Früher war die Welt noch klar: Klein stieg man ein und saß sich durch verschiedene Innenräume, bis man irgendwann die Spitze des Automobilbaus erklimmen durfte. In der hierachischen Struktur galt ein kleiner verbaler Nackenschlag für den Beginner als angebracht. Wer in den "Kadett" einstieg, fühlte sich wie Donald Duck in Matrosenuniform, vom "Kapitän" und "Admiral" durfte er ja träumen. Beim Daimler war es ähnlich, mit dem 190er fing die Welt an, dann galt: mehr Hubraum, mehr Status. Und bei VW war es ganz übersichtlich, da gab es den Käfer und den Bully. Die Ständegesellschaft in Blech war leicht zu verstehen, auch weil es weniger Marken und fast keine Varianten gab.
Explosion der Typen
Kleine Erinnerung: Von einem Bestseller wie dem Käfer gab es auf dem Markt: den Käfer mit verschiedenen Motoren, ein Cabrio und den Karmann Ghia mit drei Varianten. Heute werden auf Plattformen wie Ford Focus oder Golf über dreißig verschiedene Fahrzeuge und Varianten angeboten. Jüngstes Beispiel: Kaum ein Kunde, der sich das Designmobil C 30 zulegen will, ahnt, dass er auf der Basis eines ordinären Ford Focus dahinrollt. Das Unterscheidungsbedürfnis der Kunden und die entsprechende Stückelung des Marktes wird die Zahl der Typen und ihrer Namen auch in Zukunft weiter anschwellen lassen.
Neben dem Wunsch, etwas Besonderes zu konsumieren, gesellt sich der schleichende Tod der Limousine, früher häufig die alleinige Form eines Fahrzeugs. Zögerlich setzte sich in den Siebzigern der Handwerker-Kombi durch. Und was gibt es heute? SUVs, Offroader, MiniMiniVans, kompakte MiniVans, normale Minivans, große MiniVans, Lifestylekombis, Roadster, Coupé, Cabrio und CC-Varianten. Hinzu kommt noch eine Armada von Nutzfahrzeug-Derivaten für den Privatkunden vom Viano bis zum Kangoo. Sicher, auch früher hat es einige dieser Formen gegeben, aber meist als Nischenfahrzeug von speziellen Anbietern, heute werden aus jeder Plattform alle möglichen Varianten herausgepresst. So kommt es, dass der Katalog der Automobil Revue 1500 Fahrzeuge aufzählt, die aktuell produziert werden. Bei dieser Zahl fällt es naturgemäß schwer, den Überblick zu bewahren.
Land der Dichter
Einen murkeligen Begriff wie "Kadett" darf man König Kunde heute nicht mehr vorsetzen. "Klingen" soll der Name bereits für die Einstiegsmodelle, international soll man ihn auch verstehen. Missgriffe wie einen "Pajero" möchte man durch die Dienste hochbezahlter Agenturen vermeiden, bedeutet das Wort im Spanischen doch schlicht "Wichser". Das Bestreben einen unverwechselbaren und dabei weltweit sinnfreien Wohlklang zu kreieren, produziert Namen wie Vectra oder Qashqai. Gerade weil diese Kunstworte rein gar nichts bedeuten, können sie auch kaum der Orientierung dienen. Hinter Nissans "Qashqai" könnte sich ein beinharter Offroader oder ein Familientransporter verbergen, tatsächlich ist es ein kompaktes Crossoverfahrzeug. Wer - wie VW - nicht auf komplette Neuschöpfungen vertraut, muss mit unangenehmen Überraschungen leben. Der Hang zur Mytholgie beim Eos (Göttin der Morgenröte) und Phaeton (Sohn des Sonnengottes) ist nicht ungefährlich. In der Malerei ist Herr Phaeton wohlbekannt, weil ausgerechnet er mit seinem Sonnenwagen einen Unfall mit so schrecklichen Verwüstungen anrichtete, dass ihn Gottvater Zeus auf der Stelle mit Blitzschlag hinrichtete. Die Kunstbanausen von Volkswagen bemerkten erst sehr spät, dass ein göttlicher Bruchpilot Pate fürs Flaggschiff stand.
Irrsinn mit System
Immerhin halten Hersteller wie etwa BMW, Peugeot und Audi auf Zucht und Zahlen. Mit kleinen Nummern fängt es an, wachsen die Ziffern, wird auch der Wagen größer. A2, A3, A4, A6, A8 und 107, 207, 306 etc. Wer aus der Reihe tanzt bekommt eine Sonderkombination. Q7 und TT in Ingolstadt und "1007" bei den Franzosen. Das hört sich so einfach und so klar an. Das stringente System wird leider schnell abstrus. In der Praxis kann nur der Kenner eine Ordnung erkennen. Für besondere Karosserieformen gibt es einen Kunstbegriff. "Kombi" sagt jeder, also sprechen wir von einem "A6 Avant". Unter einem Blechkleid kann sich vom Vier-Zylinder-Diesel-Sparmotor bis zum 8-Zylinder-Motor alles verstecken, das möchte man zeigen. Häufig und verständlich mit einer Ziffernfolge, die den Hubraum andeutet. Meistens - aber nicht immer: Ein "BMW 335i" hat exakt 2979 ccm Hubraum, aber mehr Leistung als ein anderer Drei-Liter-Benziner von BMW. Daher der Ziffern-Zuschlag. Wenn man sich an die Regeln hält, heißt es: "Audi A6 3.0 Avant". Ähnlich wie beim Alltagsbegriff "Kombi" darf es jetzt nicht allzu simpel mit Diesel oder Benziner weitergehen, hier kommen durchaus ernstgemeinte Abkürzungen hinzu. Was Fsi, Tdi, Hdi etc. bedeuten mögen, weiß selbst der Besitzer nicht mehr. Beim Audi hieße das jetzt "Audi A6 Avant 3.0 TDI". Kommt noch ein Allrad - im Audi-Deutsch "quattro" - hinzu, will der Mittelklassekombi mit "Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro" angesprochen werden. Damit noch nicht genug der Konfusion aus Ingolstadt. Selbst der Grundpfeiler der Namensgebung, das "A" steht zur Disposition und kann durch ein "S" für sportliche Modelle und "RS" für noch sportlichere Modelle ersetzt werden.
Schöner Schein
"Jedem Kunden sein individuelles Auto", lautet der Wahlspruch. Dazu gehört, stets eigene Wort und Kürzelkreationen anzubieten. Dass sich hinter dem Zusatz "Works" beim Mini nicht die Handwerkerversion, sondern die Leistungsspitze verbirgt, kann man nicht intuitiv erahnen, man muss es wissen. In Kauf genommen wird, dass die Transparenz immer weiter abnimmt. Der Begriff für das zentrale System der Fahrsicherheit und Fahrdynamik "ESP" (Elektronisches Stabilitätsprogramm) wurde durch jeweils eigene Kürzel-Kreationen der Hersteller ersetzt. Ergebnis: viele Laien haben keinerlei Vorstellung, wozu dieses im Zweifel lebensrettende System gut sein soll. Unter Innovationen wie "Airbag" und "ABS" kann sich dagegen jeder Nichtfachmann noch etwas vorstellen. Als sie entwickelt wurden, gaben sich die Hersteller noch mit einem allgemeinen Gattungsnamen zufrieden.