Raumfahrt und Krieg ISS vor dem Absturz? Russland versucht Raumstation als Faustpfand gegen Sanktionen einzusetzen

Die ISS über der Erde
Die Internationale Raumstation über der Erde: Russland warnt vor einem unkontrollierbaren Absturz der ISS, sollten die Sanktionen wegen des Krieges in der Ukraine nicht fallen gelassen werden.
© Nasa / DPA
Erneut warnt die russische Raumfahrtagentur Roskosmos vor einem unkontrollierten Absturz der ISS – diesmal verbunden mit Forderungen nach Aufhebung der Kriegs-Sanktionen. Wie groß ist die Gefahr für die Raumstation?

Auf der Erde tobt der Krieg, auch der Informationskrieg. Das Spiel mit Propaganda und Drohungen läuft aber längst auch im All. Schon seit Anfang März warnt die russische Raumfahrtagentur Roskosmos davor, dass die Internationale Raumstation ISS in Gefahr gerate, unkontrolliert abzustürzen, sollte die Nasa die Zusammenarbeit beim Betrieb aufkündigen. Nun folgte der nächste Vorstoß.

Am Wochenende erneuerte Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin, ein Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin, über den Messengerdienst Telegram die Warnung. Gleichzeitig forderte er, die "unrechtmäßigen" Strafmaßnahmen gegen russische Betriebe wegen des Kriegs in der Ukraine zurückzunehmen. Teil des Postings war auch eine Weltkarte und die süffisante Frage, "auf wen" denn die 500 Tonnen schwere ISS krachen solle?! Aufgrund des Kurses der Station sei es unwahrscheinlich, dass Russland getroffen werden könne – im Gegensatz zu den USA, Europa oder China.

ISS: Höhensteuerung durch russisches Segment

Der Roskosmos-Chef schickte seine Forderungen nicht nur über den Messengerdienst, sondern machte sie mit Schreiben an die ISS-Partner Nasa, Esa und die kanadische CSA offiziell. Druck bauen die Russen dabei mit dem Hinweis auf, dass der russische Teil der Station für Kurskorrekturen zuständig sei. "Das russische Segment sorgt dafür, dass die Umlaufbahn der Station korrigiert wird (durchschnittlich elf Mal im Jahr), auch um Weltraumschrott auszuweichen", erklärte Rogosin und warnte zugleich, insbesondere westliche Länder sollten "über den Preis der Sanktionen gegen Roskosmos nachdenken". Die westlichen Raumfahrtorganisationen, darunter auch die Esa und die deutsche DLR, haben die Zusammenarbeit – wegen zahlreicher gemeinsamer Projekte schweren Herzens – bis auf Weiteres auf Eis gelegt.

Bisher, so hieß es von Seiten der Nasa, laufe der gemeinsame Betrieb der ISS aber sowohl im All als auch am Boden unvermindert weiter. Zudem sei kein Nachlassen des russischen Engagements im Alltag zu erkennen. Ob die neue Roskosmos-Forderung daran rüttelt, lässt sich noch nicht absehen. Klar ist in jedem Fall, dass die Triebwerke von angedockten Progress-Raumkapseln tatsächlich die Höhe der ISS-Umlaufbahn um die Erde regulieren, wie auch Pete Harding vom Portal NasaSpaceflight bestätigt. Für einen geplanten, kontrollierten Absturz – wie er für 2031 angedacht ist – wären solche Triebwerke wohl unerlässlich, auch die Orientierung der ISS wird vom russischen Teil aus gesteuert. Aber, so der frühere Astronaut Garrett Reisman zu CNN: "Der russische Teil kann ohne die Elektrizität auf der amerikanischen Seite nicht funktionieren." Ebenso verhalte es sich umgekehrt; ein bewusstes Entkoppeln sei nicht möglich.

Einfach abstürzen lassen? Unwahrscheinlich.

