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Ägypten nach dem Putsch Wenn der Nobelpreisträger mit dem General ...

Ägypten feiert. Doch was kommt nach dem Rausch? Die Zukunft des Landes ist mehr als ungewiss. Islamisten und Salafisten könnten das Machtvakuum ausnutzen.
Von Steffen Gassel

Sie feiern den Militärputsch ausgelassener als die Revolution. Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Sturz von Ex-Präsident Hosni Mubarak haben Zehntausende Ägypter den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo in der vergangenen Nacht wieder in eine gigantische Partymeile verwandelt. Um ihren Militärchef zu bejubeln, der Mohammed Mursi, den erst vor einem Jahr demokratisch gewählten Nachfolger Mubaraks, aus dem Amt gejagt hatte.

Al Sisi vereint die Widersprüche

Die ganze Nacht über spielten sich auf dem Tahrir Szenen frenetischer Entrückung ab. Feuerwerk und Hunderte grüne Laser-Beamer erleuchteten den Nachthimmel über Kairo. Gruppen von Frauen brachen vor Freude in das kehlige Geträller aus, mit dem sonst Frischvermählte auf einer Hochzeit begrüßt werden. Junge Männer fassten einander um die Schultern, tanzten im Kreis und sangen: "Uff, uff – ach, ach – al Sisi hat seinen Schwanz gerade gemacht." Abdelfattah al Sisi, der General an der Spitze des Putschs – in seiner Figur scheinen seit gestern zwei ägyptische Ideale zu verschmelzen. Das alte vom schneidigen, virilen Führer und das neue vom Verteidiger der Demokratie. Doch es ist unwahrscheinlich, dass diese Synthese lange hält. Zu offensichtlich sind die Widersprüche.

Da tritt der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei in eine Reihe mit den Generälen, die binnen weniger Stunden Hunderte Spitzenmitglieder der größten politischen Bewegung im Land einfach verhaften lassen und die Medien über Nacht gleichschalten – ganz so als hätte es nie eine Revolution gegeben.

Widersprüche vom Rausch überdeckt

Da stellt sich eine Riege aus Liberalen und alten Mubarak-Loyalisten hin und will die Zukunft der Demokratie in Ägypten sichern. Dabei haben sie sich noch vor Wochen dem demokratischen Prozess verweigert – weil der politische Gegner im vergangenen Sommer die Wahl gewonnen hatte. "Ägypten: Liberale gegen Demokraten" titelte ein Kommentator der "New York Times" gestern treffend. Die feiernden Massen interessiert der Widerspruch kaum. Sie durchleben diese Stunden wie im Rausch.

Es geht ihnen für den Moment auch nicht um die Feinheiten des demokratischen Prozederes. Ob sie zuerst einen Präsidenten oder das Parlament wählen werden – und wie bald diese Wahlen stattfinden sollen: Solche Fragen bewegen hier im Augenblick nicht. Die Emotionen, die sich seit gestern Bahn brechen, liegen tiefer. Es geht um kollektive Identität. Um das, was man früher die Seele eines Landes genannt hätte.

Nur Monate ist es her, da konnte man an der Kairoer Corniche al Nil noch mit Leuten wie dem ägyptischen Afghanistan-Veteran Salem al Gohary im Café sitzen, der Röcke und offen getragenes Haar am liebsten sofort verboten hätte und ohne einen Funken Ironie Sätzen sagte wie: "Kairo muss schöner werden: Mehr wie Kandahar." Leute wie er – der mitgeholfen hatte, die Buddhas von Bamiyan zu sprengen – zerstörten landauf landab die Schreine beim Volk beliebter Heiliger, weil deren Huldigung angeblich eine Verunreinigung des Islam darstellte. Und planten den Sturm auf Sphinx und Pyramiden.

Angst vor der Demokratie

Diese radikalen Salafisten gehörten zwar nicht zu Mursis Muslimbruderschaft. Aber ihr Einfluss wuchs in deren Fahrwasser. Statt sie zurückzuweisen paktierte der Präsident aus Machtkalkül mit diesen Leuten. Es war einer seiner schwersten Fehler. Denn sie verbreiteten Angst. Angst vor der gerade erst unter Blut und Tränen erkämpften Demokratie. Weil sie nichts von dem verkörperten, was der Mehrheit ihrer Landsleute gemeinhin als Ägyptisch gilt.

Finanziert aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten schadeten die Salafisten erst Mursis Ruf. Zum Schluss fielen sie ihm in den Rücken: Als General al Sisi gestern Abend den Putsch verkündete saß hinten rechts hinter ihm auch ein Vertreter der salafistischen al-Nur-Partei – nur wenige Meter entfernt vom liberalen Mohammad ElBaradei.

Islamisten auf dem Vormarsch

Diese Nacht von Kairo hat Signalwirkung für die ganze Region. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Islamisten zur regionalen Machtelite ist gebrochen. Regime wie die von Ankara und Doha sehen ihr Kalkül unterminiert. Sie hatten Hunderte Millionen Dollar und viel diplomatisches Kapital investiert, um die beginnende Vormachtstellung der Muslimbruderschaft in der sunnitischen Welt zu festigen. Die erste Gratulation zum Coup kam hingegen aus Saudi-Arabien, der geistigen Heimat der Salafisten. Die demokratisch gewählten – und damit autonomen – Islamisten von Kairo waren den Herrschern von Riad schon lang ein Dorn im Auge.

Und noch einer ließ den Aufstand gegen Mursi ausgiebig im Staatsfernsehen übertragen: Syriens Diktator Baschar al Assad, der der Welt seinen brutalen Krieg gegen das eigene Volk gern als aufrechten Kampf gegen einen intoleranten Islam verkaufen will. Als eine seiner letzten Amtshandlungen hatte der gestürzte Präsident Mohammad Mursi die diplomatischen Beziehungen zu Syrien gekappt. Ob sie nun bald wieder hergestellt werden? Auch daran wird man in den kommenden Tagen und Wochen ermessen können, wie konterrevolutionär der Coup von Kairo wirklich war.

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