Subtil war die Erotik der Stripperin nicht gerade. Ihre Schwesterntracht aus Latex spannte über Hüften und Busen. Mit Kreuzen auf beiden Brüsten und auf der Kappe gab sie in »Ocean's Eleven« die nymphomanische Nachtschwester. Die meisten Zuschauer vergessen die nur wenige Sekunden kurze Szene aus dem coolen Gangster-Drama gleich wieder. Wer in diesem Filmausschnitt nach einem Spezialeffekt sucht, kann den DVD-Player vor- und zurückfahren lassen, bis der heiß läuft. Er wird den Trick nicht finden. Denn er ist unsichtbar. (Viele Bilder-Beispiele für Hollywood-Illusionen finden Sie in der Fotostrecke.)
Zu viel Busen für das Rote Kreuz?
Als Regisseur Steven Soderbergh die Szene abgedreht hatte, überkamen die Filmemacher von Warner Brothers Skrupel: Könnten die roten Klebestreifen das Rote Kreuz in seiner Sittlichkeit verletzen? Im politisch korrekten Amerika ein Fall für den Zensor. Tom Smith, »Visual Effects Supervisor« des Films, musste die Kreuze umfärben - in ein morbides aber unverfängliches Schwarz.
Aliens aus anderen Galaxien, Dinosaurier aus dem Mesozoikum oder sprechende Schweine - Filmfreunde lassen sich zur Unterhaltung vieles vorsetzen, das sie sofort als Spezialeffekt durchschauen. Aber die besten Tricks übersehen sie meist.
Sinnestäuschung ist ein Riesengeschäft
Tragen die Nippel einer silikonveredelten Aktrice zu sehr auf, werden sie weggebügelt. Zeigt ein chinesischer Akrobat in »Ocean's Eleven« statt des Stinkefingers den Zeigefinger, wird dieser nachträglich ausgeschnitten und ein Mittelfinger ins Bild kopiert. Kämpft Mark Wahlberg im See-Drama »Der Sturm« im Studio-Tank gegen die Fluten und sein überschminktes Tattoo wird dabei sichtbar, wird es am Rechner hinterher überpinselt. Das ist ein Riesengeschäft - die Branche der professionellen Sinnestäuscher setzt jährlich fast eine halbe Milliarde Dollar um.
Verraten wird nur ein kleiner Teil
Ihren Augen können Zuschauer kaum noch trauen. Die Bilder lügen immer öfter. Und auf den mit Bonus-Material vollgepackten DVD-Doppel- (»A Beautiful Mind«) oder Vierfach-Packs (»Der Herr der Ringe«) verraten die Filmemacher längst nicht alle ihrer Tricks. Dazu muss man den Illusionisten schon in ihren High-Tech-Labors auf die Maus schauen.
Südlich vom Hollywood Boulevard bevölkern Zulieferbetriebe der Filmindustrie ein tristes Gewerbegebiet. In einem grauen Klotz der Mutterfirma Kodak belegen die Effekte-Bastler von Cinesite mehrere Etagen. »Garage« nennen die acht »Visual Effects«-Spezialisten ihr abgedunkeltes Büro. Selbst die Gehäuse der Hochleistungsmonitore sind schwarz. Fenster gibt es nicht, Tageslicht kommt nur indirekt durch die geöffnete Tür zum Flur hinein. Nichts soll die hochkonzentriert arbeitenden Frauen und Männer ablenken. Ihre superschnellen Rechner haben sie nach Automarken wie »Lexus« oder »Cadillac« benannt.
