D ie Tage des alten Volvo sind ge zählt. Vor ein paar Jahren noch verbrachte Matthias Gindhart, 30, einen Urlaub auf Korsika - zusammen mit seiner Freundin, deren Sohn und seinem schwarzen Volvo, Baujahr 94. Im Gepäck hatten die drei ein Zelt, doch aufgebaut haben sie es selten. Ein paarmal schliefen sie im Hotel, "aber die schönsten Nächte waren die im Kofferraum des Volvo", sagt Gindhart.
Zwar fährt der Kombi trotz seiner 260 000 Kilometer noch zuverlässig durch Gindharts Heimatstadt München, doch wird der sich von dem Wagen wohl trennen müssen. Nach Beschluss des Münchner Stadtrats gilt der Bereich innerhalb des Mittleren Rings ab 1. Oktober 2007 als "Umweltzone". Stimmt auch der Regierungsbezirk Oberbayern zu, dürfen in dem rund 40 Quadratkilometer großen Gebiet keine Benziner ohne Kat und keine Diesel ohne Rußfilter mehr fahren.
Das Verbot gilt ganzjährig. Am stärksten davon betroffen sind rund 22 000 Pkw-Halter, die in der geplanten Sperrzone wohnen - sofern sie keinen Kat oder Rußfilter nachrüsten×. So darf Matthias Gindhart dann mit seinem alten Diesel-Volvo weder zu seiner Wohnung noch zu seinem Arbeitsplatz in einem Schwabinger Architekturbüro fahren. Doch auch auswärtigen Pendlern, Geschäftsreisenden oder Touristen wird, falls sie mit Dreckschleudern unterwegs sind, die Zufahrt in die City verwehrt werden.
Das Umweltbewusstsein der Stadt-Manager hat Konjunktur in Deutschland. Vom 1. Januar 2008 an soll für die Zentren von Köln, Berlin und Frankfurt die gleiche Regelung gelten. München ist Vorreiter. "Damit beginnen wir endlich mit einer Dauerlösung gegen die Feinstaubbelastung", sagt Günter Wegrampf, Stadtdirektor im Gesundheits- und Umweltreferat der bayerischen Metropole. Die ultrafeinen Rußpartikel im Feinstaub stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass die Partikel die Lebenserwartung der Deutschen durchschnittlich um fast ein Jahr verkürzen.
Allerorten werden Luftreinhaltepläne für Innenstädte erarbeitet. Die deutschen Behörden hat eine EU-Feinstaubrichtlinie mit strengem Grenzwert aufgeschreckt, die seit Januar 2005 europaweit in Kraft ist. Sie schreibt vor, dass die Höchstmenge von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Atemluft nur an 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf. Das hat kaum eine deutsche Stadt geschafft. Nach einer Statistik des Umweltbundesamtes (UBA) wurde dieser Grenzwert im vergangenen Jahr an den 400 Messstationen in Deutschland insgesamt 6537-mal überschritten. Spitze war München: Fast jeden dritten Tag lag die Feinstaubkonzentration an der Landshuter Allee über dem Grenzwert.
Dieter Janecek, 30, Anwohner der Landshuter Allee, hatte von diesem Zustand die Nase voll und klagte gegen die Stadt. Janecek: "Ich bin immer mit dem Fahrrad unterwegs, und auf der Landshuter Allee und den angrenzenden Straßen ist es besonders schlimm." Beim Berufungsverfahren am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az. 22 BV 05.2462) wurde der Freistaat im Mai zur Aufstellung eines Aktionsplans gegen die Feinstaubbelastung an der hochbelasteten Straße verpflichtet. Dieses Urteil dürfte die Beratungen über eine Innenstadt-Umweltzone beschleunigt haben. "Es passiert eben erst etwas, wenn Druck ausgeübt wird", sagt Janecek.
Dass sich jedoch durch solch einen Verbotsbereich die Luft wirklich verbessert, ist nicht garantiert. Denn Feinstäube bestehen nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages nur zu etwa einem Drittel aus den Schadstoffen von Autos. Die mikroskopisch kleinen Partikel werden auch bei Verbrennungsprozessen von Industrie und Haushalten in die Luft geblasen oder etwa aus dem Erdreich aufgewirbelt. Münchens Stadtdirektor Wegrampf mutmaßt deshalb, dass "wir trotz der Umweltzone weiterhin an vielen Tagen Überschreitungen haben werden".
Oldtimer-Besitzern stinken die Pläne gewaltig. Falls keine Ausnahmeregelung für die Schmuckstücke kommt, werden die betagten Ferraris, Rolls-Royce oder auch nur Opel Kapitäne nicht mehr über die Boulevards der Münchner City rollen dürfen. "Die alten Autos auszusperren bringt gar nichts", schimpft Peter Praller, 39. "Die paar Oldtimer ohne Kat machen doch längst nicht so viel Dreck wie die großen Industrieanlagen." Seine Oldie-Werkstatt Formula GT liegt außerhalb der geplanten Münchner Umweltzone, trotzdem fürchtet er um sein Geschäft. "Wenn man mit dem Oldtimer nicht mehr in die Stadt darf, kauft sich doch niemand so einen", sagt Praller.
