Die Wut ist groß – der Wunsch nach Veränderung größer, das machte Basketball-Star LeBron James auf Twitter deutlich. "Scheiß drauf, Mann. Wir verlangen Veränderung. Es macht mich krank", schrieb er in Großbuchstaben und mit einigen Ausrufezeichen.
James weiß genau, seine Worte haben Gewicht. Und sie wiegen schwerer als sonst. Denn sie beschreiben eine Geste, die eine historische Dimension erreicht hat. Das ist kein Pathos. Die Absage aller NBA-Spiele am Mittwoch manifestiert genau das. So etwas hat es in der Geschichte des US-Sports noch nie gegeben. Es zeigt, wie eng der Sport und die Politik miteinander verbunden sind.
Aber zunächst einmal zurück zu dem Moment, als alles begann: Es ist Mittwochabend, die Milwaukee Bucks um Star-Spieler Giannis Antetokounmpo können mit einem Sieg gegen die Orlando Magic den Einzug in die nächste Runde klar machen. Doch sie kommen gar nicht erst aufs Spielfeld. Während sich die Spieler ihres Gegners bereits aufwärmen, bleiben die Bucks in der Kabine. Sie boykottieren das Spiel – aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt. In der Folge sagt die Basketballliga NBA alle drei geplanten Playoff-Partien ab.
Andere Sportarten machen es der NBA nach
Der Boykott und die Absage haben eine Kettenreaktion ausgelöst. Andere Sportler und Sportarten machten es nach: Die Frauen-Basketballliga verzichtete ebenfalls auf alle geplanten Partien für den Tag, ebenso die Baseballliga MLB und die amerikanische Fußballliga MLS. Die Football-Mannschaft Detroit Lions sagte ihr Training ab und Tennisspielerin Naomi Osaka kündigte an, auf die Teilnahme am Halbfinale der Western & Southern Open in New York zu verzichten: "Ich bin eine Tennisspielerin, aber noch mehr bin ich eine afroamerikanische Frau. Ich habe es satt, die immergleiche Debatte zu führen. Wann ist es endlich genug?", erklärte sie auf ihren Social-Media-Kanälen. Es dauerte nicht lange, bis die Veranstalter reagierten. Es werde am Donnerstag kein Tennis gespielt, verkündeten sie.

Mittlerweile heißt es aus dem Umfeld der NBA, dass die Spieler einen Saison-Abbruch diskutieren. Das wurde bislang nicht bestätigt. Das Ausmaß ist dennoch gewaltig – und macht deutlich: Nicht das Coronavirus stoppt den Sport. Es ist Rassismus; es ist Polizeigewalt; es sind Gräueltaten wie jene im US-Bundesstaat Wisconsin. Der Fall Jacob Blake erschüttert das Land – vor allem die schwarze Bevölkerung der USA
Der 29 Jahre alte Familienvater ist am Sonntag in Kenosha durch mehrere Schüsse der Polizei in seinen Rücken schwer verletzt worden. Ein Video zeigt den Vorfall. Darin ist zu sehen, wie Blake zu seinem Auto geht, gefolgt von zwei Polizisten mit gezogenen Waffen. Als er die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, sitzen drei seiner Kinder auf der Rückbank. Sie müssen mit ansehen, wie auf ihren Vater geschossen wird. Er überlebt knapp, aber sei von der Hüfte abwärts gelähmt, gibt sein Anwalt an.
Der Vorfall trifft die Milwaukee Bucks besonders hart. Sie tragen ihre Heimspiele normalerweise in Wisconsin aus. "Wenn wir auf dem Platz stehen und Milwaukee und Wisconsin repräsentieren, wird von uns das höchste Niveau erwartet, dass wir alles geben und uns gegenseitig in die Verantwortung nehmen", heißt es in einem Statement, das die Spieler selbst vorlasen. "Wir erfüllen diesen Standard und fordern das gleiche von unseren Gesetzgebern und der Strafverfolgung."

Die Gesten der Liga gingen Spielern nicht zu weit
Schon vor dem Neustart in der Disneyworld-Blase in Orlando, Florida, haben unzählige Profis die Polizeigewalt kritisiert. Sie nahmen selbst an "Black Lives Matter"-Demonstrationen teil. Die NBA positionierte sich klar. Sie stellte sich hinter ihre Spieler. Auf den Trikots prangern deshalb Botschaften wie: "Black Lives Matter", "Gleichberechtigung" oder "How Many More" (Deutsch: Wie viele noch?). Auch in Werbeclips wird immer wieder auf die Bewegung eingegangen und die Polizeigewalt thematisiert.
Doch die Worte und Gesten, so positiv sie auch sein mögen, reichen den Spielern offenbar nicht aus. Sie wollen ein Zeichen setzen. Deshalb der Boykott. Die Spieler wollen erreichen, dass sich die Öffentlichkeit endlich ernsthaft mit dem Rassismus in den USA beschäftigt. "Um ehrlich zu sein, hätte wir nicht einmal an diesen verdammten Ort kommen sollen", sagte George Hill, der Spielmacher der Milwaukee Bucks, am Mittwoch. "Ich denke, es hat alle Aufmerksamkeit von dem Thema gelenkt, hierher zu kommen."
Wer nun Vergleiche zu Muhammed Ali, Colin Kaepernick oder Tommy Smith und John Carlos zieht, übersieht einen wichtigen Punkt: Dieser Boykott, diese Geste geht von keinem Einzelspieler aus. Es streikt eine gesamte Liga! Das hat es in dieser Form noch NIE gegeben. Und genau deshalb ist es, wie eingangs bereits erwähnt, historisch. Dabei stellt sich auch die Frage: Wäre ein solcher Protest auch von einer anderen Profi-Liga ausgegangen?
Das mag eine hypothetische Frage sein, die schwer (oder vielleicht auch gar nicht) beantwortet werden kann. Dennoch lässt es sich erahnen, wenn man sich die Kampagnen der FIFA und UEFA zum Thema Rassismus anschaut. Es wird zwar angesprochen, vielleicht eine Schweigeminute gehalten – oder ein Statement eines Verbandspräsidenten gehalten. Aber letztlich folgt alles getreu dem Motto: Die Show muss weitergehen. Die Spieler der NBA haben nun gezeigt, dass es auch anders geht. Manche Dinge sind eben wichtiger als der Sport.
Quellen: "New York Times" / Twitter / ESPN