Je besser, desto unsichtbarer
Ted Andre, 34, fühlt sich hier wohl. Mit seinen pechschwarzen Haaren, dem schwarzen T-Shirt und seinem Bizeps-Tattoo sieht er aus wie ein Fan von Gothic-Musik oder Ozzy Osbourne. Sein zuletzt vollendetes Meisterstück war eine Szene in dem Prohibitions-Krimi »Road To Perdition«. Fünf Monate fummelte Andre an wenigen Filmsekunden herum, in denen er das Chicago des Jahres 1931 wieder erstehen ließ. »Das Merkwürdige an meiner Arbeit ist, dass sie - wenn ich einen guten Tag hatte - von niemandem wahrgenommen wird.«
»Wir sind die unbesungenen Helden«
Ist das schon Kunst oder nur Handwerk? Die Unterscheidung ist den Film-Veredlern selbst nicht so recht klar. »Wir sind die unbesungenen Helden«, sagt Ted Andre, der sich in erster Linie als Künstler sieht. Sein älterer Kollege Tom Smith, 49, ist da bescheidener: »Wir polieren das Kunstwerk des Regisseurs.« Das trifft es wohl eher.
Signieren können sie ihre Arbeiten nicht, daher »verstecken« die Effekte-Macher traditionell etwas Eigenes im Film. Glen Gustafson von Cinesite hat im neuen Soderbergh-Film »Solaris« ein winziges Bild des Regisseurs Andrej Tarkowskij in ein Fenster der Raumstation »Prometheus« montiert. Ein Gag für Insider - der Russe Tarkowskij drehte vor 30 Jahren die Originalverfilmung des Stanislaw-Lem-Romans.
Scheinwelt oder Realität? Wie sehr beide mitunter verwoben sein können, haben die Effekte-Zauberer nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 schmerzlich gemerkt. Für »Ocean's Eleven« jagte das Cinesite-Team von Tom Smith genüsslich eine riesige Bettenburg in Las Vegas in die Luft. Nur am Computer versteht sich. Dummerweise trug das Hotel den Namen »New York, New York« und war eine maßstabgerecht verkleinerte Kitsch-Kopie der Wolkenkratzer Manhattans.
Aus »New York, New York« musste »Xanadu« werden
Dramatisch senkt sich die markante Spitze des Empire State Buildings, bevor der Turm in sich zusammenstürzt. Staub aus Bits und Bytes rast auf die Kamera zu. Tom Smith zeigt die Szene direkt von der Festplatte. Denn im Film tauchte sie nie auf. Um das Publikum nach dem realen Anschlag nicht mit diesen Bildern zu verstören, erbaute das Cinesite-Team in vielen Nachtschichten das fiktive »Xanadu«-Hotel. Das wurde dann schließlich auf der Leinwand zerlegt. Zur Vorbereitung sichtete Smith Videos einer Firma, die auf Abriss per Dynamit spezialisiert ist. »Wenn ich das nächste Mal eine solche Szene am Computer erschaffen müsste, würde ich aus rein professionellen Gründen auch Fernsehbilder vom 11. September studieren. Denn nichts geht über die Realität.« Tom Smith ist kein Zyniker. Er nimmt seinen Job nur sehr ernst - wie fast alle in Hollywood. Und wie alle steht er unter enormem Druck, den Job sehr gut und sehr schnell zu erledigen. Denn die lukrative Effektehascherei lockt immer mehr Klitschen an, die zu Kampfpreisen operieren.
»Spezialeffekte haben eine lange Geschichte«, sagt Kevin Mack. »Schon in alten Western wurden Telefonmasten im Bild überpinselt.« Mack sollte es wissen. Sein Vater bemalte bereits 1940 Glastafeln für Walt Disneys bahnbrechendes Zeichentrick-Epos »Fantasia«. Der schlaksige Familienvater in T-Shirt und schlabbrigem Fleece-Hemd gewann 1999 einen Oscar für die visuellen Effekte in »Hinter dem Horizont«, einem rührseligen Robin-Williams-Drama, das größtenteils in einem gemalten Jenseits spielt. Seine Frau Martha war für den digital »gemalten« Hintergrund verantwortlich.
Begeistert erzählt Mack von »A Beautiful Mind«, der Film-Biografie des wahnsinnig genialen Wissenschaftlers John Forbes Nash. Denn Regisseur Ron Howard, so Mack, ließ sich von ihm zu beeindruckenden visuellen Tricks inspirieren. Effekte, die niemand entdeckt: So schlägt Russell Crowe seinen Kopf gegen eine kleine Fensterscheibe. Diese durfte nicht wirklich zerspringen, also wurden die Risse später digital ins Bild gemalt. Und weil das Filmblut auf Crowes Stirn am Schneidetisch zu rot aussah, dunkelte Mack es nach.
