Die Dauerrivalität der beiden großen Flugzeugbauer hat 2019 Airbus eindeutig für sich entschieden. Aufgrund des weltweiten Startverbots der Boeing 737 Max haben die Europäer bei der Zahl der ausgelieferten Flugzeuge dem US-Konzern den Titel als weltgrößter Flugzeugbauer abgejagt. Das gelang dem europäischen Konsortium zum letzten Mal im Jahre 2011.
Nach Angaben von Airbus konnten im vergangenen Jahr 863 Verkehrsflugzeuge an Airlines ausgeliefert werden – ein Rekord. Auf den Werksflughäfen der Boeing-Werke konnten nur 380 Jets in Richtung Kunde starten. Ursprünglich hatte das Unternehmen mit Sitz in Chicago 900 Maschinen angepeilt. Aber nach den Konsequenzen der zwei tödlichen 737-Max-Abstürze wurden vom meistgefragten Boeing-Modell im ersten Quartal nur noch 127 Stück an Fluglinien übergeben.

Seit Ende März werden im Werk Renton alle 737 Max auf Halde produziert: Ungefähr 400 fabrikneue Jets stehen auf diversen Mitarbeiter-Parkplätzen bei Boeing und auf kleinen Regionalflughäfen im amerikanischen Westen herum. Sie warten auf ein Ende des Flugverbots.
Airbus hängt Boeing auch bei Bestellungen ab
Von den Konkurrenzmodellen der A320-Baureihe lieferten dagegen die vier Endmontage-Werke von Airbus in Toulouse, Hamburg-Finkenwerder, Tianjin und Mobile im US-Bundesstaat Alabama 642 Exemplare aus, darunter 551 vom Typ A320 neo, dem Konkurrenz-Modell mit spritsparenden Triebwerken neuster Generation.
Bei den Bestellungen 2019 hat Airbus ebenfalls das Rennen für sich entschieden. Im abgelaufenen Jahr konnte Airbus Aufträge über 768 Jets verbuchen, 21 mehr als im Jahr 2018. Ganz anders sieht die Bilanz bei Boeing aus: Der US-Luftfahrtriese verzeichnete durch das 737-Max-Debakel mehr Stornierungen als neue Aufträge. Unterm Strich beträgt der Auftragsbestand im Vergleich zum Jahresanfang 2019 minus 84 Bestellungen.
Boeings Leid ist Airbus Freud?
Die hausgemachte Krise bei Boeing ist kein Grund zur Freude bei Airbus. Dass reihenweise Airlines ihre Großbestellungen für die 737 Max stornieren und zu Konkurrenz überlaufen, passierte bisher nicht. Wer heute bei Airbus Jets der A320-Familie bestellt, muss mit einem Lieferzeitraum in erst mindestens fünf Jahren rechnen.

Alle Airlines planen ihre Jet-Einkäufe langfristig, und Billigflieger wie Southwest, Easyjet oder Ryanair setzen auf Flotten, die aus Kostengründen aus nur einem Flugzeugtyp bestehen. Ein Wechsel auf einen anderen Hersteller wird daher kaum in Erwägung gezogen.
So sehr die Airbus-Zahlen des Jahres 2019 glänzen, das geplante Lieferziel von 890 Maschinen mussten die Europäer ebefalls revidieren. Denn Engpässe bei der Kabinenausstattung für den A321 neo und den Motoren-Lieferanten führten zu Verzögerungen. Mit den beiden neuen Triebwerken der Firmen Pratt&Whitney und CFM, einem Konsortium von General Electric und Safran SA in Frankreich, gibt es Probleme. Letztere bauen auch die Leap-Triebwerke für die 737 Max. Durch den Produktionsstopp der 737 Max dürfte jetzt mehr Kapazität für die Airbus-Antriebe frei werden.
Ohne diese Schwierigkeiten hätte Airbus vergangenes Jahr noch mehr Jets ausliefern können. Der Druck auf die Fertigung in den Werken ist groß. Airbus möchte die Taktzahl erhöhen und plant ab 2021 eine A320-Fertigung von 63 Flugzeugen pro Monat. Als richtige Entscheidung hat sich die Investition in den neuen Standort in den USA erwiesen, wo pro Monat fünf Mittelstreckenjets die Hangars verlassen. Das Werk in Mobile, Alabama, ist auch ein wichtiges Argument, um drohende Strafzölle der US-Regierung zu vermeiden.
Als viel gravierender dürfte sich für Airbus die Max-Krise auf die Zulassung neuer Modelle auswirken. Denn die Zertifizierung von Flugzeugen wird hinterfragt. Bisher war es übliche Praxis, dass die Behörde des Landes, in dem das Flugzeug hergestellt wird, das neue Modell prüft und freigibt. Anschließend wird deren Entscheidung von anderen Ländern übernommen.

