"Wenn ich Flüchtling genannt werde, macht mich das traurig", sagt Saif Al Khateeb und er ist nicht der Einzige, der so empfindet. Der aufgeschlossene Syrer sitzt auf einem Holzstuhl vor dem Hamburger Restaurant Juwelier, weil er in der Küche gerade nicht gebraucht wird. Es ist die Generalprobe für das Projekt "Juwelier des Ostens" und weil hier niemand Flüchtling, sondern gut einen Monat lang alle Köche sind, heißen die Mitwirkenden schlicht Hamburger und Neuhamburger. Saif ist hier, um die Köche der orientalischen Gerichte als Küchenhelfer zu unterstützen, er hat heute schon Gemüse geschnippelt und Brot gebraten. "Nein, nicht gebacken", antwortet er auf die Nachfrage, "wirklich gebraten. Wirst du gleich sehen."
Der 20-Jährige lebt in Nettelnburg, einem Ortsteil von Hamburg-Bergedorf, seit vier Monaten hat er dort eine eigene Wohnung. Er weiß das zu schätzen, Freunde, die schon länger in Hamburg sind als er, hatten noch nicht so viel Glück. Nach seiner Ankunft hat Saif acht Monate lang im Erstaufnahmelager in der Schnackenburgallee gelebt. "Damals durfte ich noch gar nichts machen, weil ich keine Aufenthaltsgenehmigung hatte", erzählt er. "Das macht es sehr schwierig, denn wir brauchen Arbeit. Nicht um Geld zu verdienen, also auch, aber vor allem, damit wir die Sprache lernen und Leute kennenlernen", sagt er. Seit er da raus ist, macht Saif so viel, wie er nur kriegen kann.
In großer Runde kochen, gemeinsam essen, Kontakte knüpfen, Spaß haben, das sind neben all den herrlich duftenden Gewürzen die wichtigsten Zutaten im Juwelier des Ostens, zu dem die Idee ebenfalls beim Essen entstand. Lutz Bornhöft, der Koch des Juwelier, erzählte, dass er Urlaub machen wolle, vier Wochen lang, der Laden sei dann geschlossen. Zuhörer war sein Freund, der Hamburger Künstler Filomeno Fusco, bei dem die Information auf fruchtbaren Boden fiel. Eine Woche später fragte er Bornhöft, ob man diese Zeit nicht nutzen könne. Mal ganz was Anderes kochen, mal mit anderen kochen, mit Freunden aus Syrien, dem Libanon, Afghanistan, dem Iran, Eritrea. Der Koch war begeistert, sagte sofort zu – und seinen Urlaub ab. Da wollte er dabei sein.
Der Juwelier des Ostens wird Realität
Fusco schrieb ein Konzept, reichte es bei diversen Stiftungen ein, bemühte sich um Sponsoren und erstellte gemeinsam mit Bornhöft einen Finanzplan. Der Förderfonds "Freiräume!" der Hamburgischen Kulturstiftung, der "Projekte mit Geflüchteten als auch Projekte für Geflüchtete" unterstützt, passte zu der Idee, Fusco erhielt eine Zusage für finanzielle Unterstützung. Während der Wartezeit hatte er angefangen, andere für die Idee zu begeistern, schließlich waren nur noch sieben Wochen Zeit bis zum 1. August, an dem der Juwelier des Ostens eröffnet.
Küchenhelfer Saif kommt aus Idlib, im Nordwesten Syriens, die Grenze zur Türkei liegt etwa 60 Kilometer entfernt. Er ist der älteste von fünf Geschwistern, hat zuletzt in Damaskus gelebt und dort sein Abitur gemacht. Ursprünglich wollte er nur einen Trip dorthin unternehmen, doch fünf Tage nach Reiseantritt hat in seiner Heimatstadt der Krieg begonnen. Er konnte nicht mehr zurück. Drei Jahre blieb er in Damaskus, seine Eltern hat er in dieser Zeit nicht gesehen. Nach dem Abitur ist er über den Libanon und die Türkei zurück nach Idlib gereist, weil die Fahrt durch Syrien nicht mehr möglich war. Inzwischen lebt er seit anderthalb Jahren in Hamburg, in Syrien wäre er sonst in den Krieg geschickt worden.
Saif macht ein Praktikum nach dem anderen
Vom Juwelier des Ostens hat Saif durch Susanna gehört, bei der er ein Praktikum in einer Schulkantine macht. Da diese in der Ferienzeit geschlossen ist, suchte er eine neue Aufgabe. "Ich mache alles, Hauptsache, ich kann etwas tun – und später studieren. Ich arbeite seit einem Jahr in einer Kleiderkammer als Übersetzer, dadurch habe ich viele Menschen kennengelernt, auch die Frau, die mir erzählt hat, dass Susanna einen Küchenhelfer braucht. Ich möchte Deutschland etwas zurückgeben, weil es uns und andere aufgenommen hat. Und ich bekam viel Hilfe von Deutschen, bei der Suche nach einer Wohnung zum Beispiel. Ich bin sehr glücklich, dass ich mich hier nicht wie in einem fremden Land fühle", erzählt er. Vor dem 1. August macht Saif noch schnell ein Praktikum als Rettungssanitäter. "Ich muss ja irgendwie in den Bereich reinkommen, wenn ich Medizin studieren will. Und der Chef der Rettungswache, ein sehr, sehr, sehr netter Mensch, hat gesagt, wenn es mir Spaß bringt, könnte ich dort auch eine Ausbildung machen. Er würde sogar die Kosten übernehmen."
Essen ist fertig!
Vorspeisen, Hauptgerichte, Nachtische und ein von der Kaffeerösterei Black Delight eigens hergestellter Mokka werden im Juwelier des Ostens als kulinarische Rundreisen angeboten, die durch die fünf Länder von Afghanistan bis Eritrea führen. Zehn Köche bereiten sie zu, Lutz Bornhöft verfeinert und berät, sodass auch die einfacheren Gerichte von bester Qualität sind. Ein paar Gastronomen haben sich bereits zur Verkostung angekündigt und vielleicht ergibt sich für den ein oder anderen Neuhamburger dadurch ja sogar noch ein Arbeitsplatz. Treffpunkt und Kontaktbörse, Mokka und Musik, hoffentlich auch Sonnenschein, dann kann auch draußen, vorm Restaurant, noch geplaudert werden. Es wird sogar eine Übersetzerin geben.
Um mal mit Saif zu sprechen, wird sie allerdings nicht gebraucht.