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Gefängnishölle für Putins Erzfeind "Brutalste Kolonie Russlands": Hier muss Nawalny wahrscheinlich seine Haft verbringen müssen

Hier wird Alexej Nawalny seine Haft verbringen müssen 
Justizvollzugskolonie Nr. 2 der Föderalen Strafvollzugsbehörde der Region Wladimir, kurz IK 2: Hier wird Alexej Nawalny seine Haft verbringen müssen 
© Kirill Kallinikov/ / Picture Alliance
Totale Isolation, physische Misshandlungen und perfide psychische Folter: Die Pokrowskaja-Kolonie gehört zu den gefürchtetsten Haftanstalten Russlands. Hier sollen Menschen gebrochen werden. Unter ihnen nun wohl auch Alexej Nawalny. 

Pokrowskaja-Kolonie, offiziell Justizvollzugskolonie Nr. 2 der Föderalen Strafvollzugsbehörde der Region Wladimir, kurz IK 2. Hier wird Alexej Nawalny wahrscheinlich die nächsten zweieinhalb Jahre seines Lebens verbringen müssen – wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen, die ihm in einem Urteil auferlegt worden sind, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2017 für rechtswidrig erklärt hatte. 

Das Straflager in der Kleinstadt Pokrow, rund 100 Kilometer östlich von Moskau, ist eine der am meisten gefürchteten Haftanstalten in Russland. Ehemalige Häftlinge berichten von psychischer Folter, physischer Misshandlungen und strengstem Regime.

Auch der rechtsextreme Dmitrij Demuschkin saß in der Pokrowskaja-Kolonie seine Strafe ab. 2017 wurde er "wegen Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit" zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. "Manche Verurteilte schlitzen sich den Bauch oder schneiden sich die Pulsadern auf, nur um nicht in dieser Kolonie zu landen", erzählte er in einem Interview mit dem unabhängigen TV-Sender Dozhd. Die Haftanstalt diene zwei Zwecken: Die Häftlinge psychisch zu brechen und sie vollkommen von der Außenwelt zu isolieren. "Die Pokrowskaja-Kolonie ist die brutalste in Russland", so Demuschkin. 

Aus diesem Grund würden die Häftlinge oft auch nicht über ihre Verlegung in diese Haftanstalt informiert werden. Eine Methode, die offenbar auch im Fall von Nawalny zur Anwendung gekommen ist. Klamm und heimlich wurde der Oppositionspolitiker in der vergangenen Woche aus der Untersuchungshaftanstalt in Moskau in die Kolonie gebracht. Über das Ziel wurden weder seine Anwälte noch Angehörige informiert, wie es das Gesetz in der Theorie verlangt.

Bis heute hat die zuständige Gefängnis-Aufsichtsbehörde (FSIN) den aktuellen Aufenthaltsort von Nawalny nicht bekannt gegeben. Doch lokale Medien und die russische Nachrichtenagentur Tass meldeten übereinstimmend unter Berufung auf Quellen in der Behörde, dass Nawalny in die Pokrowskaja-Kolonie verlegt wird. 

Unterdessen wurde am Mittwochnachmittag auf Instagram eine Wortmeldung von Nawalny veröffentlicht. Allerdings befand sich der Oppositionspolitiker zum Zeitpunkt der nun publizierten Aussage nach eigenen Angaben in der Untersuchungshaftanstalt Nr. 3 der Region Wladimir – womöglich ist dies die Zwischenstation auf dem Weg in die Pokrowskaja-Kolonie, die ca. 70 Kilometer entfernt ist, und wohin Nawalny voraussichtlich gebracht wird, wenn das Urteil in Kraft tritt. 

"Wenn einem Häftling mitgeteilt wird, dass seine nächste Station die Region Wladimir ist, wird ihm mulmig zu mute, so ist nun mal der Ruf der hiesigen Einrichtungen. Aber bei mir ist alles in Ordnung", ließ er ausrichten. "Ich habe noch keine Briefe erhalten und weiß noch weniger darüber, was in der Welt passiert, als zu der Zeit, als ich noch in Moskau war." 

In seiner gewohnt lakonischen Art berichtet er wie er mit seinen Mithäftlingen Zwieback herstellt. "Ob Sie es glauben oder nicht, wir trocknen Brot und ich hätte nie gedacht, dass es so aufregend sein könnte", heißt es weiter. Wann genau Nawalny diese Worte verfasst hat, ist jedoch nicht bekannt.

Der Leiter der Moskauer Überwachungskommission zum Schutz der Menschenrechte in Haftanstalten (ONK), Alexej Melnikow, ist aber sicher, dass Nawalny in die Pokrowskaja-Kolonie gebracht wird: "Wir haben zu hundert Prozent sichere Informationen, dass Nawalny in die Region Wladimir gebracht wurde, um seine Strafe zu verbüßen", sagte er der Nachrichtenagentur Interfax. "Er wird zunächst in Quarantäne sein, anschließend wird man ihn einem Trupp zuordnen", so Melnikow.

Hier wird Alexej Nawalny seine Haft verbringen müssen 
Einfahrt der Justizvollzugskolonie Nr. 2 der Föderalen Strafvollzugsbehörde der Region Wladimir, kurz IK 2: Hier wird Alexej Nawalny seine Haft verbringen müssen 
© Mikhail Metzel / Picture Alliance

Psychische Folter im Spezial-Sektor

Die sogenannte Quarantäne im Spezial-Sektor der Haftanstalt wird jedoch am meisten gefürchtet. "Hier muss man den ganzen Tag stehen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf nach unten geneigt", erzählte Demuschkin. "Man darf sich nicht bewegen, man darf nicht reden, man darf nicht einmal zur Seite schauen oder sich die Nase kratzen." Alternativ könne einem befohlen werden, den ganzen Tag im Sitzen zu verbringen: Beine zusammen, Hände auf dem Schoß und Kopf nach unten. Wegen dieser Praktiken werde in der Kantine kein Salz dem Essen zugesetzt. "Damit die Beine nicht noch mehr anschwellen als ohnehin schon." 

