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"Lange Nacht der Sterne" Aufbruch zu den Sternen

Galaktisch: Mehr als 100.000 Menschen waren in der "Langen Nacht der Sterne" am 18. September unterwegs, um mit den fernen Welten am Himmel näher vertraut zu werden.

Um Punkt 20.59 Uhr taucht die internationale Raumstation ISS am klaren Darmstädter Abendhimmel auf - wie auf Bestellung - und zieht mit 28.000 Kilometer pro Stunde über das European Space Operations Center (Esoc) hinweg, das Kontrollzentrum der europäischen Weltraumagentur Esa. Sekunden später knackst es in den aufgestellten Lautsprechern, dann meldet sich US-Astronaut Mike Fincke mit "Hello everyone at Esoc" aus dem Orbit. Viele Besucher auf dem Gelände winken dem hellen Punkt am Firmament zu. Zehn Minuten lang berichtet der Mann im All über das Leben an Bord und beantwortet Fragen, dann verschwindet die ISS im Funkschatten.

Zum ersten Mal seit 25 Jahren öffnete das Darmstädter Kontrollzentrum am vergangenen Samstag seine Pforten für die Öffentlichkeit. Mehr als 100 Mitarbeiter aus 15 Ländern hatten die Esa-Veranstaltung vorbereitet - deren 3000 Eintrittskarten innerhalb von zweieinhalb Tagen sämtlich verkauft waren. Am Samstagnachmittag fiel beim Internet-Auktionator Ebay der Hammer für ein Drei-Euro-Ticket bei 25 Euro. Die Besucher erlebten Weltraumforschung live: In den Kontrollräumen der Missionen "Cassini-Huygens", "Rosetta", "Mars Express" und "Envisat" saßen Ingenieure an ihren Bildschirmen und hielten Kontakt zu Sonden, die Mars und Saturn umkreisen beziehungsweise unterwegs sind zu Kometen.

Mehr Andrang als bei einer "SoFi"

Ausverkaufte Häuser - das meldeten viele der rund 170 Planetarien, Sternwarten, Institute und Museen in der "Langen Nacht der Sterne". Die vom stern initiierte und von Mercedes-Benz unterstützte Veranstaltung brachte in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als 100.000 Besucher auf die Beine. Manche Planetariumsleiter verzeichneten einen größeren Andrang als zur Sonnenfinsternis oder zur Marsannäherung im vergangenen Jahr.

So staute sich in Berlin am Zeiss-Großplanetarium Prenzlauer Berg eine längere Warteschlange als vor den benachbarten Szeneclubs. Professor Dieter B. Herrmann, der vor kurzem pensionierte Leiter des Planetariums und der Sternwarte, erzählte von der Erfindung der Sternbilder, von den mythischen Welten der australischen Aborigines und der griechischen Antike. Nebenan in der Planetariumskuppel wurde stündlich die Show "Die große Tour durch die Welt der Planeten" gezeigt. Am Sonntagmorgen um zwei Uhr gingen die letzten der etwa 2500 Besucher.

Live-Schaltung nach Chile

In München kamen trotz Oktoberfest mehr als 1200 Wissbegierige zur Schaltzentrale der Europäischen Südsternwarte (Eso) nach Garching. "Hallo, hier ist Paranal" - mit diesen Worten meldete sich Christian Hummel auf einem Großbildschirm. Der Astronom saß am anderen Ende der Welt: im Teleskop-Zentrum Cerro Paranal im Norden Chiles, auf 2635 Meter Höhe in der Atacama-Wüste. Geduldig antwortete er den Besuchern in Deutschland. "Was war vor dem Urknall?" Der Experte schmunzelte: "Also, das wüsste ich auch zu gerne." In Garching tüfteln 250 Astronomen, Ingenieure und Informatiker aus mehr als 30 Nationen an neuen Großteleskopen und Instrumenten, zudem liegt hier die Europazentrale für das Weltraumteleskop Hubble.

Urmel im Licht der Taschenlampe

Schwarze Nacht umgab die Gäste des Augsburger Puppentheater-Museums "Die Kiste". Nur der Strahl einer Taschenlampe erhellte nach und nach die berühmten Marionetten, die in ihren Bühnenbildern stumm an den Fäden hingen. Jim Knopf hatte die Hand zum Gruß erhoben, gegenüber vergnügte sich Urmel auf der Insel Titiwu. Rund 300 junge und erwachsene Besucher erkundeten Samstagnacht die "Kiste" - und manch einer besuchte die Sonderausstellung "Himmel, Hölle, Sternenzauber". Sie widmet sich dem außerirdischen Repertoire aus Theater, Film und Kabarett: vom kleinen Prinzen über Schlupp vom grünen Stern bis hin zu Peterchen, der bekanntlich auf Mondfahrt geht. Zu sehen gab es auch einen echten, mehr als 100 Kilogramm schweren Meteoriten, ein Stück Mondgestein - sowie auf dem historischen Wasserturm einen 2000 Lichtjahre entfernten offenen Sternenhaufen, den Mitarbeiter des Augsburger Planetariums ins Visier eines Spiegelteleskops genommen hatten.

