Jetzt also Italien. Nach all dem Hin und Her mit Deutschland legt sich Recep Tayyip Erdogan mit einem weiteren EU-Mitglied an. Die italienischen Richter sollten sich mit der Mafia befassen, empörte sich der türkische Präsident im italienischen Fernsehen – "nicht mit meinem Sohn". Andernfalls seien die Beziehungen zwischen den Staaten gefährdet.
Gemeint hat Erdogan seinen zweiten Sohn Bilal, mit vollem Namen Necmettin Bilal Erdogan, 35 Jahre alt, zweifacher Vater, Promotionsstudent in Bologna. Seit März, so schreiben italienische Medien, hält er sich in der Türkei auf, "aus Sicherheitsgründen", wie es heißt. Seit Februar dieses Jahres wird in Italien gegen ihn ermittelt. Und manches spricht dafür, dass die Untersuchungen nicht nur den Sohn, sondern auch die Belange der Familie Erdogan betreffen könnten.
Bilal Erdogan ist das dritte Kind des türkischen Präsidenten, und er hat eine steile Karriere gemacht: Studium in Harvard (Fach: Public Administration), Praktikant bei der Weltbank, heute ist Erdogan erfolgreicher Unternehmer. Doch seit 2013 hat das Bild des vielversprechenden Präsidentensohns Risse bekommen. Seither stehen immer wieder Vorwürfe gegen ihn im Raum.
Umstrittener Telefon-Mitschnitt
Im Dezember 2013 geriet Bilal Erdogan erstmals ins Visier der – damals türkischen – Justiz. Damals wurden im Zuge eines Korruptionsskandals zahlreiche Personen aus dem engen AKP-Umfeld festgenommen, auch Bilal Erdogan wird von vielen verdächtigt, Geld im Zusammenhang mit illegalen Iran-Geschäften beiseite geschafft zu haben. Bekannt wurde der Fall wegen eines angeblichen Telefon-Mitschnitts. In dem Gespräch, das Recep Tayyip Erdogan mit Bilal geführt haben soll, weist der Vater den Sohn an, Geld aus dem Haus zu schaffen. Die Echtheit des Mitschnitts wurde jedoch nie nachgewiesen, die Erdogans bestreiten sie. Die Regierung griff zu einem bis heute bewährten Mittel, um den Korruptionsskandal zu beenden: Sie ließ Polizisten und Staatsanwälte versetzen oder entlassen. Die Vorwürfe bezeichnete Erdogan als Komplott von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen, welchen er nun auch den Putschversuch zuschreibt.
Für Aufregung sorgte wenig später auch das Bekanntwerden einer riesigen Spendensumme von 100 Millionen Dollar, die aus dem Ausland über Jahre hinweg an die Stiftung Bilal Erdogans geflossen war. Die Opposition sah darin einen Hinweis auf Korruption; von wem das Geld genau stammt, ist nicht bekannt.
Tatsächlich ist Bilal nach Ansicht einiger Beobachter der, der sich um die Geschäfte der Familie Erdogan kümmert. Welche Geschäfte und ob sie alle legal sind, ist schwer nachzuvollziehen. Immer wieder ist von Korruption die Rede. Im Jahr 2006 hatte Bilal sein Promotionsstudium der Internationalen Beziehungen aufgenommen, es aber schon bald unterbrochen. Im Herbst 2015, als Erdogan senior um den Fortbestand seiner AKP-Alleinregierung fürchten musste, zog Bilal nach Bologna – um seine Promotion an der dortigen Johns Hopkins Unversität fortzusetzen, wie es hieß. Vielleicht fürchtete er jedoch nach einem möglichen Machtverlust seines Vaters auch, wieder Probleme mit der türkischen Justiz zu bekommen. Oder vielleicht – so spekulieren Gegner des türkischen Präsidenten – sollte er seine Rückkehr dazu nutzen, ein nicht ganz legal erworbenes Vermögen ins Trockene zu bringen.

Verdacht auf Geldwäsche
Seit Februar ermittelt die italienische Justiz nun gegen ihn. Grundlage sind die Vorwürfe des bekannten türkischen Großindustriellen Murat Hakan Uzan. Der in Paris lebende Erdogan-Gegner glaubt ebenfalls nicht an den plötzlichen studentischen Ehrgeiz Bilals und hat Anzeige gegen ihn erstattet. Sein Vorwurf: Der Präsidentensohn habe sich mit großen Geldsummen nach Italien abgesetzt, um sie dort reinzuwaschen. Bilal Erdogan bestreitet das, doch seither geht die italienische Justiz dem Hinweis nach; erst kurz nach dem Putschversuch in der Türkei wurden die Ermittlungen verlängert.
Trotz der drohenden Untertöne des türkischen Präsidenten haben sich die Italiener bislang unbeeindruckt gezeigt. "In diesem Land folgen die Richter dem Gesetz und der italienische Verfassung, und nicht dem türkischen Präsidenten. Das nennt man Rechtsstaatlichkeit", erklärte Ministerpräsident Matteo Renzi auf Twitter.
Vor ein paar Jahren noch hätte Erdogan in Italien vermutlich leichteres Spiel gehabt. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi gilt als Freund des türkischen Präsidenten und war im Jahr 2003 Trauzeuge bei Bilals Hochzeit.