Der 27.04. war ein schwarzer Tag für die Ukraine. Das russische Militär gibt an, an nur einem einzigen Tag vier Luftabwehrsysteme vom Typ S-300 und einen deutschen Flakpanzer Gepard in der Region Cherson zerstört zu haben. Laut Tass sagte ein russischer Sprecher in der Region Cherson: "Gestern zerstörten die Bombenangriffe von Lancet vier S-300-Werfer und ein motorisiertes Boden-Luft-Geschütz Gepard, töteten 14 ukrainische Soldaten und verwundeten weitere zehn." Ob die Videos der Drohnen tatsächlich an einem Tag aufgenommen wurden, lässt sich nicht überprüfen. Zusätzlich zeigte ein weiteres Video die Zerstörung eines ukrainischen 9A330 TLAR des Luftverteidigungssystems Tor.
Allerdings sieht es nicht so aus, als sei der gepanzerte Gepard tatsächlich "zerstört" worden. Das Fahrzeug explodiert nach dem Treffer nicht. Ob die Splitter an dem Panzer einfach abperlten, wie deutsche Beobachter frohlockten, mag man bezweifeln. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Besatzung unbeschadet überlebte und das Fahrzeug nur äußere Schäden erlitt. Turm, Front und Radar des Gepard sind relativ gut gepanzert. Das ist ein andere Kategorie, als ein Lkw mit einem Flugabwehraufbau. Sollten jedoch Radar, die 35-mm-Zwillingskanone oder die Sensorik betroffen sein, dürfte der Gepard eine Zeit lang ausfallen., je nachdem wie schnell die betroffenen Module im Feld ersetzt werden können.
Putins gefährlichste Waffe
Alle Angriffe wurden mit Russlands Kamikazedrohne Lancet ausgeführt. Sie ist derzeit die effektivste Loitering Munition aus Putins Arsenal. Aber die Lancet ist nicht unfehlbar, der Ukraine sind abgestürzte Waffen in die Hand gefallen. Die Drohne ist effektiv gegen weiche Ziele und leicht gepanzerte Fahrzeuge, ein schwer gepanzertes Fahrzeug wie einen Kampfpanzer oder den Gepard kann sie aber nur mit einem "Glückstreffer" komplett ausschalten.
Auch der Angriff auf die S-300 wirft Fragen auf. Entweder platzieren die Ukrainer die Systeme sehr nah an der Frontlinie oder die Russen müssen eine neue, fünfte Generation der Drohne einsetzen, die weit hinter der Front zuschlagen kann. Sie wurde bereits im März angekündigt. Für Russland ergibt der Bau schwerer bewaffneter Drohnen Sinn. Der Flaschenhals in der Produktion dürfte die Elektronik sein und sie unterscheidet sich nicht zwischen kleineren und größeren Systemen. Es ist aber auch möglich, dass Kiew die S-300 in den Wirkungsbereich von 40 Kilometern der bekannten Lancet 3 stationiert hat. Um auf diese Weise die russischen Jets, die seit einigen Wochen Gleitbomben entlang der Front abwerfen, bekämpfen zu können.
Lockvogel Methode
Die Ukraine beschreibt die russische Taktik gegen die S-300 so: Zunächst wird eine iranische Billigdrohne vom Typ Shahed-136 gestartet. Sie wird von der ukrainischen Verteidigung erfasst und vom Radar markiert. Damit wird aber auch das Luftabwehrsystem, hier die S-300, entdeckt und dann direkt von der Lancet angegriffen. Diese Taktik ist weder neu noch besonders ausgefeilt, Militärexperten hatten sie erwartet, als die ersten iranischen Drohnen in der Ukraine auftauchten. Doch erst in den letzten Wochen gelang es den Russen, diese Methode auch effektiv umzusetzen.
