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Klimawandel "Uns läuft die Zeit davon"

Um den Klimawandel noch zu stoppen, müssen wir zügig unser Wirtschafts- und Energiessystem auf Nachhaltigkeit umstellen, warnen Wissenschaftler
Um den Klimawandel noch zu stoppen, müssen wir zügig unser Wirtschafts- und Energiessystem auf Nachhaltigkeit umstellen, warnen Wissenschaftler
© Colourbox
Gestern ging die wissenschaftliche Klimakonferenz in Kopenhagen zu Ende. Im stern.de-Interview erklärt Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit welchen Folgen des Klimawandels wir in naher Zukunft rechnen müssen.

Herr Professor Rahmstorf, UN-Wissenschaftler haben vor kurzem Alarm geschlagen: Schädliche Klimafolgen treten offenbar schneller ein als gedacht. Muss das Ziel der Europäischen Union, die Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, neu überdacht werden?

Nein, aber die neuen Daten zeigen, dass wir noch entschlossener und rascher handeln müssen, um nicht über die zwei Grad hinaus zu schießen. Wir sollten schnellstmöglich die Trendwende bei den Emissionen schaffen, damit der Klimawandel noch in einem Rahmen bleibt, der unsere Anpassungsfähigkeit nicht völlig überfordert.

Mit welchen Folgen des Klimawandels müssen wir rechnen?

In den nächsten Jahrzehnten wird vermutlich das Problem der wachsenden Dürre in vielen Weltregionen die größten Sorgen machen. Im Mittelmeerraum macht sich das durch die zunehmenden Waldbrände im Sommer bemerkbar. Daneben ist es der immer raschere Anstieg des Meeresspiegels, der die Sturmflutgefahr erhöht. Man denke an Taifun Nargis in Birma im vergangenen Jahr mit über 100.000 Toten– eine solche Sturmflut wird umso schlimmer ausfallen, je höher der Meeresspiegel steigt.

Mehr zur Person

Stefan Rahmstorf studierte Physik in Ulm und Konstanz und physikalische Ozeanographie an der University of Wales. 1990 promovierte er in Ozeanographie an der Victoria University of Wellington in Neuseeland. Nach mehreren Forschungfahrten im Südpazifik arbeitete er als Wissenschaftler am New Zealand Oceanographic Institute, am Institut für Meereskunde in Kiel und seit 1996 am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Dort beschäftigt er sich vor allem mit der Rolle der Meeresströmungen bei Klimaänderungen. Rahmstorf ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) und einer der Leitautoren des 4. IPCC-Berichts. Zusammen mit dem Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans-Joachim Schellnhuber, hat er 2006 das Buch "Der Klimawandel" veröffentlicht.

Was erwarten Sie als Ergebnisse des "International Scientific Congress on Climate Change"?

Wir diskutieren hier die neuesten Messdaten und Modellstudien aus aller Welt, um die wissenschaftliche Grundlage für die Klimakonferenz Ende des Jahres in Kopenhagen zu schaffen. Am Ende wird ein dickes Buch für Fachleute entstehen, aber auch eine allgemeinverständliche Broschüre mit den wichtigsten Ergebnissen, die schon im Juni erscheinen soll. Was da genau drinstehen wird kann man erst sagen, wenn die Konferenz mit über 1600 vorgestellten Forschungsarbeiten vorüber ist.

Welche Tendenz zeigen die neuesten Messdaten und Modellstudien?

Die Studien zeigen, dass die Vorgänge wie das Schmelzen des arktischen Meereises oder der Anstieg des Meeresspiegels schneller vor sich gehen, als bisher angenommen. Gute Nachrichten gibt es allerdings hinsichtlich der Lösungen. Es wird immer deutlicher, dass ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien möglich ist und einen zentralen Baustein der Lösung darstellt. Hier wachsen die Investititionen dramatisch, zum Beispiel in die Solarenergie in Kalifornien.

