Affäre Hirsi Ali Niederländische Regierung tritt zurück

Es ist keine gute Woche für die Niederländer. Erst fliegen sie bei der WM raus, dann treten der Regierungschef uns sein gesamtes Kabinett zurück. Premier Balkenende forderte am Donnerstag Neuwahlen.

Der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende kam etwas in Stolpern, als er sich von seinen gerade zurückgetretenen Ministern verabschiedete. Der Christdemokrat erhob sich etwas ungeschickt von seinem Sitz im Parlamentssaal, schüttelte kurz die Hände - und blickte verdrossen drein. Die Minister Laurens Brinkhorst und Alexander Pechtold hatten Parteidisziplin gezeigt, ihre linksliberale D66, der kleinste Koalitionspartner, hatte das Bündnis mit Balkenende aufgekündigt. Nun nimmt auch der seinen Hut.

Kleinste Koalitionspartei stürzt Regierung

Zu verdanken hat er die für ihn missliche Lage seiner Treue zur umstrittenen Ausländerministerin Rita Verdonk, mit der Brinkhorst und Pechtold nicht länger zusammen in einem Kabinett sitzen wollten. Verdonk hat sich in der Pass-Affäre um die ebenso umstrittene Islamkritikerin und Ex-Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali völlig verrannt: Die aus Somalia stammende Hirsi Ali hatte zugegeben, zur Erlangung des Asyl-Status in den Niederlanden - und damit auch zur späteren Einbürgerung - falsche Angaben gemacht zu haben.

Hirsi Ali ist als Buchautorin und Islam-Kritikerin über die Grenzen der Niederlande hinaus bekannt. Sie gehörte wie Ministerin Verdonk der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) an. Hirsi Ali hatte 1992 falsche Angaben in ihrem Asylantrag gemacht, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Dies war allerdings seit Jahren bekannt. Verdonks Drohung mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft stieß deswegen bei vielen Niederländern auf Unverständnis.

"Regeln sind Regeln"

Für Verdonk, deren Wahlspruch lautet "Regeln sind Regeln", war der Fall klar: Hirsi Ali ist keine Niederländerin. Nach dringenden Aufforderungen auch aus dem Regierungslager revidierte sie diese Entscheidung. Aber erst, nachdem Hirsi Ali auf sich nahm - unter Druck, wie sie sagt -, dass sie das ganze Wirrwarr selbst verursacht habe. Balkenende fand das eine saubere Lösung. Die D66 hat er wohl falsch eingeschätzt.

Denn bei den Linksliberalen will sich Fraktionschefin Lousewies van der Laan profilieren, eine streitlustige und ehrgeizige Frau. Gerade erst haben die Mitglieder nicht ihr, sondern dem pragmatischen Pechtold die Rolle des Spitzenkandidaten für die nächste Wahl angetragen. Pechtold blickte auch irritiert in die Reihen, als er auf der Ministerbank neben Balkenende hörte, wie seine Konkurrentin wieder und wieder feststellte, dass ihre Partei kein Vertrauen mehr in dieses Kabinett habe: "In das ganze Kabinett". Doch schließlich fügte er sich der Fraktionsentscheidung.

Verdonk - oder die Koalition

Balkenendes kleinster Koalitionspartner, die Partei D-66, hatte ihren Rückzug aus der Regierung angekündigt, weil Balkenende an der umstrittenen Einwanderungsministerin Rita Verdonk festhielt. Diese überstand am Donnerstagmorgen zwar einen Misstrauensantrag im Parlament, die kleinste Regierungspartei D-66 votierte jedoch gegen die Ministerin. van der Laan erklärte im Parlament, Balkenende müsse zwischen Verdonk und dem Fortbestand der Koalition entscheiden. Der Ministerpräsident lehnte eine Kabinettsumbildung jedoch ab, woraufhin die D-66 aus der Koalition ausstieg. Balkenende verlor damit seine Mehrheit im Parlament.

Van der Laan gehört zu jenen sozialliberalen D66-Politikern, die sich schon lange in Balkenendes Koalition unwohl fühlen, weil die als spießbürgerlich und langweilig gilt. Sie hat den Fraktionsvorsitz in einer Phase übernommen, als D66 wegen taktischer Winkelzüge mit dem Ziel der Machterhaltung erheblich an Glaubwürdigkeit verlor und bei der Kommunalwahl im März die Quittung bekam. Diese Spielchen will die resolute Blonde beenden - und koste es einen hohen Preis.

Tage im "Türmchen" sind gezählt

Unmittelbar vor dem Beginn der politischen Sommerpause dürfte Balkenende nun noch mehr davon ausgehen, dass seine Tage im "Türmchen" - dem mittelalterlichen Amtssitz des Regierungschefs in Den Haag - gezählt sind. Sein sozialdemokratischer Herausforderer Wouter Bos steht schon seit langem weit höher in den Meinungsumfragen. Der ehemalige Shell-Manager mit der jugendlichen Ausstrahlung wartete bislang geduldig ab. Jetzt aber sieht er seine Chance vorzeitig kommen. An seiner Seite laufen sich die Grünen warm. Auch die kleine sozialistische Partei stünde für einen Machtwechsel bereit.

Auf der anderen Seite geben längst nicht mehr nur Christdemokraten und Rechtsliberale den Ton an. Populisten wie Geert Wilders versuchen, im Stile eines Pim Fortuyn voranzukommen. Der hatte 2002 mit schlichten Parolen die gesamte Parteienlandschaft durcheinander gewirbelt. Ihn traf der tödliche Schuss eines Attentäters, bevor er sich politisch beweisen konnte. Aber noch immer zittern "etablierte" Politiker in Den Haag bei dem Gedanken, wie leicht Fortuyn ihr eingespieltes, aber verstaubtes System erschüttern konnte. Auch bei der nun anstehenden Neuwahl wird das eine wichtige Rolle spielen.

AP
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