gekommen. Er gehörte zu den ersten Ostdeutschen, die 1991 an der Akademie des Auswärtige Amtes zu Attachés ausgebildet wurden.
Wo Steinmeier auftaucht, ist Steinlein nicht weit
Nun, mit 62 Jahren, heißt es wieder: Paris! Als die Ernennung bekannt wurde, hatten manche womöglich kurz einen irren Gedanken im Kopf: Moment mal, wird Frank-Walter Steinmeier jetzt etwa Präsident in Frankreich? Denn seit mehr als zwei Jahrzehnten lief es eigentlich immer so: Wo Steinmeier auftaucht, ist Steinlein nicht weit. Er hat im Windschatten des heutigen Bundespräsidenten eine steile Karriere hingelegt. Diese "Stones" sind eine äußerst erfolgreiche politische Band.
Steinlein hatte gerade drei Jahre an der Botschaft in Warschau hinter sich, als ihn der damalige Kanzleramtschef Steinmeier als Pressereferent und Büroleiter nach Berlin holte. Er folgt dem Außenminister Steinmeier ins Auswärtige Amt als Chef des Leitungsstabes. Er blieb an seiner Seite, nachdem der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier eine Legislaturperiode als Oppositionschef im Bundestag überwinterte. Er kehrte mit Steinmeier ins Auswärtige Amt zurück, diesmal als sein Staatssekretär. Und als Steinmeier schließlich ins Schloss Bellevue wechselte, folgte ihm Steinlein als Chef des Bundespräsidialamtes.
Seine zweite und dritte Zeitenwende
In die SPD ist Steinlein trotzdem erst eingetreten als die meisten gingen – nach der Agenda 2010. Noch so eine Zeitenwende. Im letzten Jahr erlebte er seine dritte. Steinmeiers Russland-Politik, die Idee vom "Wandel durch Verflechtung", war eben immer auch die seine. So wie der deutsch-französische Versuch, Russland im Normandie-Format von weiteren Ukraine-Abenteuern abzuhalten. Heute gibt Steinlein unumwunden zu, dass diese Politik gescheitert ist. Damals sei sie jedoch richtig gewesen, nur so hätte die Ukraine die Zeit gewonnen, um sich heute gegen Putins Angriff zu wehren.
Im letzten Jahr hat Steinlein das Präsidialamt verlassen, er ist zurückgekehrt in sein AA für einen letzten Turn im Ausland, die Rückkehr nach Paris, diesmal ins feine Palais Beauharnais, der Residenz des bundesdeutschen Botschafters. Keine leichte Aufgabe in diesen Tagen, die Herzen beider Länder schlagen gerade im völlig anderen Takt. "Gemeinsam bauen wir an einem starken Europa, das an seine Zukunft glaubt", sagt Steinlein dennoch unverdrossen. Ganz Diplomat. Gelernt ist gelernt.
Sind die Stones jetzt für immer getrennt? Nein, schon Ende August gibt es ein Wiedersehen. Sein alter Chef kommt zum Arbeitsbesuch nach Paris.