Rund vier Jahre nach Beginn ihres Einsatzes in Afghanistan hat die Bundeswehr im Juni das militärische Kommando über die Isaf-Friedenstruppen im Norden des Landes übernommen. Die Region hatte ursprünglich als ruhigste Region des Landes gegolten, doch auch dort wird der Einsatz riskanter. Im ganzen Land eskalierte die Gewalt in den vergangenen Monaten.
Bis Mai hatte die Bundeswehr den Einsatz der Nato-Friedenstruppe Isaf in den neun Nordprovinzen lediglich koordiniert, seit Juni übt der deutsche Brigadegeneral Markus Kneip auch das militärische Kommando aus. Zur Nordregion gehören die deutsch geführten Wiederaufbau-Teams in Feisabad und Kundus, außerdem das schwedisch geführte Team in Masar-i-Scharif, das norwegisch geführte in Meymaneh und das niederländisch geführte Pol-e Khomri. Über die Teams wird die militärische Aufgabe der Friedenssicherung mit dem Wiederaufbau des Landes verzahnt.
"Camp Marmal" ist größtes deutsches Feldlager
Das deutsche Regionalkommando sitzt im neuen "Camp Marmal" (zu deutsch: Gebirge) in Masar-i-Scharif, das mit derzeit rund 1000 Bundeswehr-Soldaten das größte deutschen Feldlager im Ausland ist. Bis Jahresende sollen dort 1700 deutsche Soldaten stationiert sein. Knapp 240 Bundeswehr-Soldaten sind im Wiederaufbauteam in Feisabad im Einsatz und 420 in Kundus. In Kabul sind derzeit noch etwa 800 deutsche Soldaten stationiert, ihre Zahl soll sich bis Jahresende auf etwa 350 verringern. Die Deutschen haben das Lager bereits an Frankreich übergeben, das für die Region Kabul zuständig ist. Am usbekischen Versorgungsstützpunkt Termes sind etwa 280 deutsche Soldaten im Einsatz. Mit den Deutschen zusammen tun in der Nordregion rund 1200 Soldaten aus 13 Nationen, vor allem aus Norwegen, Schweden und den Niederlanden ihren Dienst.
Insgesamt sind als Teil der Friedenstruppe Isaf derzeit rund 2800 deutsche Soldaten in Afghanistan und Termes stationiert. Seit Beginn des Einsatzes sind durch Anschläge und Unfälle 18 deutsche Soldaten in Afghanistan umgekommen. Zuletzt hatte der Bundestag das Afghanistan-Mandat Ende September verlängert und auf bis zu 3000 Soldaten aufgestockt. Weitere große Isaf-Kontingente stellen Italien, die Niederlande, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Für den Westen des Landes ist Italien zuständig, für den Süden ab kommender Woche Großbritannien mit Kanada und den Niederlanden und für die Hauptstadt Kabul Frankreich. Insgesamt wird die Isaf derzeit auf bis 18.000 Soldaten verstärkt.
Enduring Freedom dauert an
Separat vom Friedenseinsatz der Isaf läuft im Süden und Osten Afghanistans der von den USA geführte Kampfeinsatz "Enduring Freedom" gegen die radikal-islamischen Taliban und Anhänger der Extremistenorganisation Al-Kaida. An ihm sind rund 22.000 amerikanische, 3500 britische und 2300 kanadische Soldaten beteiligt. Zeitweise waren dafür auch Soldaten der deutschen Elite-Truppe KSK im Einsatz. Der Einsatz der US-Kampftruppen im Süden soll auch nach der Übergabe des Sektors an die Isaf weitergehen. Zum Monatswechsel wollen die USA die Verantwortung für die Region an die Isaf abgeben. Großbritannien, Kanada und die Niederlande werden sich dann im Regionalkommando abwechseln. Experten rechnen damit, dass diese Südausdehnung die bisher härteste Bewährungsprobe für Truppen des Bündnisses werden könnte.
Wenn die Friedenstruppe Isaf ab kommender Woche auch die Verantwortung für den unruhigen Süden des Landes übernimmt, kann sich nach Einschätzung von General Markus Kneip die Gefahr für die deutschen Soldaten in Nordafghanistan erhöhen. Zugleich sei dies jedoch ein wichtiger Schritt zur weiteren Stabilisierung des Landes, sagte der Kommandeur der Nato-Truppen in der Region. Kneip sagte, er könne nicht ausschließen, dass Extremisten aus dem Süden nun dem neuen Druck ausweichen und sich auch nach Norden oder Westen bewegen würden. "Dies sind Seiteneffekte, denen wir ins Auge schauen müssen - und die wir für den Preis der langfristigen Sicherheit in Kauf nehmen müssen", betonte der General. Um Konflikte zu vermeiden, informierten die Soldaten die Bevölkerung, sie sprächen mit Mullahs und Schulleitern, mit Vertretern der afghanischen Armee, der Polizei und der Regierung. "Die Ausweitung der Isaf soll nicht als Angriff oder als Aggression verstanden werden", sagte Kneip.
Keine direkte Gefahr, dennoch ist Wachsamkeit geboten
Dennoch müsse die Bundeswehr sehr wachsam sein und immer damit rechnen, dass ein Schuss daneben gehen oder ein Verkehrsunfall wie unlängst bei den Amerikanern einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung auslösen könne. "Wir müssen sehr, sehr wachsam sein für solche Vorfälle und bei jedem Schritt, den wir machen. Das kann einen Tag dauern oder auch eine Woche, das hängt von der Entwicklung ab", sagte Kneip. Wie lange diese verstärkte Bedrohung andauere, komme darauf an, wie die Erweiterung im Süden aufgenommen werde, und zwar von der dort gut gesinnten Bevölkerung wie auch von den Extremisten.
Besonders kurzfristig halte er wegen der Ausdehnung der Isaf nach Süden eine zusätzliche Gefährdung für die Truppen für möglich. "Jeder Fehltritt, ein militärischer, ein menschlicher, wird sofort instrumentalisiert durch unsere Gegner", warnte Kneip. Mittel- und langfristig hoffe er jedoch auf einen positiven Effekt der Südausdehnung und eine weitere Stabilisierung des Landes. Es sei eine weitere Chance zur Befriedung. Die Stimmung den Deutschen gegenüber sei in der Bevölkerung weiter freundlich, obwohl allgemein Unzufriedenheit über die schleppende wirtschaftliche Entwicklung vor allem in den ländlichen Gebieten herrsche.
Ohne Entwicklungshilfe geht in Afghanistan gar nichts
Auf seiner persönlichen Wunschliste stehe mehr Entwicklungshilfe für das Land ganz oben, da das Land langfristig nur über die Politik und die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren sei. "Ich kann nicht genügend Entwicklungshelfer, nicht genügend Entwicklungsgeld und nicht genügend Projekte haben", sagte Kneip. Außerdem sei mehr Engagement beim Aufbau der afghanischen Polizei nötig. "Die afghanische Armee ist auf einem mittleren bis guten Weg. Bei der Polizei wären mehr Mittel nötig, das heißt mehr europäische Polizisten und mehr europäisches Wissen", erklärte der General.