Acht Monate verbrachte Demuschkin in diesem Spezial-Sektor. Physische Folter habe er nicht ertragen müssen. Dies stehe nach seiner Ansicht auch Nawalny nicht bevor. "Ihm wird es viel schlimmer ergehen", warnte er jedoch. "Ich habe das ein oder andere Mal gedacht, dass es besser gewesen wäre, man hätte mich wie all die anderen geschlagen." Die psychische Folter sei viel schwerer zu ertragen. "Versuchen Sie mal 48 Stunden lang kein einziges Wort zu sagen, und Sie werden sehen, wie sich ihre Persönlichkeit deformiert. Oder versuchen Sie, acht Stunden ohne Unterbrechung zu stehen." 

Medizinische Betreuung gebe es in der Kolonie überhaupt keine. Als er gesundheitliche Probleme gehabt habe, habe der Gefängnisarzt bloß gesagt, er solle "doch verrecken", berichtete Demuschkin weiter. Es sei dem Arzt einerlei.

60 Mann pro Zelle, zwei Quadratmeter pro Häftling

Doch auch das Leben außerhalb des Spezial-Sektors ist einem strengen Regime unterworfen: 60 Mann pro Zelle. Zwei Quadratmeter pro Häftling. Ein Platz in einem zweistöckigen Bett, ein Nachttisch, ein Stuhl. Einmal in der Woche ist der Besuch der Duschräume und der Kirche gestattet. 

"Man steht um 6 Uhr morgens auf und geht um 22 Uhr ins Bett", berichtete der Aktivist Konstantin Kotow über den Alltag in der Haftanstalt im Gespräch mit dem Stab von Nawalny. Er verbrachte mehr als anderthalb Jahre in der Kolonie und wurde im Dezember 2020 freigelassen. Kotow war 2019 bei einer Protestaktion der russischen Opposition in Moskau festgenommen und später wegen angeblicher Verstöße "gegen das festgelegte Verfahren zur Organisation oder Abhaltung von Protesten, Demonstrationen oder Streiks" verurteilt worden. 

Staatliches Fernsehprogramm ist Pflicht 

"Morgens und abends wird zum Appell angetreten", erzählte Kotow. In der Zwischenzeit schuften die Insassen. "Es gibt eine Nähproduktion, eine Werkstatt zur Holzbearbeitung, eine Lackiererei, eine Montagewerkstatt. In der restlichen Zeit muss jeder fernsehen. Wenn du dabei einschläfst, wirst du umgehend geweckt", so der 36-Jährige. Das staatliche Fernsehprogramm sei Pflicht. 

Freizeit ist in der Kolonie ein Fremdwort. "Mit viel Glück bekommen man eine Stunde zugebilligt, in der man vielleicht ein Buch lesen kann. Doch politische Gefangene bekommen diese Freiheit nicht", berichtete der Stab von Nawalny. 

Politische Häftlinge in totaler Isolation 

Kommunikation zur Außenwelt gebe es so gut wie keine. Eine Viertelstunde in der Woche bekommen die Insassen, um Briefe zu schreiben. "Dabei schaut dir permanent ein Aufseher über die Schulter. Wenn ihm etwas nicht gefällt, das du schreibst, wird der Brief schlichtweg zerrissen", erzählte Demuschkin.

Briefe aus der Außenwelt erhalten die Insassen höchst selten. So manches Mal habe er auf einen Brief aus Moskau einen Monat lang warten müssen, erzählte Kotow. Telefonate seien höchstens alle zwei Wochen gestattet, wobei diese Möglichkeit mit jeden erdenklichen Mitteln verzögert oder verhindert werde. 

Für politische Gefangene gelte eine noch strengere Isolation, berichtet seine Anwältin Maria Eismont. Den Mithäftlingen wird verboten mit diesen Insassen zu sprechen. "Das heißt: Die 50 bis 60 Männer, mit denen du dir eine Baracke teilst, reden kein Wort mit dir. Und dieses Verhalten entspringt offensichtlich nicht dem eigenen Unwillen, sondern aufgrund eines Verbots von oben", so Eismont im Gespräch mit den unabhängigen Medien Dozhd und "Open Media". "Dort wird alles getan, um politische Gefangene zu isolieren. Mit Kotow durften nur ein oder zwei Sträflinge reden." Von der totalen Isolation politischer Häftlinge berichtete auch Demuschkin. Diejenigen, die sich bei der anfänglichen Befragung negativ über Wladimir Putin äußerten, würden besonders brutal behandelt. 

Ankunft von Alexej Nawalny versetzt Häftlinge in Unruhe 

Seit die Leitung der Haftanstalt vor einiger Zeit wechselte, sollen die schlimmsten physischen Misshandlungen ein Ende gefunden haben. Doch die Verlegung Nawalny versetzt die Insassen in Unruhe. Sie befürchten, dass das Regime verschärft werden könnte. "Häftlinge haben Angst vor dem Unbekannten, nicht alle sind froh über die Ankunft Nawalnys", berichtete einer der aktuellen Insassen gegenüber der Stiftung "Russland hinter Gittern". "Ihr Leben ist gerade besser geworden und nun geht die Angst um, dass die Schrauben wieder angezogen werden." 

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