Welche Weichenstellungen müssen Ende des Jahres auf der Klimakonferenz in Kopenhagen erfolgen?

Dort wird über die Zukunft des globalen Klimaschutzes entschieden. Es ist die wohl letzte Chance, sich weltweit auf Emissionsminderungen zu einigen, mit denen man den Klimawandel noch auf zwei Grad begrenzen kann. Die Zeit läuft uns davon.

Der Klimawandel ist nur weltweit zu stoppen. Ist unter dem US-amerikanischen Präsidenten Obama ein Weltklimaabkommen in greifbare Nähe gerückt?

Alles, was ich aus den USA höre, stimmt mich sehr optimistisch. Nach Jahren der Verleugnung des Problems sind die USA wieder aktiv beim Klimaschutz mit dabei und wollen sogar eine führende Rolle spielen.

Was müsste ein Weltklimaabkommen beinhalten?

Ehrgeizige, konkrete Reduktionsziele für die Industriestaaten, die nicht in großer Ferne liegen - etwa den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Und einen Modus, wie die wichtigsten Entwicklungs- und Schwellenländer mit eingebunden werden können. Alle sitzen in einem Boot – nur gemeinsam können wir die Krise bewältigen.

Macht der Klimawandel die Ärmsten noch ärmer?

So sieht es aus. Die Industrieländer sind für 75 Prozent der zusätzlichen Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich, aber die Ärmsten der Welt sind den Folgen der globalen Erwärmung, etwa Dürren und Sturmfluten, am schutzlosesten ausgesetzt.

Klimakonferenz in Kopenhagen

Vom 10. bis zum 12. März hat an der Universität Kopenhagen der "International Scientific Congress on Climate Change" stattgefunden. Tausende Wissenschaftler aus aller Welt kamen dort zusammen, um den neuesten Stand in der Klimaforschung zu diskutieren. Die Ergebnisse werden Ende des Jahres auf der "Climate Change Conference" (COP15) der Vereinten Nationen präsentiert und sollen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft als Grundlage für ein neues Weltabkommen zur Bekämpfung des Klimawandels dienen.

Müssen wir mit Klimaflüchtlingen rechnen? Ist die Europäische Union darauf vorbereitet?

Es ist zu befürchten, dass die Zahl der Flüchtlinge dramatisch ansteigt, etwa wenn es durch Dürren zu größeren Ernteausfällen kommt, oder infolge klimabedingter Extremereignisse oder Landverlusten durch den steigenden Meeresspiegel. Bislang sind Klimaflüchtlinge oder im weiteren Sinne Umweltflüchtlinge im internationalen Recht nicht als anerkannte Kategorie vorgesehen. Es ist also nicht geregelt, wohin sie sich wenden können und wer sie aufnehmen sollte.

Was bedeutet das im Ernstfall konkret?

Vermutlich werden Staatengruppen wie die Europäische Union ihre Grenzen dicht machen. Wir erleben das ja jetzt schon mit den Flüchtlingen aus Afrika. Diese Problematik wird sich verschärfen.

Durch den Klimawandel verlieren die Böden an Fruchtbarkeit
Durch den Klimawandel verlieren die Böden an Fruchtbarkeit
© Colourbox

Müssen sich die Industrienationen zum Klimaschutz verpflichten, noch bevor die großen Schwellenländer mitmachen?

Es muss vor allem eine gerechte Lastenverteilung geben, sonst machen die Entwicklungsländer nicht mit – ohne die können wir die Klimakrise aber nicht abwenden. Gerecht heißt tatsächlich, dass die Industrieländer vorangehen müssen. Wir haben am meisten von den fossilen Brennstoffen profitiert, haben die höchsten Emissionen pro Kopf: In Deutschland sind es rund zehn Tonnen, in Indien kaum mehr als eine. Nicht zuletzt haben wir die wirtschaftlichen und technologischen Mittel, um die Klimakrise abzuwenden. Wenn wir nicht zeigen, dass wir ohne spürbaren Verlust an Wohlstand unsere Emissionen drastisch senken können, dann werden Indien oder China das gar nicht erst versuchen.

