Wer ist der Boss im Internet? Der Macher, Vorantreiber und Regelbestimmer? In den 90er Jahren, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, lautete die einzige Antwort: Microsoft. Zwar bot der Softwarekonzern aus Seattle kaum interessante und lukrative Web-Angebote mit Mehrwert für die Nutzer an, dafür aber - in marktbeherrschender Stellung - das Surfbrett fürs Internet: Der Internet Explorer ist bis heute das Maß aller Dinge, wenn es ums Surfen und Browsen geht. Zwar holt der Firefox-Browser auf, aber rund zwei Drittel der weltweiten Surfer vertrauen den verschiedenen Internet-Explorer-Versionen.
Der Erfolg des "IE" machte Microsoft-lange Zeit blind für die Dynamik des boomenden Internetsgeschäfts. Bill Gates, das Urgestein der IT-Branche, der Rebell und Vordenker, der Super-Nerd, hat das Internet einfach verschlafen. Microsoft nahm das World Wide Web nicht ernst, das Unternehmen glaubte nicht daran, dass ohne ein greifbares Produkt Geld zu verdienen sei. Man verwechselte die eigene Geschäftphilosophie mit den Wünschen und Verhalten der Nutzer. Und unterschätzte den unaufhaltsamen Aufstieg eines Konkurrenten: Google
Als Suchmaschine gestartet, wurde das Webangebot von Google für viele Internetsurfer schnell die einzig wahre Startseite ins Netz. Es gibt nicht wenige, die in der Suchzeile eine Internetadresse eingeben, weil sie das Angebot für einen Browser - oder gar das Internet selbst - halten. Das ist ihnen noch nicht einmal zu verdenken, denn sie haben gelernt, dass Google zum gesuchten Ergebnis führt.
Live Search fällt ab
Von einer einheitlichen Webstrategie kann bei Microsoft bis heute nicht die Rede sein. Zwar gibt es einen erfolgreichen Browser, und auch die Kommunikationssoftware MSN wird gut genutzt. Und sonst? Die hauseigene Suchmaschine Live Search fällt deutlich hinter Google ab. Damit Microsoft überhaupt behaupten kann, so etwas wie eine Community zu haben, beteiligte sich der Konzern an Facebook. Außerdem wurde die Shopping-Plattform Ciao gekauft und werden über das eigene Portal MSN TV-Serien und ein paar alte Kinofilme kostenlos gezeigt. Frei nach der Devise: überall ein bisschen mitmischen, allerdings nirgendwo wirklich gut.
Doch jetzt krempelt Ballmer seine Ärmel hoch und den Konzern um. Der Chef muss Microsoft fit für die Zukunft machen, selbst wenn dabei Tabus gebrochen werden. So soll das so genannte Cloud-Computing, also die weitgehend vom eigenen PC losgelöste Nutzung von Software, eines der wichtigsten Projekte der kommenden Jahre werden. Selbst die Bürosoftware Office, die bislang unantastbare heilige Kuh des Unternehmens, wird es mittelfristig auch als Onlineversion geben.
Inzwischen ist klar: Google und Microsoft buhlen um dieselben Kunden - wenn auch mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Während Google seine Dienste werbefinanziert und kostenlos zur Verfügung stellt, müssen Kunden bei Microsoft für die meisten Produkte zahlen. Die Online-Büroapplikation Google Docs lockt nach eigenen Angaben täglich 3000 neue Nutzer an - und zwar nicht nur Privatleute. Der britische Baukonzern Taylor Woodrow lässt 1800 Mitarbeiter künftig die Google Apps nutzen - und will so rund 1,2 Millionen Euro sparen.
Mit dem eigenen Browser Chrome betrat der Suchmaschinenbetreiber jüngst ein weiteres Terrain von Microsoft. Für Chrome-Nutzer soll es noch einfacher sein, die Online-Angebote von Google zu nutzen. Und selbst auf Mobiltelefonen bekommt das Microsoft-Betriebssystem Windows Mobile Konkurrenz von Googles Android, was Handy-Hersteller kostenlos für ihre Geräte nutzen können.
