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Thomas Ammann: "Bits & Pieces" Die Hilfssheriffs der Weltpolizei

Thomas Ammann: "Bits & Pieces": Die Hilfssheriffs der Weltpolizei
Zuweilen beschäftigt sich die NSA sogar mit sinnvollen Überwachungsmaßnahmen. So wie im Fall der jüngsten Fifa-Ermittlungen, meint Thomas Ammann.

Alarmstimmung bei der Fifa: Sieben gestandene Fußball-Funktionäre lässt die US-Justiz in Zürich aus ihren Fünf-Sterne-Hotelbetten holen. Wegen Bestechungsverdachts. Auch im Milliardenbusiness des Fußballs sollen bald US-amerikanische Standards gelten. Der Fußballzwerg USA wird zur Weltpolizei im Reich der Korruption.

Während die Welt noch US-Justizministerin Loretta Lynch dafür feiert, dass sie sich in heldenhafter Manier gegen die bislang unantastbare Altherrenriege vorgeht, glaubt der britische Journalist Edward Lucas schon zu wissen, wem wir es in Wahrheit verdanken, dass der FIFA-Korruptionsstall endlich ausgemistet wird: der NSA. Na klar. Die "Bild" springt als Unterstützerin zur Seite und preist die Rolle der NSA als Hilfssheriff der Justiz. Die NSA helfe, so die "Bild", die "schlechtesten Menschen der Welt aufzuspüren: Produzenten von Kinder-Pornografie, Menschenhändler, Drogenbosse - und solche, die an internationaler Bestechung beteiligt sind". Details zu Banküberweisungen, über die Bestechungsgeld gezahlt wurde, seien dadurch möglicherweise bekannt geworden, mutmaßt Lucas: "Sie helfen dabei, herauszufinden, wer tatsächlich hinter den undurchsichtigen Scheinfirmen steckt, die korrupte Menschen zur Verschleierung ihrer Identität nutzen."

"Klassische" Ermittlungsmethoden erfolgreich

Die NSA im Kampf gegen die ehrenwerte Gesellschaft der Fifa-Funktionäre - das wäre wenigstens mal ein sinnvolles Einsatzgebiet. Endlich mal eine Chance, positive Schlagzeilen zu produzieren. In Sachen Terrorabwehr war die weltweite Massenüberwachung bisher eher ein Flop, auch wenn das die Beteiligten gern anders hören würden. "Menschenleben" seien gerettet worden durch die Arbeit der NSA, betonte auch US-Präsident Barack Obama. Den Beweis sind er und seine Geheimdienst-Generäle bis heute schuldig geblieben. Die meisten Fahndungserfolge gegen Terroristen kamen, das haben Studien immer wieder gezeigt, durch "klassische" Ermittlungsmethoden zustande.

Im Fifa-Fall kam den US-Ermittlern zugute, dass ein erheblicher Teil der gesamten weltweiten Kommunikation über den nordamerikanischen Kontinent läuft. Selbst wenn Absender und Empfänger in Europa, Asien oder Afrika sitzen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Netzwerkverbindungen über den Umweg USA zustande kommen.

Thomas Ammann

Stellvertretender Chefredakteur des stern, 58, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Netzpolitik und den sozialen Aspekten der digitalisierten Gesellschaft, der internationalen Hackerszene und der Computerspionage, zuletzt als Co-Autor des im Herbst 2014 erschienenen Buches "Die digitale Diktatur – Totalüberwachung, Datenmissbrauch, Cyberkrieg".

Infrastruktur zur Abrechnung steht in den USA

Zu tun hat das vor allem mit der Struktur des Internets. Facebook, Twitter, Google, Amazon, Yahoo und andere: Fast alle Internetgiganten sind in den USA beheimatet, ebenso die beiden wichtigsten Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa sowie der allgegenwärtige Abrechnungsdienst PayPal. Nahezu die komplette elektronische Infrastruktur zur Abrechnung steht in den USA, was beispielsweise hoheitliches Zugriffsrecht auf einen Großteil der weltweiten Online-Zahlungen und auf den Geldverkehr der Banken garantiert. Und auf den Mailverkehr sowieso.

