Auf diesen Sieg hat man in Russland 26 Jahre lang gewartet. Als die russische Hockey-Nationalmannschaft am Sonntag olympisches Gold holte, jubelte man von Moskau bis Wladiwostok. Das Spiel gegen Deutschland verfolgten selbst diejenigen, die bis dato keinen einzigen Wettbewerb der Olympiade in Pyeongchang mitbekommen hatten. Seit 1992 hat es für Russland keine olympische Goldmedaille im Hockey gegeben.
Als die russischen Spieler auf das Siegertreppchen stiegen, wehte jedoch nicht die russische Trikolore über ihren Köpfen, sondern eine weiße Fahne mit dem bunten Olympia-Emblem. Und statt der russischen Nationalhymne erklangen im Stadion die Klänge des olympischen Lobgesangs. Denn jegliche Nationalsymbolik hatte man russischen Athleten bei den Olympischen Spielen untersagt. Die 111 zugelassenen Sportler traten unter der neutralen Olympia-Fahne auf. Doch das interessierte weder die russischen Fans noch die Athleten selbst.
Als am Sonntag in der Eishockey-Arena die olympische Hymne erklang, stimmten die russischen Spieler die russischen Verse an. Das Publikum dröhnte mit. Zusammen schafften sie es gar zeitweise, die olympische Hymne zu übertönen - aller Verbote ungeachtet.
"Sie sind alle Helden, ohne Ausnahme"
Im Netz verbreiteten sich die Aufnahmen rasant - auch wenn auf Facebook und Youtube die Videos vielmals blockiert wurden. Der Eishockey-Sieg ist Balsam auf dem geschundenen russischen Nationalstolz, der bei der diesjährigen Olympiade so viel einstecken musste: Keine wehenden Fahnen, keine täglichen Siegesmeldungen, kein heißes Rennen um die Spitze im Medaillenspiegel. Und das nach den glorifizierten Spielen in Sotschi, wo russische Athleten 29 Medaillen gewonnen und damit die meisten Siege verzeichnet hatten - trotz der aberkannten Medaillen im Zuge der Doping-Affäre.

Und nun die goldene Medaille im Eishockey, Russlands populärster Sportart. Die Spieler werden im ganzen Land wie Helden gefeiert. Der russische Sportminister Pawel Kolobkow sang ein Loblied. "Unsere Athleten haben zum Wohl künftiger Athleten und zum Wohl der Zukunft des russischen Sports teilgenommen", sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Tass. "Sie sind für sich selbst angetreten und für diejenigen, die nicht die Gelegenheit dazu hatten. Dabei haben sie ihre Aufgaben perfekt erfüllt. Sie sind alle Helden, ohne Ausnahme."
Wladimir Putin gratulierte dem Trainer Oleg Snarok sogar höchstpersönlich. Noch auf der Trainerbank rief der russische Präsident bei Snarok durch. Der Weg zum Titel sei nicht leicht gewesen, schrieb Putin in einem offiziellen Glückwunsch. "Aber Sie haben sich zusammengerissen, starken Gegnern ihren Mannschaftsgeist, Charakter und Willen entgegengestellt", hieß es aus dem Kreml. Die neuen Helden will er persönlich treffen, kündigte Putin an.
"New York Post" sorgt in Russland für Empörung
Die Berichterstattung in der "westlichen Welt" sorgt unterdessen für Empörung. Insbesondere ein Artikel der "New York Post" sorgt für Aufregung. "Mannschaft ohne Land gewinnt Goldmedaille im Hockey" titelte die US-Zeitung. Ein Unding für die russischen Fans. In sozialen Netzwerken kontern sie zurück.
"Ihr seid so erbärmlich, das OAR-Team hat gewonnen, Olympia-Athleten aus Russland. Also haben sie ein Land und ihr wisst, dass es Russland ist. Aber der dumme hasserfüllte Titel ist alles, was ihr wirklich braucht, Schande", gibt ein Nutzer den allgemeinen Tenor wieder.
Und so hat das Verbot der Nationalsymbolik offenbar den russischen Nationalstolz nur noch zusätzlich angefacht. Jede Medaille, die man trotz der Schikanen errungen hat, beweist nur die eigene Überlegenheit - so die russische Sicht.
Auch zur Olympia-Schlussfeier durften die Russen nicht ihre weiß-blau-rote Fahne mitnehmen. Die russischen Eishockey-Fans störten sich nicht daran. Mit "Russland, Russland"-Sprechchören feierten sie ihre Helden.
"Für den russischen Sport sind Medaillen immer noch der wichtigste Gradmesser, und der Zahl der errungenen Medaillen nach kann man das Auftreten erfolgreich nennen", kommentierte Kremlsprecher Dmitri Peskow die Ergebnisse der Olympischen Spiele. Die Unterstützung der Bürger für die Sportler sei wichtiger als die Tatsache, dass Russland bei der Schlussfeier seine Flagge nicht habe nutzen dürfen, sagte Peskow zudem. "Sie wissen, auf welche Resonanz in unserem Land die Goldmedaillen für unsere Sportler gestoßen sind, diese nationale Begeisterung, deren wir Zeuge waren."