Deutschland gegen Schweiz Auftaktspiel der Handball-EM knackt Zuschauerrekord – ein Spieler sticht heraus

Handball-EM: Torwart Andreas Wolff hält in einer Hand einen Ball, die andere ballt er zur Faust
Andreas Wolff, der Mann mit den tausend Armen
© wolf-sportfoto / Imago Images
Die Handball-EM 2024 in Deutschland ist eröffnet. Nach dem Spiel gegen die Schweiz in Düsseldorf lobte der Trainer der Deutschen vor allem einen Spieler als "absolute Weltklasse". 

Es war ein Abend der Zahlen, der sehr großen Zahlen, und da kann einem schon mal die ein oder andere Ziffer verrutschen. Selbst so einem geübten Redner wie Frank-Walter Steinmeier. Der Bundespräsident war am Mittwoch in die Düsseldorfer Merkur-Arena gekommen, um die Handball-Europameisterschaft zu eröffnen. Als ob kein Mikrofon seine Stimme verstärken würde, rief, fast brüllte Steinmeier, wie sehr er sich freue, das Publikum zur Handball-EM "twenty twenty two four" begrüßen zu dürfen, also zur EM 202024. Womöglich gibt es in Steinmeiers SPD schon ein Wahlprogramm für dieses ferne Jahr ("Comeback einer Volkspartei – jetzt aber wirklich"), beim Deutschen Handball-Bund hingegen, der den Bundespräsidenten eingeladen hatte, ist man mit der Gegenwart schon sehr zufrieden.

Handball-EM in Deutschland knackt Zuschauerrekord

Und das hat mit zwei Zahlen zu tun. Die erste lautet: 53.586. So viele Zuschauerinnen und Zuschauer sahen das Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Schweiz. Das ist Weltrekord für ein Handballspiel; die alte Höchstmarke, aufgestellt 2014 in Frankfurt, notierte bei 44.189 Fans. Zahl Nummer zwei ist nicht weniger bedeutsam: 27 Tore erzielten die Deutschen am Mittwochabend, 13 mehr als die Schweiz. Es war ein glanzvoller Start ins Turnier, und mit einem Sieg am Sonntag gegen Nordmazedonien kann sich die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason bereits für die Hauptrunde qualifizieren.

Gislason, den knorrigen Isländer, interessierte nur das Spielergebnis. Die Sache mit dem Weltrekord war ihm ziemlich egal, jedenfalls vor Anpfiff der Partie. Da hatte er sich gesorgt, ob die Arena denn auch ausreichend temperiert sei, in der normalerweise Fußball-Zweitligist Fortuna Düsseldorf seine Heimspiele austrägt. Nicht, dass sich seine Handballer noch verkühlen und Muskelverletzungen zuziehen!

Andreas Wolff hieß der Spieler des Abends

Gislasons Sorgen lösten sich schnell in Heizlüfterluft auf. Das Hallendach war geschlossen, es blies beständig ein Fönwind, so dass man es auf den Tribünen im T-Shirt besser aushielt als im Wollpullover. Das Publikum war also auf Temperatur, als es losging mit dem Weltrekordspiel. Schon nach wenigen Minuten zeichnete sich ab, wer in der Partie die Rolle des Helden übernehmen würde. Große Spiele haben meist simple Dramaturgien. Jeder versteht sie, es braucht kein Expertenwissen, genau deshalb schaffen es diese Spiele ins sogenannte kollektive Gedächtnis.

Über keinen anderen Spieler wurde am Mittwochabend so viel geredet wie über Andreas Wolff, den Mann mit den tausend Armen. Nach nur zwölf Minuten hatte der deutsche Torwart schon sechs Bälle pariert; er wischte die Wurfgeschosse der Schweizer einfach beiseite. Zum Publikum gewandt reckte er dann die Faust in die Luft – und klar: dafür wurde er beklatscht, bejohlt und besungen. Am Ende des Tages wies die Statistik 61 Prozent gehaltene Bälle für Wolff aus. "Absolute Weltklasse", meinte selbst der schwer zu begeisternde Gislason.

Handball-EM: Schweizer oft in schwieriger Lage 

Nicht alles, was Wolff am Mittwochabend abwehrte, waren kunstvoll geworfene Bälle. Das trübt die Heldengeschichte etwas, denn der Mittelblock bestehend Julian Köster und Johannes Goller sorgte dafür, dass die Schweizer oftmals aus schwieriger Lage den Abschluss suchen mussten. Leichte Beute für Wolff.

Alles egal, Düsseldorf wollte feiern, und es feierte seinen Torhüter. Der war wenigstens deutlich zu erkennen in seinem textmarkergelben Trikot – alle anderen Deutschen hingegen schrumpften zu weißen Tupfern auf dem Spielfeld. Weltrekordverdächtig war nämlich auch die räumliche Distanz, die viele Zuschauer zum Geschehen hatten. Handball in einem Fußball-Stadion zu schauen, das ist ungefähr so, wie die Zahnräder einer Armbanduhr aus drei Meter Entfernung zu betrachten. Ok, da bewegt sich etwas – aber was genau?

Der Handball der Zukunft?

Menschen, die zum Handball gehen, suchen oft das, was ihnen der Fußball längst nicht mehr bietet: das Gefühl, nah dran zu sein am Spiel. Zu hören, wie der Ball ins Netz rauscht, wie der Trainer schimpft, welche Kommandos sich die Spieler zurufen. All das wurde am Mittwoch für den Weltrekord wegmöbliert mit Zusatztribünen und Extrasitzen. Es war ein denkwürdiges Handballspiel, eine Party um der Party Willen, entkoppelt oft von dem, was da unten auf dem Feld passierte. Eine schauerlich-schöne Partie, der Handball der Zukunft womöglich.

An diesem Donnerstag verlässt das deutsche Team Düsseldorf und zieht nach Berlin um. Dort spielt es dann vor kleinerer Kulisse, vor 14.800 Zuschauern. So wie früher, als wir noch nicht im Jahr 202024 lebten.

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