Ähnlich ist die Situation beim sogenannten Cloud-Computing, das Unternehmen, Universitäten oder auch Behörden nutzen, um ihre Daten preisgünstig in externen Rechenzentren zu verarbeiten und zu speichern. "Die Architektur des Internets", sagte mir Andy Müller-Maguhn, als langjähriger Sprecher des deutschen Hackervereins Chaos Computer Club (CCC) einer der bekanntesten deutschen Netzaktivisten, "bestimmt die politische Situation." Es sei "eine sehr gefährliche Angelegenheit", einen zentralen Ort zu haben, an dem alle Daten und Zahlungen gespeichert werden. Das komme, warnte der Ex-Hacker, "einer Einladung gleich, die Daten in allerlei Weise zu nutzen".

Wunschliste mit Aufklärungszielen

Denn wie sie dann genutzt werden, das liegt allein im Ermessen der US-Behörden: Mal gegen vermeintliche Terroristen, mal gegen europäische Konzerne, denen Korruption vorgeworfen wird. Bestimmt wird das maßgeblich durch die "National SIGINT Requirement List", eine Art Wunschliste der US-Behörden über die Aufklärungsziele in aller Welt. (SIGINT steht für "All Signals Intelligence", etwa: technische Aufklärung. T.A.) Alle US-Geheimdienste, das Weiße Haus, sämtliche Ministerien äußern darin ihre Wünsche, was sie gerne wüssten - über fremde Länder, Regierungen, Politiker, Unternehmen in aller Welt und was sonst noch so von Interesse sein könnte. Die NSA muss die Wunschliste zusammenfassen, nach Ländern sortieren und mit Kommentaren versehen, was man leisten kann, und was nicht. Mehrere tausend Blatt stark soll diese Liste sein, die ständig aktualisiert wird - und logischerweise auch die Basis für die viel zitierten Selektoren bildet. Jene Stichworte, nach denen NSA und befreundete Dienste das Netz durchforsten und dabei manchmal mit den nationalen Datenschutzregeln in Konflikt kommen.

Neben der Wunschliste gibt es noch das National Intelligence Priorities Framework (NIPF), eine Art Matrix, in denen die Länder und Aufklärungsziele ihrer Bedeutung nach eingeteilt sind. Das Rahmenwerk ist "presidentially approved", vom US-Präsidenten genehmigt. Allerdings steht Deutschland nicht ganz oben auf der Liste, wie aus einigen Dokumenten von Edward Snowden hervorging, sondern eher im Mittelfeld. Die Skala reicht von 1 (höchstes Interesse) bis 5 (geringstes Interesse). Unter "Priorität 1" führen die US-Geheimdienste Themen aus China, Russland, Iran, Pakistan und Afghanistan. Deutschland kommt bei NSA und Co. nicht über "Priorität 3" hinaus. Diese Stufe gilt für die deutsche Außenpolitik sowie für Fragen der ökonomischen Stabilität und Gefahren für die Finanzwirtschaft. Unter "Priorität 4" werden in Bezug auf Deutschland Waffenexporte, neue Technologien, hochentwickelte konventionelle Waffen und der internationale Handel geführt. Und "Priorität 5" wiederum bekommen Themen wie die Gegenspionage aus Deutschland und die Gefahr für Cyberangriffe auf US-Infrastrukturen, die man anscheinend für nicht so gravierend hält.

Weder Handy noch E-Mail

Die dunklen Machenschaften der Fifa-Funktionäre scheinen den US-Diensten da offenbar erheblich wichtiger zu sein. Allerdings: Den Boss des Weltverbands, Sepp Blatter, werden sie auch mit der Totalüberwachung des Internets nicht zu fassen kriegen. Blatter soll weder Handy, noch Emails benutzen und überhaupt schriftliche Äußerungen und Vereinbarungen vermeiden. Der Mann weiß, warum.

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