In Berlin war Alejandro Agag ganz in seinem Element. Der Formel E-Gründer lächelte in die TV-Kameras, schüttelte die Hände der lokalen Prominenz, posierte mit FIA-Chef Jean Todt und verstrahlte schier grenzenlosen Optimismus. Vordergründig hatte der umtriebige Geschäftsmann auch allen Grund dazu. Vor dem entscheidenden Rennwochenende in Berlin hatten theoretisch noch 18 Fahrer die Chance auf den Weltmeistertitel vor dem finalen Lauf auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Tempelhof waren es noch 14, sieben davon hatten es in der eigenen Hand. Deutlich spannender als in der Formel 1, wo bereits bei der Hälfte der Saison feststeht, dass entweder Lewis Hamilton oder Max Verstappen sich die Krone aufsetzen werden. Das Rennen war spannend bis zum Schluss und letztendlich sicherte sich der Niederländer Nyck de Vries den Weltmeistertitel bei den Fahrern und sein Mercedes-EQ Rennstall bei den Teams.
Eigentlich ideale Voraussetzungen. Doch hinter den Kulissen ist die Formel E-Welt nicht ganz so strahlend, wie man glaubt. Mercedes schiebt ein klares Bekenntnis zur Formel E vor sich hier und vermeldet auf Nachfrage schmallippig: "Bisher gibt es keine Neuigkeiten, über die wir berichten könnten." Ein klares "ja, wir machen auch nach 2022 weiter" hätte genügt. Im Berliner Fahrerlager meldete der Flurfunk bereits den Ausstieg des Sternenteams. Zumal Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff in Berlin zu Protokoll gab, dass man das Formel-E-Engagement ständig auf den Prüfstand stellt. Der Abschied wäre ein herber Schlag für die Formel E. Mit BMW und Audi haben zwei renommierte Automobilhersteller ihren Abschied von der Formel E Rennserie erklärt. Eigentlich verwunderlich. Schließlich bietet die Formel E eine Nähe zu Serie, wie weit ausgeprägter ist, als das bei der hochgezüchteten Formel 1 der Fall ist. "Wir sammeln bei der Formel E Erfahrungen unter härtesten Bedingungen, die auch für zukünftige Serienmodelle wichtig sind", erläutert Jaguar-Teamchef James Barclay.
Für die beiden deutschen Autobauer ist das nicht genug. Schließlich sind Rennserien für Premium-Hersteller wie Audi und BMW immer auch ein Schaufenster, um das technische Können zu präsentieren. Sei es der bärenstarke Zehnzylinder-Motor bei BMW in der Formel 1 oder Audis "Vorsprung durch Technik" bei den Triumphen bei den 24 Stunden von Le Mans. Beide Hersteller wollen sich übrigens der LMDh-(Le Mans Daytona hybrid) Serie anschließen und wieder an dem französischen Rennsportklassiker teilnehmen. Offenbar klingen Slogans wie "Technik gestählt im unerbittlichen 24 Stunde-Duell" für die Marketingexperten aus Ingolstadt und München verlockender als ein Sieg in der Formel E.
"Wir wollen unsere eigene Geschichte schreiben", erklärt Audi-Sportchef Julius Seebach. Das bedeutet aber nichts anderes, dass man mit dem Formel-E-Reglement an Grenzen gestoßen ist, da in der Rennserie viele Elemente des Autos wie die Batterie bei allen Teams identisch ist. Statt durch Städte wie Berlin und New York werden sich die Ingolstädter schon im nächsten Jahr mit einem Elektrorenner der Rallye Dakar stellen. Mit selbst entwickelten Akkus inklusive Energiemanagement. "Die Regeln erlauben uns mehr Freiheiten bei der Entwicklung der Fahrzeuge", sagt Julius Seebach. Das Gleiche gilt für die LMDh Serie, wo Audi 2023 einsteigen und an den 24 Stunden von Le Mans teilnehmen wird. Auch Porsche wird zusammen mit Penske um sportliche Ehren fahren. Diese Entscheidungen zeigen, dass vor allem die Premium-Autobauer den Rennsport als Technologie-Schaufenster sehen und nach wie vor dem altbekannten Motto "win on Sunday, sell on Monday" (gewinne am Sonntag und verkaufe am Montag) agieren.
Porsche betrachtet die Formel E-Boliden als rollendes Versuchslabor "Es geht bei unserem Engagement um die Grundlagenentwicklung des Antriebsstrangs und das können wir in der Formel E sehr leisten, da hier das höchste Niveau des Rennsports herrscht", erklärt Pascal Zurlinden, Gesamtprojektleiter Werksmotorsport. Vor allem die enge Verknüpfung der Entwicklungsteams für die Formel E und der Ingenieure, die an den Serienautos tüfteln, sehen die Zuffenhausener als Vorteil an. Audi betont, dass sie die Formel E nicht verlassen, weil die Rennserie ein schlechtes Produkt sei, man sich aber neuen Herausforderungen stellen wolle. Allerdings tanzt Porsche auf zwei Hochzeiten und wird sich ebenfalls in der LMDh-Serie der Konkurrenz stellen. Keine guten Nachrichten für die Formel E-Verantwortlichen, da der Sportwagenbauer sicher genau abwägen wird, wo das Geld sinnvoller eingesetzt wird. Deswegen hat die Formel E eine Kostenbremse für die nächste Saison beschlossen: maximal 25 Millionen Euro für die Hersteller und maximal 15 Millionen Euro für die Kundenteams.
Für die Formel E wird viel davon abhängen, wie gut das dem Gen-3-Auto ab 2023 gelingt. Die ersten Pläne inklusive klingen Leistungssteigerung vielversprechend. Genauso entscheidend ist das Starterfeld, und ob es dem Formel-E-Management gelingen wird, namhafte Hersteller wie Mercedes zu halten und mit McLaren oder eventuell sogar Aston Martin neue Zugpferde dazugewinnen wird. Jaguar Teamchef James Barclay sieht die Formel E auf einem guten Weg: "Wir bringen den E-Rennsport in die Städte und das ist eine gute Sache. Im nächsten Jahr kommen mit Kapstadt, Vancouver und Seoul drei attraktive Orte dazu." Der große Trumpf der Formel E ist die Tatsache, dass sie bis zum Jahr 2039 die Rechte an vollelektrischen Monoposto-Rennen besitzt.