Am Ende, nach zwei Jahren München, nach über 40 Jahren in dieser Bundesliga, nach Gastspielen bei Real Madrid, in seinem geliebten Bilbao, bricht seine Abwehr dann doch noch. Das letzte Bundesligaspiel mit den Bayern bei der Borussia aus Mönchengladach, "seiner Borussia", wie er sie schon mal nennt, ist vorüber. 4:3, für Bayern, natürlich.
Nun also die letzte Pressekonferenz als Bundesliga-Trainer. Der Borussen-Park hatte sich zuvor erhoben, ihm jene Wertschätzung erwiesen, auf die er so lange hat warten müssen. Für eine Rekordsaison, die in Wembley auf ihre Krönung wartet. Für all die Titel im Gladbacher Trikot in den 70ern.
Er wolle sich für den warmen Abschied der Borussen-Fans bedanken, sagt Heynckes jetzt, vor ihm die lange verfluchte Pressemeute. Selbst mit der hatte er zuvor seinen Frieden geschlossen.
Er trägt den Trainingsanzug seiner Bayern, doch eigentlich ist er in diesem Moment nur noch Jupp Heynckes, gelebte Gladbacher Bundesligageschichte. "Das zeigt mir, dass das meine Heimat ist." Dann stockt die Stimme, die Tränen kommen. Der Saal applaudiert. All die Liebe, auf die er so lange hat warten müssen, am Ende seiner Laufbahn strömt sie doch noch auf ihn ein, von allen Seiten. Selbst von der lange so verhassten Presse. Spät, aber nicht zu spät.
Degradiert in Madrid
Dieser FC Bayern ist noch einmal seine Chance zur Geschichtsbegradigung gewesen, und auch wenn das große Finale gegen Dortmund noch viel zerstören kann, so lässt sich doch schon jetzt bilanzieren, dass er sie genutzt hat.
Denn lange ist es die Tragik des Jupp Heynckes gewesen, dass sich bei ihm allzu oft ein Schleier über seine Triumphe legte. Als Deutschland 1974 Weltmeister im eigenen Land wurde, saß Heynckes wegen einer Verletzung auf der Bank. Er war einer der komplettesten Stürmer im deutschen Fußball, doch alle Welt verbindet seine Ära nur mit einem Namen: Gerd Müller.
Als Heynckes mit Real Madrid 1998 die Champions League errang, hatte ihn der eigene Vorstand bereits Monate vor dem Finale öffentlich zur Übergangslösung degradiert.
Ein Affront für Heynckes
Heynckes musste 2012, nach dem ersten von zwei geplanten Jahren in München, das Gefühl haben, als wiederhole sich die Geschichte unter veränderten Vorzeichen. Schon nach dem dramatisch verlorenen Finale gegen Chelsea hätte ihn der Vorstand am liebsten zum Aufhören überredet. Ausgelaugt hatte Heynckes mehrmals gewirkt.
Als der Präsident Uli Hoeneß vor Weihnachten 2012 nach New York flog, um den Deal mit dem Nachfolger Pep Guardiola festzuzurren, informierte er Heynckes zuvor. Der Freund sollte sich nicht hintergangen fühlen. Doch Heynckes war irritiert. "Er hatte sich da schon dazu entschlossen, ein Jahr weiterzumachen", sagt ein Insider.
Als dann frühzeitig durchsickerte, dass Guardiola den FC Bayern trainieren würde, war Heynckes endgültig die Chance genommen, seinen Rücktritt aus eigenem Antrieb zu erklären. Es wirkte, als sei er gewogen und für zu leicht befunden worden. Für den empfindsamen Heynckes ein Affront.
Das neunte von zehn Kindern
Seitdem arbeitet Heynckes im Klub auf eigene Rechnung, zieht eine unsichtbare Linie zwischen sich und seiner Elf - und "denen da oben". Die eigene Enttäuschung ist beträchtlich gewesen, denn die Puzzleteile seiner Elf fallen in dieser Saison lautlos ineinander. Auch das macht das Loslassen schwer, nun, da Pep Guardiola in den nächsten Jahren große Ernten einfahren soll.
Heynckes ist zu klug, um nicht zu wissen, dass der 42-jährige Spanier eine einmalige Chance für den Klub darstellt. Aber kämpfen, das wird er bis zum Schluss. Denn unter der väterlichen Hülle des weit gereisten Trainers lodert noch immer ein an Verbissenheit grenzender Ehrgeiz.
Als neuntes von zehn Kindern eines Schmieds hat er sich emporgearbeitet. Die Familie war es auch, die ihn seine Werte lehrte: Anstand, Verlässlichkeit, Pflichtbewusstsein und Loyalität. Er hat seine Frau Iris während seiner Stuckateur-Lehre kennengelernt, sie arbeitete im selben Betrieb. Er ist bis heute mit ihr verheiratet.
