In einem offenen Brief fordern mehrere Verbände die Schließung eines Schlupfloches bei der Typgenehmigung von Fahrzeugen in der Europäischen Union, durch das "Tausende neuer Pick-up-Trucks aus den USA in die EU gelangen" und die europäischen Sicherheits- und Umweltvorschriften umgehen können.
Zu den sieben Verbänden, die vor den Fahrzeugen aus den USA warnen, gehören der Europäische Radfahrerverband (ECF), der Internationale Fußgängerverband und der Europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC). Sie warnen vor einem "dramatischen Anstieg" der Importe von großen Pick-up-Trucks in die EU, die über die "Einzelgenehmigung für Fahrzeuge" (IVA) eingeführt würden. Die Nutzung der IVA für sogenannte Off-Road-Fahrzeuge stieg demnach von 2900 Neuzulassungen im Jahr 2019 auf 6800 im Jahr 2022. Zuerst hatte das Online-Magazin "Politico" berichtet.
"Diese Fahrzeuge sind für den Einsatz in Europa nicht geeignet"
Die EU-Typgenehmigungsvorschriften legen das Verfahren fest, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug Sicherheits- und Umweltstandards erfüllt. Autohändler können jedoch auch Autos von außerhalb der EU importieren, die keine Typgenehmigung für den Verkauf auf dem EU-Markt haben, indem sie ein IVA-Verfahren durchlaufen.
Die Autoren des offenen Briefes an die EU-Kommission warnen jedoch, dass die IVA ein Schlupfloch sei, da es keine Obergrenze für die Anzahl solcher Fahrzeuge gebe. Damit würden auch Umweltstandards wie Luftqualitätsvorschriften umgangen, befürchten die Verbände. Auch die Sicherheit sei nicht gewährleistet.
"Diese Fahrzeuge sind für den Einsatz in Europa nicht geeignet. Mit einer Frontpartie, die oft höher ist als ein zehnjähriges Kind, sind sie nicht nur gefährlich, sondern haben auch eine sehr schlechte Direktsicht", heißt es in dem Brief, der an Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, und weitere EU-Kommissare adressiert ist. Die Sicht der Pick-up-Fahrer auf andere Verkehrsteilnehmer sei schlecht, vor allem Kinder direkt vor dem Fahrzeug seien schlecht zu sehen.
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Studie: Pick-ups erhöhen Risiko für andere Verkehrsteilnehmer
Außerdem seien Pick-ups schwerer zu manövrieren und "verletzen bei Unfällen andere Verkehrsteilnehmer nachweislich in erschreckend höherem Maße als normale Pkw". So sei die Zahl der tödlichen Unfälle mit Fußgängern in den USA in den letzten Jahren gestiegen. Die Autoren des Briefes bringen dies mit dem "enormen Anstieg" der Verkaufszahlen von großen Pick-ups und Geländewagen in Verbindung.
"Die EU bietet keine Schlupflöcher für den Import nordamerikanischer Lebensmittel, die nicht den EU-Standards entsprechen, wie zum Beispiel chloriertes Hühnerfleisch oder hormonbelastetes Rindfleisch. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Fahrzeuge, die nicht den Sicherheits- und Umweltstandards der EU entsprechen, in die EU importiert werden dürfen", kritisieren die Autoren.
Tatsächlich hat eine Studie des belgischen Verkehrssicherheitsinstituts Vias ergeben, dass die Insassen von Pick-ups ein geringeres Risiko haben, schwer oder tödlich verletzt zu werden als die Insassen eines normalen Pkw. Auch andere Verkehrsteilnehmer haben ein höheres Risiko, durch einen Pick-up schwer oder tödlich verletzt zu werden als durch einen Pkw.

Pick-ups und SUVs kollidieren häufiger mit Fußgängern
Konkret in Zahlen: Das Risiko, schwer verletzt zu werden, sinkt für die Insassen eines Pick-ups um 65 Prozent, während es für die Insassen eines Pkw, der in einen Unfall mit einem solchen Wagen verwickelt ist, um 50 Prozent steigt. Für einen Fußgänger oder Radfahrer, der von einem Pick-up angefahren wird, steigt das Risiko schwerer Verletzungen um 90 Prozent, das Risiko tödlicher Verletzungen sogar um fast 200 Prozent. Für die Studie hat Vias Unfälle zwischen 2017 und 2021 analysiert.
Auch das US-amerikanische Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) kam in einer Studie zu dem Ergebnis, dass SUVs, Pick-ups, Vans und Minivans beim Abbiegen deutlich häufiger mit Fußgängern kollidieren als andere Fahrzeuge. Dies deutet darauf hin, dass diese größeren Fahrzeuge den Fahrern möglicherweise keine gute Sicht auf Menschen bieten.
"Es ist möglich, dass die Größe, Form oder Position der A-Säulen, die das Dach auf beiden Seiten der Windschutzscheibe tragen, es den Fahrern dieser größeren Fahrzeuge erschweren, Fußgänger beim Abbiegen zu sehen", sagte Wen Hu, Senior Transportation Engineer beim IIHS.
Die Verfasser des Briefes an die EU-Kommissare schließen mit der Forderung nach einem einheitlichen Sicherheits- und Umweltstandard für den gesamten EU-Markt – ohne Hintertüren für ungeeignete und unsichere Fahrzeuge. "Wir fordern Sie nachdrücklich auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Fahrzeuge, die auf den EU-Markt für Neufahrzeuge kommen, alle einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllen.
Quellen: Offener Brief, Vias, IIHS, "Politico", Tüv-Nord