Längere Zertifizierung neuer Flugzeuge
Doch das Beispiel 737 Max hat gezeigt, dass die Bundesluftfahrtbehörde FAA den Prozess zu sehr auf Boeing-Mitarbeiter verlagert hatte. Daher wird die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) die 737 Max genauer unter die Lupe nehmen. Umgekehrt könnten die Amerikaner neue Modelle von Airbus einer separaten Prüfung unterziehen, was die Zulassung der A321 neo XLR verzögern könnte.
Dieses aus dem A321 neo weiterentwickelte Flugzeug kann nicht nur Kurz- und Mittelstrecken, sondern auch Transatlantikflüge mit einer erhöhten Reichweite von 8700 Kilometern zurücklegen. Boeing hat nichts Vergleichbares in dieser Klasse zu bieten. Daher entwickelt sich der kleine Langstreckenflieger zum Verkaufsschlager, der ab 2023 an die Airlines ausgeliefert werden soll. Doch jetzt könnte sich die Markteinführung nach hinten verschieben.
Noch ein weiteres Problem könnte auf Airbus durch die Boeing-Krise zukommen. Der Produktionstopp der 737 Max bringt Zulieferer in Schwierigkeiten. So hat jüngst Spirit AeroSystems angekündigt, 2800 Mitarbeiter zu kündigen. Sollten durch eine längere Produktionsunterbrechung sogar hochspezialisierte Firmen Pleite gehen, fehlen diese Komponenten auch für den Einbau in Airbus-Flugzeuge.
"18 Milliarden Dollar an Ausfällen pro Jahr"
Längst sind nicht nur die Flugzeugbauer betroffen. Bei den Fluglinien fehlt die Kapazität von den bisher 387 ausgelieferten 737 Max, die seit zehn Monaten am Boden bleiben müssen. Nur ein Teil von ihnen kann durch angemietete Jets ersetzt werden. So gibt Southwest Airlines an, dass täglich 175 Flüge ausfallen.
Fachleute schätzen, dass "allein dem US-Billigflieger aufgrund der FAA-Groundings täglich etwa vier Millionen Dollar an Einnahmen entgehen, jährlich also über 1,4 Milliarden Dollar." Weiter heißt es in einer Veröffentlichung auf airliners.de: "Extrapoliert man diese Werte auf die Gesamtpopulation von 387 Boeing 737 Max, die bislang in Dienst gestellt waren, ergibt dies rund 50 Millionen Dollar täglich und über 18 Milliarden Dollar an Ausfällen pro Jahr."
Nachfolger für den A320 neo
Zu den enormen Umsatzverlusten addiert sich die fehlende Wachstumskapazität der mehr als 400 nicht ausgelieferten Maschinen. Die erfolgsverwöhnte irische Ryanair, die allein 135 Exemplare der 737 Max bestellt hat, trat auf die Bremse und schloss ihre Basen in Hamburg, Nürnberg und Stockholm – angeblich auch wegen der fehlenden neuen Jets.
Die viel kleinere Icelandair hatte wegen geparkter und nicht gelieferten 737 Max bereits im vorigen Sommer 45 Piloten entlassen müssen. Die Beispiele lassen sich unendlich fortsetzen, wie sich das weltweite Grounding der Boeing 737 Max auf die Branche negativ auswirkt.
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Eines steht jetzt schon fest: Die 737 geht auf Entwürfe der 60er Jahre, ihr Rumpf sogar auf die frühen 50er Jahre der Boeing 707 zurück. Das Flugzeug lässt sich nicht weiter verlängern und verjüngen. Der Produktionszyklus des bislang noch meistgebauten Passagierjets neigt sich dem Ende entgegen. Der US-Flugzeugerbauer hat es versäumt, seine Ressourcen in die Entwicklung eines neuen "Schmalrumpfflugzeuges" zu investieren.
Auch mit dem Titel "meistproduzierter Passagierjet" wird sich Boeing nicht mehr lange schmücken können, der wandert bald von Seattle nach Toulouse: Seit den jüngsten Bestellungen auf der Dubai Air Show im November 2019 hat Airbus mehr Gesamtbestellungen im Orderbuch für die A320-Familie als Boeing: 15.915 Exemplare im Vergleich zu 15.156 für die Boeing 737 (Stand: Dezember 2019), die schon seit 1967 in unterschiedlichen Varianten produziert wird.
Und in Toulouse und Hamburg denkt bereits über einen Nachfolger für den Airbus A320 neo nach.
Quellen: www.boeing.com und www.airbus.com
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