Die Lancet-3 ist heute im Einsatz, sie kann einen Gefechtskopf von drei Kilogramm Gewicht transportieren. Mit ihm kann sie die Oberseite eines gepanzerten Fahrzeugs durchschlagen. Die stärker gepanzerte Front und die Seiten jedoch nicht. Beton wird bis zu 500 Millimeter aufgebrochen, das reicht für die Feldbefestigungen in der Ukraine. Die ganze Drohne wiegt nur 12 Kilogramm. Es handelt sich nicht um einen Quadcopter, die Lancet fliegt mit zwei Paar Stummelflügeln. Vorn und hinten am Rumpf sind zwei X-förmige Tragflächenpaare angebracht. Die Drohne besitzt einen Elektromotor, der den zweiblättrigen Propeller am Heck antreibt. Auf diese Weise kann sie 40 Minuten in der Luft bleiben. Die Reichweite liegt bei 40 Kilometern. Die Lancet erreicht Geschwindigkeiten zwischen 80 km/h und 100 km/h, wenn sie sich auf das Ziel stürzt, erhöht sie ihre Geschwindigkeit auf 300 km/h. Nachteilig ist, dass sie mit einem Katapult gestartet werden muss und nicht wirklich sicher landen kann, wenn sie kein Ziel findet. Daher wird die Lancet meist im Tandem mit einer wiederverwendbaren Beobachtungsdrohne eingesetzt. Erst wenn diese ein Ziel ausgemacht hat, wird die Kamikaze-Waffe gestartet. Videos von den Einsätzen der Lancet stammen daher auch meistens von dem Beobachter.
Halbleiter fließen offenbar nach Russland
Hergestellt wird die Drohne von der ZALA Aero Group, die wiederum zum Kalaschnikow-Konzern gehört. Die Lancet wurde 2019 erstmals vorgestellt und von den Russen bereits in Syrien eingesetzt. Die meisten Kampfdrohnen Russlands konnten sich im Kriegseinsatz nicht beweisen und lieferten nur enttäuschende Ergebnisse. Anders die Lancet: Sie ist äußerst effektiv. Vermutlich auch dank der westlichen Steuerungselektronik.
Kürzlich wurde eine neue, stärkere Version angekündigt. Die Lancet-5 soll die Nutzlast auf 5 Kilogramm erhöhen. Auch sollen die Flügel modifiziert worden sein. Das neue Modell soll ein neues optisch-elektronisches Leitsystem und ein Steuersystem mit neuer Software erhalten haben. Die Drohne kann verschiedene Sprengsätze transportieren. Berechnet auf 5 Kilogramm dürfte die Wirkung des thermobarischen Gefechtskopfs enorm sein. Mit herkömmlicher Munition sind die kleinen Drohnen nur schwer zu treffen. Airburst-Geschosse, die einen Splitternebel erzeugen, können nur von wenigen speziellen Flugabwehr-Maschinenkanonen eingesetzt werden. Die neue Version der Lancet soll eine Schutzbeschichtung gegen Laserwaffen besitzen.
Auch wenn der Gepard den Angriff überstanden hat, gibt der Treffer Anlass zur Sorge. Der Flakpanzer Gepard wurde ausdrücklich für den Einsatz an der Front entwickelt. Er soll als Nahverteidigungssystem eigene Kolonnen und Einrichtungen vor Angriffen aus der Luft schützen. Doch dieser Gepard wurde von einer Beobachtungsdrohne und einer Lancet aufgespürt und ins Visier genommen. Ein weiterer Punkt sollte zu denken geben. Eine Hoffnung des Westens war es, dass die Sanktionen dazu führen würden, dass Putins Rüstungsindustrie keine smarten Waffen mehr herstellen kann, weil keine Halbleiter mehr ins Land kommen werden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Russlands größte Erfolge in den letzten Monaten basieren auf billigen Waffen mit elektronischer Steuerung.
Mehr über Panzerung und Schutz des Geparden erfahren sie auf Twitter bei "Der Gepardkommandant" - der Twitter-Bibel des Flakpanzers.