Florian Kohfeldt war zufrieden mit dem, was er von seiner Mannschaft im Spiel gegen RB Leipzig gesehen hatte. Kaugummi kauend klatschte er seine Spieler engagiert ab. Immerhin: Es stand null zu null, seine Mannschaft hatte eine gute Leistung gezeigt. "Wir haben in den ersten 25 Minuten den Ballbesitz gut kontrolliert und zwei sehr große Chancen gehabt", sagte Kohfeldt später. Er sprach davon, dass er "Schritte nach vorne" gesehen habe, "was Haltung und Inhalte angeht".
Das Problem war nur: Als Kohfeldt seine Profis abklatschte, waren erst 45 Minuten im Leipziger Stadion gespielt und die Mannschaft auf dem Weg in die Halbzeitpause. Kohfeldt lag zwar richtig mit seiner Analyse. Eine zeitlang spielten die Wolfsburger gut, bissig und mit Einsatz. Doch das funktionierte nur bis zur 76. Minute, dann gelang Leipzig der Führungstreffer. Wenig später kassierten die Wölfe den zweiten Treffer, das Spiel ging mit 0:2 verloren.
Für Florian Kohfeldt wäre Scheitern ein Total-Absturz
Es war die neunte Niederlage in den vergangenen elf Spielen inklusive Pokal. In der Bundesliga holte Wolfsburg aus neun Partien kümmerliche zwei Punkte und wurde auf den 15. Tabellenplatz durchgereicht, zwei Punkte vor dem Relegationsplatz. Der Verein durchlebt eine seiner schwersten Krise überhaupt. Dabei sollte mit Kohfeldt alles besser werden. Nach dem neunten Spieltag übernahm er die Mannschaft als Nachfolger des krachend gescheiterten Mark van Bommel auf dem neunten Tabellenplatz. Aber nach einigen Anfangserfolgen schlug die Krise wieder voll durch. Der vermeintliche Retter Kohfeldt bekommt die Probleme nicht in den Griff.
Für ihn, den einst gefeierten Jungstar unter den deutschen Trainern, ist es zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere eine brisante Situation. Es droht der Total-Absturz.
Mit gerade mal 35 Jahren war er im Oktober 2017 von Werder Bremen zum Cheftrainer befördert worden. Der mit zahlreichen Vorschusslorbeeren versehene Neuling lieferte. Kohfeldt führte das kriselnde Team am Ende der Saison auf den elften Tabellenrang. In der nächsten Spielzeit wurde Bremen unter seiner Regie sogar Achter, die beste Platzierung seit Jahren für die Bremer. Er wurde zum DFB-Trainer der Jahres gewählt. Der eloquente Coach war Liebling der Medien, ein Shootingstar wie er im Buche steht. In Bremen träumten sie von einer neuen, großen Trainer-Ära wie einst unter Otto Rehhagel und Thomas Schaaf. Auch das Wort Europa League nahmen sie an der Weser wieder in den Mund. Die Träume ließen sich zusammenfassen unter dem Namen Florian Kohfeldt.
Doch da begannen die Fehler. Kohfeldt selbst wie auch die Klubführung ließen sich von der eigenen Vergangenheit und der einstigen Größe blenden. Und schätzten die Lage falsch ein.
Aufschlag in der Realität
Was folgte, war der harte Aufschlag in der Realität. Mit Mit Max Kruse verlor die Mannschaft ihren wichtigsten Spieler, die Nachfolger wurden von Kohfeldt überschätzt und stark geredet. Werder kämpfte zwei Jahre lang gegen den Abstieg, der schließlich bittere Realität wurde. Einer der Gründe war, dass weil der Coach zehn Spieltage vor Saisonende mit elf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz die unattraktive Defensivtaktik änderte, offenbar, weil er sich und seine Mannschaft überschätzte. In der Folge verlor das Team sämtliche Spiele. Werder feuerte den einstigen Liebling nach dem vorletzten Spieltag und stieg ab. Selbstverständlich war das nicht Kohfeldts Schuld allein, der Trainer trug aber einen Teil der Verantwortung.
Und jetzt Wolfsburg. Geschäftsführer Jörg Schmadtke verpflichtete Kohfeldt im Oktober, um ein Team mit großem Potenzial, das sich unter van Bommel im Sinkflug befand, zu stabilisieren und zu alter Stärke zurückzuführen. In der vergangenen Saison war Wolfsburg unter Trainer Oliver Glasner als Vierter die direkte Champions-League-Qualifikation gelungen. Die Mannschaft spielte wie eine gut geölte Maschine und Torjäger Wout Weghorst traf nach Belieben. An dem Mittelstürmer lässt sich die akute Krise besonders gut festmachen. Wie andere Leistungsträger ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, ganze sechs Tore hat der Niederländer bislang in der Bundesliga erzielt. Der Frust sitzt tief in der Mannschaft: "Hat man Scheiße an den Füßen, läuft es einfach scheiße", beschrieb Mittelfeldspieler Maximilian Arnold die Tristesse.
Kohfeldt ist es bisher nicht gelungen, die schwer angeschlagene Mannschaft wieder in die Spur zu kriegen. Dass er überhaupt noch Trainer ist, hat er zwei Umständen zu verdanken. Erstens ist er der Mann von Schmadtke. Dass Erfolgstrainer Glasner die Wölfe verließ, lag unter anderem am Zerwürfnis mit dem konfliktfreudigen Schmadtke. Nachfolger Van Bommel entpuppte sich als personeller Fehlgriff und jetzt soll es Kohfeldt richten. Scheitert er, bekäme Schmadtke ebenfalls ernsthafte Probleme. Zweitens werden Schmadtke und Sportdirektor Marcel Schäfer nicht müde zu betonen, dass Kohfeldt viele Probleme seines Vorgänger übernommen hat, dass es Zeit brauche, sie zu beheben.
Kohfeldt gehen die Argumente aus
Doch nach elf sieglosen Partien gehen Kohfeldt (und auch Schmadtke) die Argumente aus. Offenbar gelingt es dem Trainer nicht, der Mannschaft das notwendige Selbstbewusstsein und Selbstverständnis zurückzugeben. Schon in Bremen fiel Kohfeldt damit auf, dass er zwar rhetorisch geschliffen die Situation beschrieb und stets positive Tendenzen sah, aber oft hilflos wirkte. Fairerweise muss man hinzufügen, dass er sein Team grundsätzlich in Schutz nimmt und es stark redet. Bleibt die Frage, ob er es damit übertreibt. Nach außen hört es sich oft wie Schönrederei an.
In knapp zwei Wochen steht für Kohfeldt nach der Länderspielpause ein echtes Endspiel gegen den Tabellenletzten SpVgg Greuther Fürth an. Gelingt kein Sieg, ist er weg. Er wäre dann zum zweiten Mal unter Druck gescheitert, wenn auch unter jeweils höchst schwierigen Bedingungen. Das gehört ebenfalls zur Wahrheit. Seine Karriere als Bundesligatrainer wäre vorerst beendet. Es wäre der Absturz eines einst gefeierten Trainertalents.
Quellen: DPA, "kicker", "Süddeutsche Zeitung"