Heute findet der große Chemiegipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz statt. Es geht auch um den Industriestrompreis. Die Branche warnt vor Abwanderungen und einem Zusammenbruch der deutschen Großindustrie, weil sie global nicht mehr wettbewerbsfähig sei; Bayer, BASF und Co. schlucken allein zehn Prozent des deutschen Stroms. Wolfgang Große Entrup, Chef des Verbands der Chemischen Industrie, sagt: „Die hohen Energiekosten sind existenzgefährdend.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat im Frühjahr ein Konzept für einen „mittelfristigen Brückenstrompreis“ vorgelegt, danach müssten stromintensive Betriebe bis 2030 für den Großteil ihres Stroms nur noch sechs Cent je Kilowattstunde (kWh) zahlen, den Rest würde der Staat tragen. Bedingung unter anderem: eine Standortgarantie. Der Kanzler und Finanzminister Christian Lindner lehnen die Subvention bislang ab, weil sie auf Kosten von Privatleuten und kleinen Unternehmen gehen würde. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sagt nein.
Geht Deutschlands Instdustrie ohne Billigstrom den Bach hinunter? Was ist dran an den Klagen? Zehn Fragen und Antworten.
1. Was ist ein Industriestrompreis?
Ein Kunstwort, denn der Strompreis ist im Grunde für alle gleich und setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Die Beschaffungskosten für Strom am Markt und die Zuschläge, die Versorger und der Staat aufschlagen. Die Beschaffungskosten sind in Europa recht hoch – in Deutschland schon deshalb, weil noch sehr viel Strom in Kohle- und Gaskraftwerken produziert wird und die Brennstoffpreise dafür seit Putins Überfall auf die Ukraine hochgeschossen sind. Die Zuschläge dagegen werden vom Weltgeschehen wenig beeinflusst. Darunter fallen etwa Stromsteuern, Netzentgelte, die Gewinnmargen der Händler sowie verschiedene Umlagen (wie die EEG-Umlage, die bis vergangenen Sommer zum Ausbau der Erneuerbaren Energien aufgeschlagen wurde).
2. Wird die Industrie nicht ohnehin beim Strom vom Staat bevorzugt?
Tatsächlich müssen Privatverbraucher in der Regel alle Zuschläge zahlen. Gewerbe und Industrien mit hohen Verbräuchen werden dagegen schon lange um Milliardenbeträge entlastet; sie zahlen zum Beispiel weniger Steuern, Netzentgelte, Umlagen oder auch Kosten aus dem Europäischen Emissionshandel. Vom sogenannten „Spitzenausgleich der Stromsteuer“ haben bisher circa 9000 Unternehmen profitiert. Besonders hungrige Stromverbraucher wie Stahl- oder Chemiewerke haben zudem am Strommarkt meist bessere Einkaufspreise ausgehandelt; wie günstig diese sind, weiß niemand – Betriebsgeheimnis.
3. Zahlt die Industrie im EU-Vergleich wirklich so viel mehr für Strom?
Laut Eurostat, der europäischen Statistikbehörde, liegt der hiesige Industriestrompreis innerhalb der EU im Mittelfeld. In manchen Nachbarländern wie Belgien, Dänemark oder Italien ist er deutlich teurer. In Frankreich dagegen ist er billiger, weil der Staatskonzern EDF große Menge an Strom zu regulierten Preisen abgeben muss. Aus dieser Subvention zieht vor allem die französische Industrie Vorteile.
4. Und wo liegt der Strompreis im weltweiten Vergleich?
Schwer zu beantworten, denn es fehlt eine gesicherte Datenbasis. Die Internationalen Energieagentur (IEA) sagt überschlägig: Die deutsche Megawattstunde kostete im zweiten Quartal dieses Jahres im Mittel 117 Euro. In Frankreich waren es knapp 84 Euro, in Japan umgerechnet etwa 59 Euro, in den USA knapp 35 Euro. In China, so heißt es, zahlen Industrielle wegen massiver Staatssubventionen sogar nur ein Viertel des deutschen Preises. Gunnar Groebler, Chef des Stahlkonzerns Salzgitter, fordert vom Staat auf lange Sicht einen Preiskorridor von 40 bis 60 Euro pro Kilowattstunde. Welche Firma global am Ende welchen Strompreis bezahlen muss, kann niemand wirklich beantworten. Denn neben Aufschlägen gibt es überall auch offene und versteckte Subventionen.