Aber könnten es die Russen einfach darauf ankommen lassen? Auch wenn seit Kriegsbeginn vieles Undenkbare vorstellbar geworden ist, ist das im Moment äußerst unwahrscheinlich. Vor allem, weil die Station permanent besetzt ist und fast immer auch russische Kosmonauten zur Crew gehören. Ende März sollen zwar die beiden derzeit zur Besatzung gehörenden Russen zur Erde zurückkehren, die nächsten stehen jedoch bereits in den Startlöchern. Außerdem sind da teure Technologie und wissenschaftliche Experimente, die Roskosmos wohl kaum einfach wegwerfen würde.

Nichts desto trotz spielt die russische Propaganda offensiv mit dem Szenario eines mutwillig herbeigeführten ISS-Absturzes. Über den Telegram-Kanal der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti verbreitete Roskosmos unlängst ein Video, in dem sich Kosmonauten von der Stationscrew verabschieden, das russische Segment von der Station abkoppeln und die ISS – so das Narrativ – nicht mehr navigierbar ihrem Schicksal überlassen – hämischer Beifall inklusive.

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Dragon und Cygnus: Amerikaner keineswegs machtlos

Doch so machtlos wie es das Video glauben machen will, wären die Amerikaner nicht – wenngleich für einen sicheren Betrieb eine reibungslose Zusammenarbeit eigentlich unerlässlich ist. Nach eigenen Angaben arbeitet die Nasa bereits an Lösungen, um die ISS ohne russische Hilfe im Orbit zu halten. Roskosmos-Chef Rogosin bekam auf seine süffisante Frage, "wer denn die ISS rettet", sollte die Zusammenarbeit blockiert werden, schon eine schnelle Antwort: Elon Musk twitterte schlicht das Logo seiner Firma SpaceX. Und tatsächlich wären die Triebwerke der wiederverwendbaren Dragon-Raumkapseln geeignet, die Bahn der ISS zu kontrollieren – wenn auch einige Planungen und Vorbereitungen nötig wären.

Noch besser sollen die Triebwerke des Cygnus-Raumtransporters von Northrop Grunman geeignet sein, die ISS zu navigieren. Das Ende Februar ins All gestartete Exemplar ist nach Angaben des Unternehmens das erste, das explizit zu einem "Reboost" der Raumstation fähig ist. Das Problem der Cygnus: Der Transporter ist nicht wiederverwendbar und benötigt für Starts eine aus – bemerkenswert angesichts des Krieges – ukrainisch-russischer Fertigung stammende Antares-Rakete. Davon soll Northrop Grunman nur noch zwei besitzen. Allerdings wäre wohl auch ein Start mit einer Falcon-9 von SpaceX möglich.

ISS landet 2031 auf Friedhof für Weltraumschrott im Pazifik
© NASA/ / Picture Alliance
Kontrollierter Absturz: An diesem Ort im Pazifik soll die ISS "beerdigt" werden

Keine Abhängigkeit mehr von russischen Raumkapseln

Dank der kommerziellen Raumfahrtunternehmen haben die Amerikaner also ihre nach dem Aus der Space Shuttles vorhandene Abhängigkeit von russischen Transportschiffen überwunden – und haben daher Möglichkeiten, die Bahn der ISS ohne russische Unterstützung zu beeinflussen. Ein kompletter Betrieb der Station ohne Russland würde allerdings einen erheblichen Aufwand und hohe Kosten bedeuten – und womöglich letzten Endes doch das Aus des einst gefeierten "Außenpostens der Menschheit im All" bedeuten.

Zu einem vollkommen unkontrollierten Absturz der ISS, wie ihn Roskosmos in Aussicht stellt, würde es dann aber nicht kommen. Ohnehin muss niemand Angst haben, dass ihm der 500-Tonnen-Brocken komplett auf den Kopf fällt. Ein Großteil der Station würde bei einem Absturz so oder so in der Erdatmosphäre verglühen. Bei einem kontrollierten Absturz geht es darum, dafür zu sorgen, dass etwaige große Trümmer, die das Inferno des Eintritts in die Atmosphäre überstehen, gefahrlos über dem Pazifik niedergehen. Untergehen würde mit der ISS allerdings eine weitere Möglichkeit, einen Kanal zwischen Russland und dem Westen offen zu halten.

Quellen: Roskosmos (Telegram); NasaWatch; Space Flight now; CNN; Nachrichtenagenturen DPA, AFP; NasaSpaceflight; Nasa

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