In der Bauhaus-Stadt Dessau musste Michael Teichert, Astronomie- und Physiklehrer des Walter-Gropius-Gymnasiums, hart für die "Lange Nacht der Sterne" kämpfen. Er besuchte Stadträte, verteilte 3500 Flyer und steckte an der Schule zusammen mit 60 Freiwilligen jede freie Minute in das Projekt. Der Lohn? 2000 begeisterte Besucher, die sich in den Klassenräumen die Teleskopausstellung und die Computerpräsentationen ansahen, über Schwarze Löcher staunten - oder beim Astroquiz mitrieten: Welche Planeten sind direkte Nachbarn der Erde? Was ist eine Supernova? Wie viele Monde hat der Mars? Derweil wurden an der "Orion-Bar" Rotwein und Cocktails ausgeschenkt, die an diesem Abend Roter Riese oder Marsmännchen hießen, dazu gab's Schmalzstullen, Bratwurst und Brot.

"Nacht der Astronauten"

In Köln ging es schon am Freitagabend um die Sterne - in der "Nacht der Astronauten". Farbige Laserblitze zuckten durch das abgedunkelte Rund der Köln-Arena, auf der 200 Quadratmeter großen Leinwand über der Bühne erschienen Animationen und Bilder von der Erde, dem Mond, der Internationalen Raumstation ISS - alle in 3 D. Auf den Rängen verfolgten mehr als 5000 Raumfahrtbegeisterte, von ganz jung bis ganz alt, mit 3-D-Brillen aus Pappe diese galaktische Ouvertüre, an deren Ende ein riesiger roter Mars mitten im Raum zu schweben schien.

TV-Moderatorin Evi Seibert und Astronaut Ulf Merbold begleiteten mehr als zwei Stunden lang in Gesprächen mit Esa-Astronauten einen filmischen Flug zur Raumstation. Das Highlight dann um 21.28 Uhr: Auf der Mega-Leinwand wurden live Bilder aus der ISS eingespielt, die in diesen Minuten über Südamerika schwebte. Der elfjährige Dario hatte eine Frage an die Raumfahrer: "Wie weit kann man im Weltraum sehen?" Antwort des Astronauten Mike Fincke: "Sehr weit! Wir sehen nicht nur die Sterne besser und den Mond. Wir sehen auch unseren wunderschönen Planeten viel genauer und welche Auswirkungen all das hat, was die Menschen mit ihm machen." Am Samstag und Sonntag folgte in Köln auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt der "Tag der Raumfahrt", bei dem rund 100000 Besuchern unter anderem die verschiedenen Etappen des Astronautentrainings demonstriert wurden.

"Beim Saturn kauf' ich meine DVDs"

In Österreich und der Schweiz riefen 16 Planetarien und Institute zur "Langen Nacht der Sterne", in Wien etwa die Kuffner Sternwarte. "Wo is' denn da der Saturn?", fragte ein Knirps, als er durch den großen Refraktor, ein 120 Jahre altes, meterlanges Fernrohr aus blitzendem Stahl, in den sternenklaren Himmel spähte. Warum er das wissen wolle, fragte die Frau Mama, stolz auf das astronomische Interesse ihres Sohnes. Der erwiderte: "Weil, da kauf i' mir immer meine DVDs."

Bis nach Mitternacht schauten 300 Besucher von der Wiener Sternwarte aus ins Weltall und ließen sich in das Reich der Galaxien, Monde und Asteroide einweisen. So viele Gäste konnte Peter Habison, Direktor der 1886 von einem reichen Bierbrauer gegründeten Beobachtungsstätte, "noch nie auf einem Stück empfangen, nicht einmal anlässlich eines Kometen-Flugs". Vor allem das Interesse der Kinder verblüffte die Veranstalter. Geduldig warteten die Kids, bis sie einen Blick durch eines der Fernrohre werfen konnten. Selbst spät abends, bei einem Vortrag zum Thema "Materie in interstellarem Raum", hielten sie anstandslos still. Zumal der Referent, ein Hobbyastronom und Maschinenbauingenieur, ihnen schnell die Scheu vor dem Kosmos nahm: "Keine Sorge. Ich versteh auch nicht alles. Im Vergleich zum Universum san mir hier auf der Erde eh' nur kleine Maxln."

Angesichts der enormen Resonanz hat der stern entschieden: Die "Lange Nacht der Sterne" wird es auch 2005 wieder geben.

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