Die Bezeichnung für die Boeing 737 Max als "Problemflieger" gilt noch als harmlose Umschreibung. Das neueste Kurz- und Mittelstreckenflugzeug von Boeing bezeichnen die Medien nach zwei Abstürzen, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben kamen, auch als "Todesmaschine".
Erst stürzte Ende Oktober 2018 eine vollbesetzte 737 Max der indonesischen Lion Air kurz nach dem Start vor der Küste von Java ins Meer. Am 10. März 2019 stürzte eine ebenfalls neue Maschine diesen Typs von Ethiopian Airlines mit der Flugnummer ET 302 auf dem Weg von Addis Abeba nach Nairobi in Äthiopien ab.
Nur wenige Stunden später verhängte die chinesische Luftfahrtbehörde CAAC als erste der Welt ein Startverbot für die Boeing 737 Max. Am 12. März folgten die Behörden unter anderem in Australien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und die Europäer.
Erst einen Tag später konnte sich durch den internationalen Druck auch die Federal Aviation Administration in den USA zu einem weltweiten Flugverbot für die Boeing 737 Max 8 und Max 9 durchringen. Zu dem Zeitpunkt waren bereits 387 Flugzeuge ausgeliefert, in Europa unter anderem an Icelandair, Turkish Airlines und Tuifly Belgium.
Das Gegenteil von Transparenz
Seit diesem Frühjahr werden nach dem 22 Monate dauernden Flugverbot und weiteren Software-Modifikationen die ersten von Hunderten auf Halde produzierten Jets an Airlines ausgeliefert. Das erste Exemplar von 210 festbestellten Flugzeugen für den irischen Billigflieger traf am Donnerstag in Dublin ein.
Der Großkunde Ryanair gehört zu den wenigen Fluggesellschaften, die in der Zwischenzeit ihre Bestellungen für die 737 Max nicht storniert oder reduziert haben, sondern nach dem Flugverbot sogar noch aufgestockt haben. Doch Ryanair nennt das Flugzeug nicht beim Namen, vermeidet den Begriff Boeing 737 Max, sondern bezeichnet es laut einer Pressemitteilung "Gamechanger" oder technisch kurz "Boeing 737-8200".
Dabei handelt es sich um das Problemflugzeug mit dem einzigen Unterschied, dass die Jets für Ryanair und die Tochterfirma Malta Air einen weiteren Notausstieg zwischen Tragfläche und Hecktür haben. Das ist auch erforderlich, weil der Billigflieger noch mehr Passagiere in die Kabine presst: Statt mit 189 in der derzeitigen 737-Flotte ist die Max-Version mit 197 Sitzplätzen ausgestattet.
Der neue Flugzeugtyp ist vor allem für die Airline ein "Gamechanger", weil die Jets "helfen, die Kosten zu senken, den Treibstoffverbrauch zu reduzieren und die Lärm- und CO2-Emissionen zu senken", heißt es in der Pressemitteilung. So kann der Billigflieger noch billigere Tickets anbieten.
Aber seine Passagiere verkauft Ryanair für dumm, indem sie den umstrittenen Flugzeugtyp, der von manchen Passagieren bewusst gemieden wird ("Ich steige nie in eine Boeing 737 Max"), einfach umbenennt und bei der Flugauswahl auf der Buchungsseite den genauen Namen nicht angibt. Noch bleibt in diesem Sommer bei einer Flotte von 450 Jets der Anteil der zwölf Flugzeuge vom Typ 737 Max gering.
Die fast endlosen Probleme mit der Boeing 737 Max
Die Treibstoffersparnis basiert auf der neuen Triebwerksgeneration, mit der die Boeing 737 Max ausgestattet wurde – und damit begannen die Probleme. Weil es sich bei dem "neuen" Flugzeug um eine Weiterentwicklung der seit 1967 gebauten Boeing 737 handelt, konnten die im Durchmesser viel größeren LEAP-Triebwerke nicht wie die Vorgängergeneration einfach unter der Tragfläche befestigt werden, sondern weiter vorne und höher. Dadurch verlagerten sich Schwerpunkt und Flugeigenschaften der Maschine.
