Dieser Mann ist nicht zu fassen. »Sven«, fragt ein Reporter des Londoner »Daily Mirror«, »wird es in der Aufstellung fürs nächste Spiel Überraschungen geben?« Sven-Göran Eriksson, 53, schwedischer Trainer der englischen Fußballnationalmannschaft, blickt durch seine blau schimmernde Designerbrille in die Runde der versammelten Schreiberlinge. Seine makellosen Zähne leuchten im Blitzlichtgewitter. Langsam knetet er seine manikürten Hände. Schließlich antwortet er: »Nicht für mich.«
Sonst noch Fragen? Stets freundlich, zuvorkommend und nichtssagend quält Eriksson, mit Meistertiteln in Schweden, Portugal und Italien seit über 20 Jahren einer der erfolgreichsten Liga-Trainer Europas, die englische Sportpresse. Kein lautes Wort, nie öffentliche Kritik an Spielern, kein Einblick in sein Privatleben. Dafür eine geschickte Mischung aus Chuzpe, Witz und Arroganz. Gerne dürfen die beinhart konkurrierenden Journalisten des Londoner Boulevards ihn bei den seltenen Pressekonferenzen Sven nennen - aber in Großbritannien lässt sich sogar der Premierminister vor allem im Wahlkampf mit Tony anreden. Die Spieler um Kapitän David Beckham nennen ihn »Boss« oder »Mr. Eriksson«.
Jetzt soll der kühle Schweiger aus dem Land der Elche ein kleines Wunder vollbringen, nach dem die englische Fußballnation seit dem 12. Mai 1965 lechzt - einen Auswärtssieg beim Erzrivalen Deutschland. Damals gewannen die Spieler um den legendären Trainer Alf Ramsey in Nürnberg mit 1:0. Ein Jahr später war England gegen die Teutonen Weltmeister und Ramsey zum Sir Alf gesalbt. Seither gab es für das selbst ernannte Mutterland des Fußballs bei großen Turnieren reichlich Pleiten und Blamagen. Wenn es sehr gut lief, reichte es zum Halbfinale. Dann trafen die englischen Kicker traditionell das Tor beim Elfmeterschießen nicht.¿
Und nun, am Samstag beim WM-Qualifikationsspiel im Münchner Olympiastadion, soll ausgerechnet dieser sperrige Fremde mit dem sorgfältig über die lichte Stirn gefönten Haupthaar die geschundene Ehre Albions retten. Mit einem Sieg hätte sein Team wieder gute Chancen, sich für das Turnier in Südkorea und Japan im nächsten Jahr zu qualifizieren. Und Eriksson die beachtliche Schar seiner Kritiker für lange Zeit ruhig gestellt. Denn davon gibt es im Vereinten Königreich mehr als Gegner der Monarchie.
Was haben Traditionalisten und Bedenkenträger im Verein mit ehemaligen Kickergrößen gezetert und getobt, als der englische Fußballverband FA zur Jahreswende den Skandinavier - und keinen Engländer - zum Chef der Nationalmannschaft kürte. Ausgestattet mit einem Fünfjahresvertrag und nicht dementiertem Drei-Millionen-Pfund-Salär (über neun Millionen Mark pro anno). Die Charlton-Brüder Bobby und Jack, Weltmeister und Lordsiegelbewahrer verblichener Glorie, jammerten von »Schande« und »Desaster«. Für Gordon Taylor, den Vorsitzenden der Spielergewerkschaft, war es »ein trauriger Tag für den englischen Fußball. Es wird in Tränen enden«.
So schlimm schien das ganze Ausmaß der »furchtbaren Erniedrigung« (das auflagenstärkste Revolverblatt »Sun«), als hätte DFB-Chef Egidius Braun nach der blamablen EM 2000 mangels einheimischer Kandidaten Österreichs Dribbel-Idol Herbert »Schneckerl« Prohaska zum deutschen Bundestrainer bestellt.
Tatsächlich sind international erfahrene englische Fußballlehrer so rar wie einheimische Sterne-Köche. Die Trainer der führenden Klubs in der Premier League stammen aus Schottland (Manchester United), Frankreich (Arsenal London und FC Liverpool), Irland (Leeds United) und Italien (FC Chelsea). Die beiden letzten Manager - wie die Briten ihre Trainer nennen - der Nationalelf waren Glenn Hoddle und Kevin Keegan. Der Spiritist Hoddle führte eine Geisterheilerin zur Spielerbesprechung in der Kabine ein. Er musste gehen, weil er behauptet hatte, behinderte Menschen büßten für Sünden in einem früheren Leben.