5. Weiß man überhaupt, wie viel die Industrie für Strom bezahlt?
Berechtigte Frage, bevor man über neue Subventionen nachdenkt. Aber leider gibt es auch dazu nur Durchschnittswerte. Kleine bis mittlere Industriebetriebe bezahlen laut BDEW im Mittel knapp 25 Cent. Für Großabnehmer (160.000 bis 20 Millionen kWh) schlägt die Kilowattstunde mit rund 26,5 Cent zu Buche. Zum Vergleich: Haushalte müssen derzeit gut 46 Cent überweisen (Monatsgrundgebühr eingepreist).
6. Welchen Anteil der Stromkosten verantwortet der Staat mit seinen Aufschlägen?
Bei Privathaushalten sind es laut BDEW rund 27 Prozent des Strompreises, den der Staat über verschiedene Umlagen und Steuern einstreicht (der Anteil ist gesunken, er lag 2018 schon mal bei 57 Prozent ). Bei kleinen und mittleren Betrieben macht er rund elf Prozent aus, bei Großverbrauchern etwa fünf Prozent.
7. Wie viele Unternehmen müssten gestützt werden, damit die Volkswirtschaft keinen Schaden nimmt?
Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Während die Lobbyverbände Zuschüsse für alle Bäckereien verlangen, obwohl die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, sind Wissenschaftler vorsichtiger. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rät in einer neuen Studie von einem subventionierten Industriepreis für die Strombeschaffung ab. Selbst bei steigenden Preisen droht nur wenigen Betrieben ein „Kostenschock“, weil sie die höheren Preise zumeist an die Kunden weitergeben können. Größe Verlagerungen von Firmen ins Ausland seien nicht zu erwarten. Das DIW plädiert aber für die Senkung der Stromsteuer, weil das allen Stromverbrauchern zugute käme.
8. Was würde ein subventionierter Industriestrompreis die Steuerzahler kosten?
Je nachdem, ob man sechs oder gar vier Cent je kWh zugrunde legt, müssten wohl 30 bis 50 Milliarden Euro eingesetzt werden.
Die besten Spartipps für jedermann

Bei den meisten Elektrogeräten lohnt es sich, den Stecker zu ziehen oder sie mit einer schaltbaren Steckerleiste vom Netz zu nehmen. Zu den großen Stand-by-Sündern gehören Fernseher, Receiver und Hifi-Anlagen, Computer samt Monitor, Drucker und DSL-Router. Der rote Leuchtschalter auf der Leiste muss aber auch tatsächlich gedrückt werden. In einer bundesweiten Umfrage fand das Öko-Institut Freiburg jedenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Steckerleisten - die Hälfte der Haushalte besitzt vier oder mehr davon - und dem tatsächlichen Ausschalten der Geräte.
Bewertung
•Investition: ab fünf Euro
•Amortisationszeit: nach wenigen Monaten
•CO2-Einsparung: rund 222 kg pro Jahr in einem Dreipersonenhaushalt
•Aufwand: im Prinzip einfach, allerdings eine Frage der Disziplin und Gewöhnung
Gesamturteil: ****
9. Welche politischen Folgen drohen, wenn Deutschland den Industriestrom subventioniert?
Würde Deutschland (nach Frankreich) diese Schleuse öffnen, würden andere EU-Staaten nachziehen wollen. Kritiker befürchten ein rastloses Subventionsrennen, das Milliarden verschlingt, ohne den eigentlich gesetzten Zielen der EU näherzukommen: dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien aus Wind, Sonne und Wasser und der Steigerung der europäischen Stromproduktion. Denn klar ist: Nur grüner Strom kann den Strompreis langfristig drücken. Allerdings werden auch dann EU-Staaten, die mit vielen erneuerbaren Quellen gesegnet sind, also etwa Spanien oder Norwegen dabei übermäßig profitieren. Deutschland wird ihnen gegenüber weniger wettbewerbsfähig sein. Deswegen empfehlen Experten der Industrie, umzudenken und den Segen des europäischen Binnenmarkts neu zu schätzen. Warum sollte die deutsche Industrie ihre Vorprodukte nicht künftig häufiger im billigeren EU-Ausland einkaufen, um sie daheim zusammenzubauen? Das würde diese Produkte attraktiver für den Weltmarkt machen.
10. Welche Folgen hätte ein Industriestrompreis für den Klimaschutz?
Ja. Wer billigen Strom geschenkt bekommt, strengt sich weniger an beim Energiesparen. Dabei zeigen Untersuchungen, dass in deutschen Firmen bei der Effizienz noch viel Luft nach oben ist. Das gilt auch für das Engagement, die Energiewende voranzutreiben: Laut Untersuchungen der staatlichen Förderbank KfW investiert bislang nur jedes vierte Unternehmen in Klimaschutz.