Die meisten seiner Kunden kommen mit italienischen Modellen, zum Teil mehr als 100 000 Euro wert. Zum Beispiel Klaus-Dieter Wenk, der seinen silbernen Ferrari 333 GTC in Prallers Werkstatt zur Reparatur eines klemmenden Fensterhebers abgegeben hat. Auf Ausflüge zur Promi-Pizzeria Roma in der Münchner Innenstadt will er mit dem 68er-Ferrari nicht verzichten und motzt: "Wenn die Ernst machen mit der Umweltzone, zieh ich hier weg."
Betroffen sein werden von dem Fahrverbot jedoch weniger die Oldtimer-Fahrer, die sich meist einen sauberen Zweitwagen leisten können. In der Masse geht es vor allem um Leute, die aus Geldnot statt eines Autos mit Abgasreiniger einen alten Stinker fahren. Auch deswegen sagt Michael Niedermeier, beim ADAC Referent für Umwelt und Verkehr: "Wir lehnen die Umweltzone ab. Die Feinstaubemissionen müssen zwar gesenkt werden, aber dafür die Menschen aus den Innenstädten auszusperren, das ist keine Lösung." Und er verlangt Ausnahmeregelungen für die Anwohner innerhalb des Mittleren Rings.
Doch da beißt er bei Günter Wegrampf auf Granit: "Wir werden keine Großgruppen in die Ausnahmeregelungen aufnehmen. Wenn jeder Anwohner eine erhält, führt das die Umweltzone ad absurdum." Wie die Ausnahmen geregelt werden, berät der Stadtdirektor derzeit mit den Verkehrsexperten Münchens. "Eine gelähmte Frau mit Altauto hat eher Chancen auf eine Sondergenehmigung als ein Club nostalgischer Autobesitzer", sagt Wegrampf.
Wie grundsätzlich mit den Zufahrtsberechtigungen umgegangen wird, hat das Bundeskabinett im Rahmen der Feinstaub-Verordnung Ende Mai beschlossen. Diese tritt im März 2007 in Kraft und erlaubt jedem Bürger, für sich saubere Luft einzuklagen. Danach dürfen nur Autos in die Schutzzonen, die je nach Euro-Abgasnorm eine grüne (Euro 4), gelbe (Euro 3) oder rote Plakette (Euro 2) an der Windschutzscheibe haben. Draußen bleiben müssen vor allem Altwagen, die lediglich die Abgasnorm Euro 1 erfüllen oder wegen eines fehlenden Kats sogar noch mehr Schadstoffe ausstoßen. Das trifft auf 5,9 Millionen Kraftfahrzeuge in Deutschland zu, also etwa jeden achten Wagen. Wenn die Feinstaubbelastung nicht sinkt, stehen Anwälte wie Remo Klinger aus Berlin bereit, die deutschen Städte juristisch zur Einhaltung der Grenzwerte zu zwingen. Die Umweltorganisation BUND hat bereits eine Klagestrategie für diesen Fall vorbereitet.
Nicht nur Privatleute, auch Firmen werden diese Aufkleber kaufen müssen. Da aber nicht alle über schadstoffarme Transporter verfügen, wollen Münchner Wirtschaftsverbände für ihre Klientel Schlupflöcher in die Regelung einbauen. "Die Unternehmen innerhalb der Umweltzone müssen auch künftig uneingeschränkt erreichbar bleiben", fordert Heinrich Traublinger, Präsident der Handwerkskammer München. So liegen etwa Schlachthof und Großmarkthalle innerhalb des Mittleren Rings. Viele Lastwagen, die dort täglich Waren abholen oder hinbringen, werden unter den Bann fallen.
So auch der Lkw von Manfred Stauner. Er parkt vor einem Münchner Innenhof, in dem Stauner gemeinsam mit einem Kollegen die schäbige Sandkiesdecke am Boden durch schmucke Pflastersteine ersetzt hat. Eigentlich ist Stauners Unternehmen auf Dachbegrünungen spezialisiert - und dafür nutzt er seit 15 Jahren den gelben Lkw mit Kran. Aufgrund seiner Bauweise ist das Dieselfahrzeug nicht mit einem Rußpartikelfilter nachrüstbar. Darf Stauner den Wagen nicht mehr zur Arbeit in der Innenstadt benutzen, "dann verliere ich 40 Prozent meiner Aufträge", sagt er. Ein neuer Lkw würde ihn rund 65 000 Euro kosten. "Wir wollen Gewerbetreibende auf keinen Fall in den Ruin jagen", sagt Stadtdirektor Wegrampf. "Es muss über jeden Fall einzeln entschieden werden."
Wer ohne Sondergenehmigung und ohne Plakette in den Münchner Stadtkern fährt, muss mit hohen Geldstrafen rechnen. "30 bis 40 Euro sind zu wenig", sagt Wegrampf. Die Geldbuße müsse eine abschreckende Wirkung haben. "Ich würde eine Lösung ab 200 Euro aufwärts befürworten."