Ein Mann, der plötzlich auf die Toilette muss und die Wahl verpasst. Spontane Millionen-Zahlungen an mehrere internationale Unternehmen, die eng mit dem Fifa-Exekutivkomitee verbunden sind. Waffenlieferungen an Saudi Arabien acht Tage vor der WM-Abstimmung. Davor: Mehrere Stimmen Rückstand auf Südafrika. Deutschlands Wahl zum WM-Austragungsort 2006 wurde vom FBI bislang zwar nie genannt, wenn es um die Korruptionsaffäre in der Fifa geht, doch dass auch im Vergabe-Verfahren zum Sommermärchen jede Menge Fragen offen sind, ist seit Jahren klar. Die aktuellen Recherchen des "Spiegel" legen nun nahe, dass es schwarze Kassen gab, um Stimmen zu kaufen. Dass es auffällige Vorkomnisse gab, ist lange bekannt. Ein Überblick.
Zunächst war da eine Äußerung von Joseph Blatter selbst, die im Juli 2012 für Aufregung sorgte. Der Fifa-Präsident hatte in einem Interview mit der Zeitung "Blick" im Hinblick auf Korruption in der Fifa gesagt: "Gekaufte WM … Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ". Der Fifa-Boss meinte mit seiner Äußerung den neuseeländischen Funktionär Charles Dempsey. Er enthielt sich im Vergabeverfahren und genau diese eine Stimme sorgte für die Entscheidung zugunsten von Deutschland - und gegen Südafrika. Mit 12:11 Stimmen ging die WM nach Deutschland. Bei unentschiedener Stimmlage hätte Südafrika den Zuschlag erhalten.
Warum Dempsey sich enthielt, ist bis heute ungeklärt. Er starb 2008 im Alter von 87 Jahren. Bei der Wahl hatte er nach Angaben des DFB für Deutschland stimmen wollen, sein Verband hatte ihn allerdings aufgefordert, für Südafrika zu stimmen. Bei einer Pressekonferenz hatte sich Dempsey anschließen erklärt und "nicht tolerierbaren Druck durch einflussreiche europäische Interessengruppen" als Hintergrund genannt.
Thomas Kistner von der "Süddeutschen Zeitung" hat in seinem 2012 erschienenen Buch "Fifa Mafia" zudem auf weitere Auffälligkeiten hingewiesen: Seinen Angaben zufolge soll Südafrika einige Wochen vor der Abstimmung mehrere Stimmen Vorsprung vor Deutschland gehabt haben. Das änderte sich allerdings innerhalb weniger Wochen. Das funktionierte Kistners Angaben zufolge so: Große deutsche Firmen wie Daimler investierten Millionen in Ländern, in denen Vertreter des Fifa-Exekutivkomitees saßen. Vor allem im asiatischen Bereich. Daimler soll beispielsweise fast eine Milliarde Euro in den südkoreanischen Konzern Hyundai gesteckt haben. Wie es der Zufall so wollte, saß ein Sohn des Hyundai-Gründers zu dieser Zeit im Exekutivkomitee.
Auch auf eine Waffenlieferung der Bundesregierung wird im Zusammenhang mit der WM-Vergabe immer wieder hingewiesen. Von offizieller Seite ist ein Zusammenhang stets dementiert worden, aber: Nur eine Woche vor der Wahl im Jahr 2000 lieferte Deutschland mehr als 1000 Panzerfäuste nach Saudi-Arabien. Der damalige Fifa-Vorstand Al-Dabal war Teil des saudischen Königshauses. Er soll bei der Wahl für Deutschland gestimmt haben.
Die Vergabe der WM 2006 an Deutschland hatte also offenbar schon im Jahr Juli 2000 etwas von einer Märchengeschichte. Im Oktober 2015 scheint sich diese Vermutung weiter zu erhärten.