Eine Legende: John Dykstra
Einen Mann wie John Dykstra, 55, langweilen solche Details. Auch er hat einen Oscar im Schrank - für die Spezialeffekte im »Krieg der Sterne«. Dykstra gehörte zum Gründungsteam des renommiertesten Effekte-Hauses Industrial Light and Magic (ILM), an dessen Spitze damals Multi-Talent George Lucas stand. Raumschiff-Miniaturen schwebten an Fäden im Raum. Der Trick bestand darin, die Kamera möglichst schnell an ihnen vorbeizuziehen. Seither sind 25 Jahre vergangen. Zuletzt ließ Dykstra den Comic-Helden Spider-Man durch die Straßenschluchten Manhattans fliegen.
Spider-Man zieht's in den Untergrund
Auf dem Tisch in John Dykstras Büro bei Sony Pictures Imageworks, der Trick-Tochter des Filmstudios, liegen seine jüngsten Modelle - Papp-Miniaturen eines New Yorker U-Bahn-Zuges, in dem lauter grüne Pinwand-Nadeln stecken. Filmfans dürfen sich wohl auf einen Showdown im Untergrund freuen, ähnlich wie in der Science-fiction-Oper »Matrix«. Daneben liegt aufgeschlagen das Storyboard für »The Amazing Spider-Man«. In den Comic-ähnlichen Skizzen wird die für 2004 angekündigte Fortsetzung des Milliarden-Erfolgs Szene für Szene aufgedröselt. Fotografiert werden darf das Stilleben natürlich nicht. Nur so viel verrät Dykstra: »Es wird komplett digital simulierte Figuren geben.«
Wie die Tricks im ersten Spider-Man-Film funktionierten, erklärt Dykstra auf der DVD. Visuelles »Rauschen«, wie Dykstra es nennt, sollte den digitalen Wolkenkratzern Leben einhauchen: Taubenkot auf einer Fensterbank, ein Rostfleck unter einem Abflussrohr und ungleichmäßige Reflektionen in gewellten Fensterscheiben.
Das kann kein Stuntman sein
Wann Hauptdarsteller Tobey Maguire im rotblauen Dress steckt und wann sein digitales Double, kann der Zuschauer kaum unterscheiden. Die Übergänge zwischen Szenen aus dem Computer, kombinierten »Green Screen«-Tricks, wo der echte Schauspieler in eine virtuelle Kulisse hineinkopiert wird, und dem echten Gesicht auf dem Körper des digitalen Superhelden sind durch geschickte Bildschnitte kaschiert. Spätestens wenn Spider-Man - an seinen selbst gesponnenen Fäden hängend - fast senkrecht auf einen Stau von Yellow Cabs zurast, beschleicht den Zuschauer ein vages Gefühl: Das kann kein Stuntman sein.
Die Rechenleistung ist das Limit
Je schneller die Computer werden, desto besser gelingt es den Spezialeffekte-Zauberern mit ihren Tricks unsere Augen zu überlisten. Und die Leistung der Rechner vervielfacht sich Jahr für Jahr wie nach einem Naturgesetz. Davon profitieren auch Game-Fans an PC oder Playstation, denn auch Computerspiele nähern sich mit jeder neuen Generation der noch deutlich überlegenen Bildqualität der Film-DVD an. So werden sich die Fantasiewelten in Filmen und interaktiven Abenteuern immer ähnlicher.
Egal, ob Film oder Spiel: Die allerbesten Tricks werden die Zuschauer auch künftig übersehen. Sie müssen sich deshalb nicht grämen. Als Cinesite vor zwei Jahren das College-Drama »Die Wonder Boys« der Oscar-Auswahlkommission für die Kategorie »Visual Effects« vorführte, glaubte diese an ein Missverständnis. Dass in dem Film 100 nahtlose Effekt-Einstellungen vorkamen, hatten selbst die Hollywood-Profis nicht bemerkt.
Dirk Liedtke