Um kritische Flugsituationen zu vermeiden, führte Boeing das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) ein, ein automatisches Trimmsystem, mit dem die Piloten nicht vertraut gemacht wurden. Die Fehlfunktion dieser Software gilt auch als Absturzursache der Unglücke in Indonesien und Äthiopien: Das Steuerungsprogramm hatte die beiden Maschinen Richtung Boden gelenkt, ohne dass die Crew wirksam eingreifen konnte.
"Im Fall der Boeing 737 Max begann die Kette mit Entscheidungen, die Jahre zuvor gemacht worden waren, um ein halbes Jahrhundert altes Design zu aktualisieren", hatte der bekannte Kapitän "Sully" Sullenberger bei einer Anhörung vor dem US-Kongress erklärt. Boeing stand bei der Entwicklung der 737 Max unter enormen Zeitdruck, weil sich die Flugzeuge der A320neo-Baureihe als Verkaufsschlager erwiesen.
Sicherheits-Reset für Boeing gefordert
Der im September 2020 vorgelegte Abschlussbericht des US-Repräsentantenhauses zum Boeing-Desaster geht nicht nur mit dem Flugzeugbauer, sondern auch mit der US-Flugaufsicht FAA hart ins Gericht. Zu sehr habe die US-Luftfahrtbehörde die Abnahme des neuen Flugzeugtyps auf Boeing-Mitarbeiter verlagert. Auch wird in dem Papier auf die sich wandelnde Firmenkultur im Hause Boeing hingewiesen, in der immer weniger die Ingenieure das Sagen haben.
Seit der Jahrtausendwende werde das Unternehmen zu sehr auf Profit getrimmt – auf Kosten der Sicherheit. Interne Bedenken von Mitarbeitern wurden vom Management immer wieder vom Tisch gewischt. In dem Kapitel "Final Observations" wird Keith Leverkuhn, der ehemalige Leiter des Boeing 737 Max Programms, mit den Worten zitiert, dass die "Entwicklung (der 737 Max) ein Fehler war."

Damit die strafrechtlichen Ermittlungen des US-Justizministerium eingestellt wurden, stimmte Boeing dem Vergleich von einer Zahlung in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar zu. Neben dem Imageverlust für den Flugzeugbauer kommen noch Entschädigung für die Opfer, Kompensationszahlungen an die Fluglinien für das Flugverbot und die Kosten für die technischen Umrüstungen hinzu, die von Fachleuten auf mindestens 15 Milliarden Dollar geschätzt werden.
Die Neuzulassung der Boeing 737 Max wurde an mehrere Hard- und Software-Verbesserungen geknüpft, sowie an zusätzliche Schulungen für die Piloten. Zuvor hatte Boeing zwei Stunden am iPad empfohlen.
In China wird die Boeing 737 Max zum Politikum
Das mehr als 200 Seiten umfassende Schriftstück mit dem Titel "Final Committee Report: The Design, Development and Certification of the Boeing 737 Max" dürfte Ryanair-Chef Michael Kevin O’Leary nicht bis zu Ende gelesen haben. Dort heißt es: "Wenn die Untersuchung des Ausschusses eine Lektion für Boeing erteilt hat, ist es die Tatsache, dass eine Namensänderung oder PR-Bemühung nicht die kulturellen Probleme anspricht, die die Sicherheit der 737 Max beeinträchtigten und letztlich zu den beiden fatalen Abstürzen und den Tod von 346 Menschen führten."
Noch nicht überall hat die Boeing 737 Max die Wiederzulassung erhalten. Die Exemplare von China Southern und Xiamen Airlines stehen immer noch am Boden. "Sofern die Welt nicht wieder volles Vertrauen in die 737 Max gewinnt, wird China eine Wiederaufnahme dieser Flüge wahrscheinlich nie genehmigen", sagte der Regierungsberater Shi Yinyong der "South China Morning Post" Anfang Mai.
Die chinesische Luftfahrtbehörde hält am Flugverbot fest. So bleibt der riesige Luftfahrtmarkt China weiterhin eine No-Fly-Zone für die Boeing 737 Max.
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