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Ab 2020 "Beschissene Maßnahme": Niederlande führen schärfstes Tempolimit Europas auf Autobahnen ein

Die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland
Die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland. Als erstes Land in Europa führen die Niederlande Tempo 100 als Höchstgeschwindigkeit auf allen Autobahnen ein
© Friso Gentsch / DPA
Unser Nachbarland überschreitet seit Langem die EU-Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden. Jetzt greifen die Niederlande zu einem drastischen Gegenmittel: Auf Autobahnen soll zu bestimmten Tageszeiten Tempo 100 gelten.

Die Niederlande führen als erstes Land in Europa Tempo 100 als Höchstgeschwindigkeit auf allen ihren Autobahnen ein. Zwar sei dies eine "beschissene Maßnahme", jedoch sei das Tempolimit nötig, um den Ausstoß von Stickoxiden zu senken, sagte Ministerpräsident Mark Rutte am Mittwoch. "Niemand findet das schön, aber es geht hier wirklich um höhere Interessen", sagte der Regierungschef nach Angaben der niederländischen Nachrichtenagentur ANP. Ruttes rechtsliberale Partei VVD hatte vor einigen Jahren noch maßgeblich dafür gesorgt, dass vielerorts das niederländische Autobahn-Tempolimit von 120 auf 130 erhöht wurde.

Gelten soll das Tempolimit laut der Nachrichtenagentur AFP ab 2020 – dann sind die Niederlande gemeinsam mit Zypern das Land mit der geringsten Maximalgeschwindigkeit auf Autobahnen in Europa. Die Ministerin für Infrastruktur, Cora van Nieuwenhuizen, will laut ANP bis Ende Dezember einen konkreten Plan vorlegen. Ausnahmen von Tempo 100 soll es zwischen 19 Uhr und 6 Uhr geben – allerdings nur für jene Autobahnabschnitte, auf denen bisher auch tagsüber maximal Tempo 130 erlaubt war.

Relativ hohe Zustimmung für Tempolimit in den Niederlanden

Der niederländische Verkehrsclub ANBW, eine Partnerorganisation des deutschen ADAC, bezeichnete die Einführung von Tempo 100 als gewöhnungsbedürftig. Allerdings hätten 51 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage unter ANBW-Mitgliedern diese Regel zum Schutz der Natur als positiv bezeichnet – im Gegensatz zu 34 Prozent, die Tempo 100 ablehnten.

Grund für die Tempo-Kehrtwende sind anhaltend hohe Emissionen von Stickoxiden, die gemessen an der Fläche des Landes, EU-Grenzwerte erheblich übersteigen. Das höchste Gericht und Beratungsgremium der Regierung der Niederlande, der Raad van State, hatte angesichts dessen im Mai große Bauvorhaben gestoppt und die Regierung vor die Wahl gestellt, wirksamere Maßnahmen zur Stickoxidreduzierung zu ergreifen oder diese Projekte zu streichen – darunter Tausende von Wohnungen, aber auch Infrastrukturbauten wie die Erweiterung von Autobahnen. Auch beim Bauen wird, etwa durch den Erdaushub, Stickstoff freigesetzt.

"Eine Krise für unser Land"

Rutte verwies darauf, dass die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte für die Niederlande besonders schwierig sei. "Das ist eine Krise für unser Land und für die Regierung von bislang nicht gekanntem Ausmaß", sagte er vor Reportern. Zu den Ursachen gehört Experten zufolge, dass die Niederlande nach der Inselrepublik Malta der am dichtesten besiedelte Staat in der EU ist und nur über wenig natürliche Ausgleichsflächen oder größere Naturschutzgebiete verfügt, in denen Stickoxid abgebaut wird.

Der "Stickstoffplan" der Regierung sieht neben Tempo 100 eine Reihe weiterer Maßnahmen vor. Unter anderem soll in der Rinderhaltung mehr enzymreiches Futter verwendet werden, wodurch Kühe weniger Ammoniak abgeben sollen. Umweltorganisationen wie Greenpeace hatten auch eine Reduzierung des Nutztierbestandes gefordert, was zu Protestaktionen von Bauern führte.

anb DPA AFP

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