Ein Teil bleibt stets unter Verschluss
Sie ist seine erste Ratgeberin. Sie organisiert sein Leben, die Kleiderwahl, Wohnungseinrichtung, alles. Er pflegte sie nach zwei Operationen und auch - in dieser Zeit ohne Engagement - im eigenen Haus die an Demenz erkrankte Schwiegermutter. Den Kontakt zu seinem Stuckateur-Ausbilder hat er noch aufrechterhalten, da war er schon lange ein Star. Er vergisst bis heute keine Geburtstage von Leuten, die ihm wichtig sind.
Als er sich 2011 aus Leverkusen verabschiedete, stellte er nicht nur den Dienstwagen vollgetankt auf den Hof. Er überreichte auch jedem seiner Mitarbeiter einen Umschlag zum Dank. "Da waren mehr als 100 Euro drin", sagt einer der Empfänger. Selbst das Sekretariat des Sportdirektors Rudi Völler wurde bedacht. Das aufrechte Leben einfacher Menschen hat Heynckes geprägt, mehr als all der Erfolg danach.
Das Misstrauen des Underdogs, es weicht allerdings erst jetzt, da das nahende Ende ihm die Angst vor Fehlern nimmt. Menschen, die mit ihm den Tisch teilten, beim Abendessen mit seiner Frau Iris in geselliger Runde, berichten, sie hätten Jupp Heynckes selten wirklich gelöst erlebt. Er reagiere etwas körperscheu auf Umarmungen. Ein Teil von ihm bleibe stets unter Verschluss.
Seine Verbindung nach draußen sei der Fußball geblieben. In ihm drücke sich der Mensch Heynckes aus.
Keine Konfrontation mehr mit den Profis
Wer ihn auf Pressekonferenzen begleitete, der erlebte bis zu den letzten Tagen seines Trainerdaseins, als Deutschland sich plötzlich entschloss, Jupp Heynckes zu verehren, einen Mann, der seine Umgebung nach Zweifeln an seiner Kompetenz und Lebensleistung scannte.
Jupp Heynckes habe lange gebraucht, bis er "das Militärische" abgelegt habe, sagt Charly Stock, der Heynckes als Masseur alle 21 Jahre am Gladbacher Bökelberg begleitet hat, ihn als einer von wenigen "Josef" nennt. Stock spricht voller Zuneigung von seinem Freund. Der Josef sei früher schon auf dem Zimmer "immer der gewesen, der seine Klamotten akkurat in den Schrank geschichtet hat, wo Günter Netzer seinen Koffer auf dem Bett ausleerte, die Schokolade untendrin". Spanien habe ihm in Sachen Lockerheit gutgetan.
Heute sucht Heynckes die Konfrontation mit seinen Profis nicht mehr, ob sie nun Robben heißen oder Ribéry. Aus dem strengen Richter über seine Fohlen in den 80er Jahren ist ein Mann des Ausgleichs geworden. Dass die Bayern des Jahrgangs 2013 seine Autorität nicht in Frage stellen, hilft ihm dabei, er selbst zu bleiben.
Er sei unglaublich menschlich, loben ihn alle, aber auch klarer in seiner Ansage, als befreie das nahe Ende. Der Präsident Hoeneß sieht seinen alten Kumpel einen "exzellenten Job" machen. Heynckes’ Erfolg ist es nun, der ihm in seiner Steueraffäre Momente des Verschnaufens verschafft. Die Rollen haben sich umgekehrt.
"Der Jupp hat in den Medien immer die Note Drei bekommen, da hat er drunter gelitten. Wenn der mal Trainer des Jahres werden will, muss er jeden Titel holen", hat Hoeneß neulich gesagt. Den ganz großen Bahnhof soll sein Freund zum Abschied bekommen. Nur der Sieg in Wembley fehlt hierzu. Holen die Bayern gar eine Woche später noch den DFB-Pokal, geht Heynckes am Ende als Architekt der größten Saison einer deutschen Vereinsmannschaft seit Gründung der Bundesliga.
Wenn nur die Unruhe nicht wäre
Er will sich danach in den Ruhestand verabschieden. Und zurückkehren nach Fischeln bei Schwalmtal. Zurück in die Heimat am Niederrhein, die ihm noch näher gekommen sein dürfte nach der Rückkehr vergangenen Samstag.
Jupp Henyckes wird dann zurückkommen in eine Stille, die Uhren zum Stehen bringt. Eine Straße, ein paar Häuser links und rechts, grüne Wiesen und Pferdekoppeln drum herum - beinahe scheint es, als ducke sich der Weiler in seiner Mulde unter dem Alltag weg. Welcher Kontrast zum Getöse des Fußballs.
Die Zukunft des Jupp Heynckes, sie sieht dann folgendermaßen aus: Mit seinem geliebten Hund Cando über die Felder spazieren, es sich am Abend in seinem Wohnzimmer gemütlich machen, Champions League und spanische Liga gucken. Herrlich wird das! Wenn nur diese Unruhe nicht wäre. Wird er sie diesmal besiegen?
Und wirklich für immer gehen?