Gladbachs Keeper Marc-André ter Stegen und den Schalker Jungstar Julian Draxler hatte außer Bundestrainer Joachim Löw kaum jemand auf der Kandidatenliste, auch wenn Draxler in unserem Kader stets im Blickfeld stand und ter Stegen von uns schon länger als dritter Torwart gefordert wird.
"Er ist ein Spieler mit enorm viel Potenzial, Stärken im Eins-gegen-Eins und einer sehr guten Spielintelligenz", nannte Löw die Gründe für die Berufung Draxlers in den erweiterten Kader für die EM 2012 in Polen und der Ukraine. Sie ist ähnlich überraschend wie die Nominierungen von David Odonkor für die WM 2006 und Marko Marin für die EM 2008.
Ter Stegen scheint schon eher mit einer Nominierung gerechnet zu haben, immerhin ließ er gleich eine Kampfansage an die Torwart-Konkurrenten Wiese und Zieler folgen. Man werde sich um die zwei Positionen hinter dem als Nummer 1 gesetzten Manuel Neuer "streiten" und nichts "schenken".
"Es gibt keine Reihenfolge"
Nach dem gnadenlosen Zweikampf zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn vor der Heim-WM 2006 und der spektakulären Ausbootung von Timo Hildebrand aus dem EM-Kader 2008 verblüffte Bundestrainer Joachim Löw mit dem Novum, gleich vier Torhüter in den vorläufigen Kader für die Titelmission zu berufen. Plötzlich eröffnet sich ter Stegen eine EM-Chance - Routinier Tim Wiese und vor allem Ron-Robert Zieler müssen zittern.
Bundestorwarttrainer Andreas Köpke rief einen Dreikampf zwischen dem 30 Jahre alten Bremer Wiese, dem sieben Jahre jüngeren Zieler (Hannover 96) und dem 20 Jahre alten Nationalmannschafts-Neuling ter Stegen um die zwei Plätze hinter Manuel Neuer aus, der als Nummer 1 für das Turnier in Polen und der Ukraine gesetzt ist. "Es gibt keine Reihenfolge. Der Konkurrenzkampf ist da. Jeder hat die Chance, auf den Zug aufzuspringen", erklärte Köpke in Rastatt.
Auch Löw schürte den neuen Torwartkampf: "Im Moment haben wir keine Veranlassung, eine endgültige Entscheidung zu treffen", sagte er zur Rangfolge hinter Neuer. Diese müsse erst am 29. Mai getroffen werden. Dann muss Löw den endgültigen 23-Mann-Kader der UEFA melden.
Löw-Lob: "Überragende Saison gespielt"
Herausforderer ter Stegen, der die frohe Botschaft seiner Nominierung am Vormittag von Köpke erhalten hatte, richtete über die Borussen-Homepage gleich forsch eine Kampfansage an Wiese und Zieler: "Ich denke, Manuel Neuer ist gesetzt. Das ist klar. Wir werden uns um die anderen beiden Positionen streiten. Keiner wird dem anderen etwas schenken." Er werde auf jeden Fall "bis zum letzten Tag alles geben".
Die Lobeshymnen der DFB-Trainer dürften den selbstbewussten U 21-Nationaltorwart noch zusätzlich anstacheln. "ter Stegen hat eine überragende Saison gespielt", betonte Löw. Torwartcoach Köpke geriet geradezu ins Schwärmen: "Marc-André ter Stegen hat jetzt eineinhalb Jahre absolutes Topniveau in der Bundesliga gebracht und verkörpert das Torwartspiel, das wir in der Nationalmannschaft wollen."
Das muss vor allem Zieler (1 Länderspiel) beeindrucken. "Ich bin immer gut mit Drucksituationen umgegangen", äußerte die bisherige Nummer 3. Bei Wiese (6 Einsätze, kein Sieg) betonte Köpke, dass "Tim jetzt schon lange bei uns dabei ist". Bei der WM 2010 in Südafrika erfüllte der künftige Hoffenheimer klaglos die Rolle als Nummer 2 hinter Neuer. In der Mannschaft hat er zudem hohe Sympathiewerte.
Vordergründig erklärten Löw und Köpke die Entscheidung, vier Torhüter zu nominieren, mit dem Einzug des FC Bayern München ins Champions-League-Finale. "Da war uns klar, vier mitzunehmen", sagte Köpke. Weil Neuer erst am 25. Mai in die EM-Vorbereitung einsteigen wird, benötige man "für den Trainingsbetrieb drei Torhüter", betonte Köpke. Vor der WM 2010 standen die Bayern ebenfalls im Endspiel der Königsklasse - Jörg Butt kam damals auch später, aber Löw genügten damals für die Trainingsarbeit Neuer und Wiese als Schlussmänner.
Draxler: Viertjüngster Bundesliga-Debütant
"Ich freue mich sehr, dass Julian dabei ist. Diese Erfahrung wird neu für ihn sein, das muss er mitnehmen", sagte Schalke-Cheftrainer Huub Stevens über die Nominierung von Draxler, der bisher kein A-Länderspiel bestritten hat. Stevens: "Er kann in den nächsten Tagen sehr viel lernen." Für den ehemaligen Schalker Olaf Thon, Weltmeister von 1990 , ist die Draxler-Berufung ein Zeichen für die Zukunft: "Julian hat es verdient." Bis zum 29. Mai muss Löw entscheiden, ob Draxler auch zum endgültigen EM-Kader gehören wird.
Die Karriere des Jungprofis, der bei Schalke einen Vertrag bis 2014 hat, läuft damit weiter in rasanter Geschwindigkeit. Als viertjüngster Bundesliga-Debütant gab er im Alter von 17 Jahren und 117 Tagen am 15. Januar 2011 seinen Einstand. In der soeben beendeten Saison bestritt er 30 Bundesligaspiele, obwohl er an der Gesamtschule Berger Feld, die fast direkt an der Schalker Arena liegt, nebenbei für das Abitur büffelt.
"In dieser Saison haben wir Julian teilweise bewusst geschont, wenn wir gemerkt haben, dass er als junger Spieler eine Pause braucht", berichtete Stevens. "Das hat sich ausgezahlt, denn derzeit ist er frisch und ausgeruht."
Leise Töne von Draxler
Aus heiterem Himmel kam die Botschaft auch für Draxler selbst. In der großen Schulpause hörte der Abiturient seine Mailbox ab und traute dem Gehörten erst nicht. "Du stehst im erweiterten EM-Kader", hinterließ Löw. "Die Nominierung kam für mich völlig unerwartet. Das ist eine große Ehre für mich. Natürlich werde ich mein Bestes geben", sagte der Schalker Perspektivspieler.
Draxler selbst empfindet sich auch im Fußball noch als Lernender. "Ich bin noch nicht so weit wie Götze oder Reus", sagte er einmal. Das weiß auch Löw. "Julian hat noch nicht diese Konstanz, er hat schulische Verpflichtungen, und er könnte ja noch in einem U-Team spielen", meinte Löw. Draxler und Stevens hatte er erst am Montagmorgen telefonisch über sein Vorhaben informiert. "Er wird durch die Nominierung einen weiteren Schub bekommen", glaubt Löw.
"Das ist eine tolle Nachricht und eine Auszeichnung für den FC Schalke 04", sagte Schalkes Manager Horst Heldt. "Für Julian ist die Nominierung eine großartige Sache", meinte er.