Wichtig für Wartung und Reparatur Mercedes-Benz kappt Händlern in Russland den Softwarezugang

  • von Christian Herrmann
Eine Frau geht vor einem Mercedes-Benz-Autohoaus in Moskau spazieren, im Schaufenster ein weißer Mercedes
Eine Frau geht im Oktober 2022 vor dem Mercedes-Benz-Autohaus Avilon in Moskau spazieren (Archivfoto)
© Mikhail Tereshchenko / Picture Alliance
Wegen des russischen Angriffskrieges hat Mercedes-Benz sein Russland-Geschäft verkauft. Jetzt kappt der deutsche Konzern russischen Händlern auch alle Softwareverbindungen – das heißt, frühere Vertragshändler und Werkstätten bekommen bei Wartung und Reparatur wahrscheinlich bald Schwierigkeiten.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei ntv.de  

Im April 2019 ist die deutsch-russische Welt noch in Ordnung: Gemeinsam eröffnen der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der russische Präsident Wladimir Putin in Moskau das erste Mercedes-Benz-Werk des Landes. Nur vier Jahre später zieht der deutsche Autokonzern einen Schlussstrich unter sein Russlandgeschäft: Die russische Tageszeitung "Iswestija" berichtet, dass Mercedes-Benz seinen früheren Vertragshändlern und Vertriebspartnern in Russland alle Softwareverbindungen gekappt hat.

Seine Fertigung in Russland hatte der Konzern bereits im Februar 2022 kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine eingestellt. Gleichzeitig wurde damals beschlossen, keine neuen Autos mehr in das Land von Kremlchef Putin zu exportieren. Im vergangenen Oktober gab Mercedes den Verkauf seines gesamten Russlandgeschäfts mit mehr als 1000 Beschäftigten an den russischen Investor Avtodom bekannt. Vollzug wurde im April vermeldet. Jetzt folgt der elektronische Ausstieg.

Konkret bedeutet dies, dass Avtodom und die bisherigen Vertragshändler Wartung und Reparatur in Zukunft in Eigenregie anbieten müssen. "Die Transaktion beinhaltete auch das Servicegeschäft", antwortet Mercedes-Benz auf Nachfrage von ntv.de. "Die Verpflichtungen aus Garantieansprüchen von Kunden gingen mit der Transaktion an den Käufer über."

Fehlender Softwarezugang von Mercedes erschwert Wartung und Reparatur deutlich

Ohne den Softwarezugang von Mercedes ist das allerdings eine komplizierte Angelegenheit. Denn genauso wie Fernseher, Waschmaschinen und andere elektronische Geräte sind auch Autos längst rollende Computer. Liegt ein Schaden vor, muss meist kein Mechaniker mehr ran, oft handelt es sich um einen Systemfehler, der ausgelesen werden muss, bevor man ihn beheben kann.

Doch bei Mercedes ist die elektronische Fehlererkennung ab sofort Geschichte. Der frühere Vertriebspartner MB RUS bestätigt in der Zeitung "Iswestija", dass alle russischen Händler ihren Zugang zur Systemsoftware verloren haben. Nach dem Ausstieg der Mercedes-Benz AG aus dem russischen Markt habe man keine Möglichkeiten mehr, installierte Serviceangebote zu prüfen und durchzuführen, erklärt das Unternehmen. Man werde Reparatur und Wartung künftig auf Basis "gesammelter Erfahrungen und Kenntnisse" durchführen. Im besten Fall werden sich Reparatur- und Wartungszeiten demnach verlängern, im schlimmsten Fall sind sie nur noch eingeschränkt oder gar nicht möglich.

Was Mercedes-Fahrern droht, zeigen Beispiele anderer Marken, denn auch Skoda, Kia, Nissan und Renault haben sich bereits vom russischen Markt zurückgezogen. Ihre Kunden konnten nach Angaben von "Iswestija" anschließend ihr Auto nicht mehr aus der Ferne öffnen oder nicht mehr starten. Klappte dies doch, wurde teilweise nicht mehr angezeigt, wie viel Benzin noch im Tank steckt. Berichte zu Problemen mit der Motorsteuerung, dem Antiblockiersystem und auch den Bremsen liegen ebenfalls vor.

"Software befindet sich nicht auf CD"

Denn westliche Hersteller bauen nicht nur Smartphone, Auto oder Turbine. Apple, Google, Siemens, Microsoft, VW, Mercedes, Boeing oder Airbus kontrollieren auch die Software, mit denen Gerät oder Maschine betrieben werden. Westliche Software sei ein scharfes und mächtiges Schwert, hatte Alexander Libman von der Freien Universität Berlin bereits im "Wieder was gelernt"-Podcast von ntv.de am Beispiel von SAP erklärt.

"Man kann technologische Dienstleistungen und moderne Software wie zum Beispiel von SAP nicht aus anderen Quellen beziehen, wenn sie keine Updates mehr liefern", sagte der Politologe. "Das geht nicht. Die Software befindet sich nicht mehr auf CD oder DVD und kann auf einen Computer gespielt werden, damit er funktioniert."

Russland industrialisiert rückwärts

Russland bleiben nur zwei Möglichkeiten. Das Land kann versuchen, sich mit Fremd- oder Drittprogrammen Zutritt zur Betriebssoftware zu verschaffen, also reinzuhacken. Doch auch das ist nicht ohne Risiko, wenn versehentlich wichtige Einstellungen verändert oder abgeschaltet werden. Im Fall von Mercedes könne die Deaktivierung zum Beispiel zu Problemen bei den Alarmanlagen und bei der Codierung von Autoschlüsseln führen, warnt allerdings ein Automobilexperte bei "Iswestija".

Russland kann auch versuchen, westliche Technologie mit Alternativen aus dem Ausland zu ersetzen oder sie sogar selbst zu entwickeln und zu produzieren. Aber das braucht seine Zeit, falls es überhaupt funktioniert: Vor allem gut ausgebildete Russen sind in Scharen vor dem Krieg und der russischen Mobilisierung geflüchtet und können nicht mehr helfen. Wahrscheinlicher ist in beiden Fällen, dass Russland sich anpassen und an schlechtere Qualität zu einem höheren Preis gewöhnen muss. Es findet eine schleichende Rückwärts-Industrialisierung statt.

So fasst es auch ein Branchenexperte in der "Iswestija" zusammen: Natürlich könne man die Einschränkungen von Mercedes umgehen. Einfacher und wahrscheinlicher aber sei, dass die Nachfrage nach älteren Modellen, weniger "schicken" und weniger modernen Fahrzeugen steigen werde.

ntv.de, ckön