»Mighty Mouse« Keegan, den Deutschen noch als HSV-Bundesligastar in guter Erinnerung, schmiss vergangenen Herbst nach der Niederlage in Wembley gegen Deutschland entnervt hin. Auch zuvor hatte sein Team beständig verloren. Der gedanklich eher schlichte Keegan war zwar immer freundlich zu den Herren von der Presse und redete Verbandsfunktionären nach dem Mund. Sein taktisches Rüstzeug bewegte sich dagegen auf Regionalliga-Niveau - ein Erich Ribbeck von der Themse.
Nach diesen Trainer-Flops präsentierte der englische Verbands-Chef Adam Crozier, ein Schotte übrigens, dem Fußballvolk nun den krassen Gegenentwurf zu den biederen Vorgängern: Sven-Göran Eriksson, ein »Mann von Welt und ein Intellektueller«. Der gut situierte Neue mit Eigenheimen in Schweden, Italien und Portugal erwarb gleich in bester Lage am Londoner Regent Park eine Villa für neun Millionen Mark. Dort wohnt er mit seiner Lebensgefährtin, nach seiner Auskunft eine erfolgreiche Anwältin italienisch-amerikanischer Abstammung. Das ist so nicht ganz falsch: Die schwarzhaarige Schönheit ist immerhin die geschiedene Gattin eines erfolgreichen Anwalts italienisch-amerikanischer Abstammung.
In seiner kargen Freizeit lese Eriksson am liebsten tibetische Prosa, tönte es ehrfurchtsvoll aus dem postmodernen FA-Hauptquartier im Londoner Rotlichtviertel Soho. Gern wird als Beleg seiner geistigen Brillanz auch auf ein Buch verwiesen, das er zusammen mit einem norwegischen Sport-Psychologen verfasst hat. Dort stehen so Sätze wie »Wir sind die Summe dessen, was wir in unserem Leben alles gedacht haben.«
Denker oder Dumpfplauderer, tiefsinnige fernöstliche Weisheit oder gnadenlos Banales? Was kümmerte es die Verbandsoberen. Schließlich legte Eriksson gleich eine Erfolgsserie hin, wie sie vor ihm noch kein englischer Manager schaffte, nicht einmal Sir Alf: fünf Siege in fünf Spielen, darunter gegen Albanien und Griechenland zwei Auswärtserfolge in der WM-Qualifikation. Die Londoner Blätter nannten das »svensationell«. Dabei hatte er gegenüber der Truppe seiner Vorgänger nur wenig verändert - einige jüngere Spieler erhielten ihre Chance.
Fast revolutionär erschien den englischen Fans dagegen eine Anweisung des neuen Chefcoaches: Eriksson verbannte Alkohol aus dem Trainingslager. Bislang gehörten Saufgelage der englischen Nationalmannschaft zur landesüblichen Folklore. Von manchen Nationalspielern, etwa dem neulich abgetretenen Kapitän und inzwischen trockenen Alkoholiker Tony Adams, hieß es, ihre Leber sei härter als ihr Vollspannschuss.
Nüchtern und erfolgreich - das konnte nicht lange gut gehen. Im letzten Testspiel vor dem großen Match in München dilettierte Erikssons Mannschaft vor zwei Wochen gegen Holland, als säßen Keegan und Hoddle gemeinsam auf der Trainerbank: Stümperhaft, hasenfüßig und ohne erkennbare Taktik verlor England in London mit 0:2. ManchesterUnited-Star Beckham, eine Schlüsselfigur in Erikssons Strategie, fiel ausschließlich durch seinen jüngsten Mode-Gag auf. Der kahlköpfige Kapitän hatte sich die linke Augenbraue halb abrasiert.
Natürlich weiß der Vollprofi Eriksson, dass solche Niederlagen seinen Ruf schnell beschädigen werden. Nach der Holland-Klatsche ist der Honeymoon mit den von ihm so gern düpierten Journalisten vorbei. Verliert England auch gegen Deutschland - wofür nicht nur die Statistik spricht -, geht die Medienhatz auf den Schweden garantiert los. Doch Eriksson will sich nicht vorführen lassen wie seine Vorgänger. Vorbeugend deutete er zuletzt schon mal an, dass er »diesen Job« ja gar nicht brauche. Mehr als genug Geld habe er ohnehin. Außerdem störe ihn und seine Lebensgefährtin zunehmend das garstige englische Wetter.
BERND DÖRLER