Sind Wirtschaftswachstum und Klimaschutz vereinbar?

Selbstverständlich. Nach den Berechnungen der Ökonomen können wir das Klima bei zwei Grad Erwärmung stabilisieren ohne spürbar das Wachstum einzuschränken.

Ist in Zeiten der Weltwirtschaftskrise überhaupt noch genug Geld da, um ans Klima zu denken?

Gerade die Wirtschaftskrise hat ja gezeigt, wie rasch man zuvor für unmöglich gehaltene Summen mobilisieren kann, um Gefahren abzuwenden. Und diese Krise können und sollten wir auch nutzen, um im Sinne eines "Green New Deal" den nötigen Strukturwandel zu einem nachhaltigen Energie- und Wirtschaftssystem einzuleiten. "Never waste a good crisis" hat US-Außenministerin Hillary Clinton dazu vor einigen Tagen gesagt. Die USA haben in ihrem Konjunkturprogramm zum Beispiel eine massive Förderung der erneuerbaren Energien vorgesehen.

Was tut Deutschland?

Noch nicht genug. Die Förderung erneuerbarer Energien müsste in Konjunkturprogrammen noch stärker bedacht werden. Zudem sollten Investitionen in die Infrastruktur des Stromnetzes erfolgen, wie es in den USA ebenfalls vorgesehen ist. Denn die jetzigen Stromnetze reichen für einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien nicht aus. Man muss aufpassen, dass man mit dem vielen Geld wirklich Dinge fördert, die den Klimaschutz voranbringen. Die Abwrackprämie gehört da zum Beispiel nach meiner Einschätzung nicht dazu.

Wie können steigender Energiebedarf, Energiesicherheit und Klimaschutz miteinander in Einklang gebracht werden?

Indem wir erstens viel effizienter in der Energienutzung werden – immer noch wird der größte Teil einfach verschleudert. Und zweitens indem wir allmählich umsteigen von den fossilen Energien zu erneuerbaren Energien. Von der Sonne kommt ständig rund 8000mal so viel Energie, wie die Menschheit braucht. Das ist eine unerschöpfliche Quelle, und ich bin überzeugt, dass wir technologisch clever genug sind, damit unsere Energieversorgung zu sichern und Energiearmut zu beseitigen – wenn wir nur wollen.

Angesichts des Klimawandels haben Wissenschaftler wie der Direktor des PIK, Professor Hans Joachim Schellnhuber, eine Große Transformation der Gesellschaft gefordert. Was verstehen Sie darunter?

Zum einen die angesprochene Umstellung auf erneuerbare Energien. Es gibt aber noch eine Reihe anderer Themen, wo wir unsere Wirtschaftsweise umstellen müssen. Zum Beispiel in Bezug auf die Nutzung von Rohstoffen und von natürlichen Ressourcen wie den Ozeanen - man denke an die massive Überfischung oder die Abholzung der Regenwälder. Ein weiteres großes Problem ist die Degradierung der Böden, die dadurch zunehmend an Fruchtbarkeit verlieren – und die damit verbundene Frage, wie wir Land nutzen und uns ernähren. Gemeinsam ist diesen Problemen, dass unsere Wirtschaftsweise nicht nachhaltig ist. Die Große Transformation geht hin zu einer nachhaltigen Weltgemeinschaft, in der wir lernen, im Rahmen der von der Erde bereitgestellten Ressourcen zu leben statt vom natürlichen Kapital zu zehren. Das ist noch wichtiger als im Finanzsystem. Eine Bank kann man retten; einen zerstörten Regenwald aber bringt kein Geld der Welt mehr zurück, und den Meeresspiegelanstieg kann man auch für viele Jahrhunderte nicht mehr stoppen, wenn er einmal in Gang gesetzt ist.

Interview: Lea Wolz

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