Tauziehen mit Yahoo
Microsoft musste etwas tun, allerdings stocherte der Konzern ohne wirkliche Strategie bislang eher blind im Web herum. Mit aller Kraft versuchte Microsoft in den vergangen Monaten den Suchmaschinenbetreiber Yahoo zu kaufen - und wurde immer wieder vom Yahoo-Gründer und -Chef Jerry Yang abgewiesen. Mit der Übernahme von Yahoo sollte auf einen Schlag ein Gegengewicht zur Google-Dominanz aufgebaut werden. Inzwischen ist Yang zurückgetreten und der Weg für eine Übernahme damit frei.
Dabei ist Microsoft wahrscheinlich gar nicht am ganzen Konzern interessiert, sondern will sich lediglich die Suchmaschine von Yahoo einverleiben und mit der eigenen Suche MSN Live Search verschmelzen. Bereits seit dem Frühjahr sucht der Konzern über Zeitungsinserate im Silicon Valley Suchmaschinenexperten. Pikant: Zwei entscheidene neue Angestellte kommen direkt von Yahoo. Qi Lu, war Vizepräsident für den Geschäftsbereich Online-Suche und Werbetechnologie. Er übernimmt bei Microsoft die Leitung des verlustbringenden Unternehmensbereichs Online. Und zuvor hatte Ballmer mit Sean Suchter hatte Ballmer einen der wichtigsten Experten für die Internetsuche von Yahoo abgeworben.
Auch Chris Sherman, Executive Editor des Suchmaschinen-Branchendienstes Searchenginland.com, hält eine Übernahme von Yahoo noch für wahrscheinlich. "Seit Yahoo die Übernahme abgelehnt hat, sitzt Microsoft am längeren Hebel", sagt Sherman. Denn Ballmer könne öffentlich abwiegeln, insgeheim aber seine Möglichkeiten ausloten und in aller Ruhe abwarten, was mit Yahoo als nächstes passiert. "Es gibt keinen dringenden Handlungsbedarf, weil niemand sonst an Yahoo Interesse zeigt."
Doch kann Microsoft Google wirklich das Leben schwer machen? Sherman beurteilt diese Versuche als durchwachsen. Technisch sei Microsoft bereits auf gutem Weg. "Microsoft hat jetzt schon ein beeindruckendes Team zusammengestellt", sagt der Suchmaschinen-Experte. "Die Ergebnisse sind deutlich besser als früher und Google in manchen Fällen sogar überlegen. Die Bildersuche zum Beispiel ist fantastisch - weit besser als bei Google." Andererseits dauere es Jahre, ein rundum überzeugendes Gegenangebot aufzubauen - und vor allem sei es sehr schwer, Nutzer abzuwerben, wenn sie sich einmal angewöhnt haben, zu einer bestimmten Adresse zu gehen. "Es ist eine Frage der Wahrnehmung, gar nicht mal so sehr der Technik", sagt Sherman. "Google müsste sich schon einen groben Schnitzer leisten, damit die Leute anfangen, nach Alternativen zu schauen."
Das Rennen ist nicht vorbei
Egal, wie es weitergeht, klar ist zumindest, dass für die Softwareschmiede aus Redmond bei dem Ganzen weniger auf dem Spiel steht als für Google: "Das Geschäft mit der Internetsuche ist Googles Brot und Butter", sagt Sherman, davon hänge Wohl und Wehe des gesamten Unternehmens ab. "Für Microsoft dagegen ist die Suchmaschine bisher nur ein Nebengeschäft - ein Versuch, den Umsatz zu erhöhen, aber nicht überlebensnotwendig."
Das Rennen ums Internet ist also noch lange nicht entschieden. Google hat zwar bei Suchmaschinen einen großen Vorsprung und baut diese Marktführerschaft eindrucksvoll quasi täglich weiter aus. Allerdings ist Microsoft finanziell in der Lage, sich durch Zukäufe zu verstärken. Für Yahoo bot der Konzern rund 40 Millarden Dollar. Gleichzeitig kann Microsoft seine erfolgreichen Software-Produkte, die für rund ein Drittel des Umsatzes sorgen, fit fürs Web zu machen. Ring frei für Runde zwei.