Amtseinführung von Joe Biden "Das Ende eines Alptraums" und "ein kraftvolles Zeichen an die Welt"

Die internationale Presse begrüßt die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden auch im Hinblick auf die aufgeregten Jahre unter dessen Vorgänger Donald Trump. Für Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris sieht sie aber auch große Herausforderungen.

Eine neue Ära beginnt in den USA: Der Demokrat Joe Biden löst Donald Trump im Weißen Haus ab. Er übernimmt ein tief gespaltenes und krisengeplagtes Land. In seiner Antrittsrede schlägt Biden völlig andere Töne an als sein Vorgänger und kündigt einen Neuanfang an.

Den setzte Biden unmittelbar im Anschluss bereits in die Tat um, indem er mit der Demontage von besonders umstrittenen Entscheidungen seines Vorgängers Donald Trump begann. Er leitete die Rückkehr zum Klimaabkommen von Paris ein, stoppte den US-Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und hob ein Einreiseverbot für Menschen aus muslimisch geprägten Ländern auf. Auch abseits konkreter Maßnahmen wurde bereits nach wenigen Stunden deutlich, dass Biden im Weißen Haus einen gänzlich anderen Stil als Trump prägen will.

"Nun, wir haben es geschafft"

Die internationale Presse reagiert darauf einerseits mit Wohlwollen, andererseits weist sie auf die enormen Herausforderungen hin, die der neue Präsident zu bewältigen hat.

Ein Überblick:

"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): "Er rückte einen eindringlichen Appell an Einigkeit im Land ins Zentrum seiner ersten Rede als Präsident und wirkte dabei ebenso echt wie optimistisch. Tatsächlich sendet Washington mit diesen versöhnlichen Worten und dieser mit Pomp inszenierten Feierstunde der Demokratie ein kraftvolles Zeichen an die Welt – auf den Tag zwei Wochen nach den beschämenden Bildern vom gleichen Ort. Doch die Asche des Feuers, das Trump entfacht hat, wird noch lange glühen. Mehr als die Hälfte der Republikaner halten die Wahl vom November für manipuliert und zweifeln damit die Legitimität des neuen Präsidenten an. Das ist eine Hypothek; sie macht die ohnehin gewaltige Herausforderung noch größer. Biden hat ein Land übernommen, das in der tiefsten Krise der jüngeren Vergangenheit steckt und dessen Selbstverständnis erschüttert ist. Um die Nation zu 'heilen', wie er es versprochen hat, braucht er den Rückhalt aller."

"Rzeczpospolita" (Polen): "Das Amerika unter Joe Biden ist für Polen und die Staaten in der Region die beste Versicherung. Nichts deutet darauf hin, dass die neue US-Regierung uns das Gefühl der Sicherheit nehmen will. Dass sie etwa die Militärpräsenz verringern will oder – keine Frage der Sicherheit, aber des Selbstwertgefühls – etwa die Visapflicht für Polen wieder einführt, die Trump abgeschafft hatte.

Für Polen und seine Nachbarn ist außerdem wichtig, dass Biden und seine Mannschaft dem Schicksal von Belarus und der Ukraine nicht gleichgültig gegenüberstehen, anders als Trump und die europäischen Spitzenpolitiker. Biden weiß, welche Ängste und Erwartungen es in den Staaten der Region von Estland bis Rumänien gibt. Ihre pro-amerikanische Haltung kann er mit geringen Kosten erhalten."

"Público" (Portugal): "An diesem kalten und sonnigen Tag in Washington sind die Vereinigten Staaten einen illiberalen und unanständigen Führer losgeworden und haben die Tür für neue Hoffnungen geöffnet. Diese einfache Veränderung reicht aus, um diesen Mittwoch zu einem der wenigen hellen Tage in diesen grauen Zeiten zu machen.

Wie in anderen Augenblicken der jüngeren Geschichte, ob Vietnam oder Irak, müssen sich die Vereinigten Staaten für einen Neustart auf ihre Dynamik und die Stärke ihrer Institutionen verlassen. Die Wunden des Rassismus müssen geheilt und politische Extreme auf der Straße und im Parlament zusammengeführt werden, um eine zunehmend ungleiche, ungerechte und empörte Gesellschaft zu einen.

Amanda Gorman: Junge Lyrikerin von Biden-Amtseinführung wird gefeiert (Video)
Amanda Gorman: Junge Lyrikerin von Biden-Amtseinführung wird gefeiert (Video).
© AFP
Bidens Amtseinführung: Junge Lyrikerin wird für Gänsehaut-Rede gefeiert

Das Gefühl muss wiederhergestellt werden, dass die USA den Auftrag haben, Vorbild für liberale Demokratien zu sein, denn das macht sie im Grunde aus. Das Land muss sich auf seinen demokratischen Kern besinnen. Auch, damit Washington aufhört, den in Europa wachsenden Rechtsradikalismus zu inspirieren. Der von politischen Idealen, gemeinsamen Werten und Erinnerungen geprägte Westblock braucht diese beständige Kraft in einer Welt, die auf Chaos zusteuert."

"Der Standard" (Österreich): "Es ist, als müsste man im fahrenden Auto auf der Autobahn die Räder wechseln. So beschrieb ein Politologe der US-Universität Berkeley kürzlich die Herausforderung, vor der der neue US-Präsident Joe Biden steht. Jeder dritte Wähler erkennt ihn nicht als seinen Präsidenten an, Republikaner und Demokraten im Kongress haben vier Jahre heftigen Kampfes hinter sich, die Moral im Land ist auf dem Tiefpunkt, die Wirtschaft im Sinkflug und die Corona-Pandemie noch nicht annähernd ausgestanden. In absoluten Zahlen gemessen sind die Vereinigten Staaten wegen bisher fehlender Strategien das Land mit den meisten nachgewiesenen Ansteckungen und Todesfällen. Eine Mission Impossible also? Die Ausgangslage ist jedenfalls düster.

Gute Vorsätze hat die neue US-Regierung zur Genüge. Als "Heiler" tritt der idealistische Joe Biden an, auch in seiner Antrittsrede beschwor er Einheit und Zusammenhalt. Dass Biden den eingefleischten Wählerinnen und Wählern Donald Trumps mit Versöhnungsgesten die Ängste nehmen kann, die der Populist geschürt und bedient hat, ist unwahrscheinlich."

"Trud" (Bulgarien): "Vereinigte Staaten von Amerika oder Auseinanderfallende Staaten von Amerika? Mit wem haben wir es jetzt zu tun? Mit einem Amerika oder mit zwei? Oder sind es etwa mehr? Es klingt wie ein Scherz, ist es aber nicht ganz. (...) In der Praxis sind die USA nach sozial-politischen Linien geteilt – und zwar nicht seit heute oder gestern: Arm-Reich, Weiß-Nichtweiß, Süden-Norden usw. Die größte Trennlinie ist wohl die ethnische – zwischen Afroamerikaner und Latinos einerseits und weißen Männern und Frauen andererseits."

"La Repubblica" (Italien): "Donald Trump sagt den Kampf an, sein neustes Video vor dem Verlassen des Weißen Hauses ist alles andere als ein Abschied: Es ist ein Versprechen und eine Drohung. Bis zuletzt will er seinem rechtmäßigen Nachfolger noch einen kleinen Schaden zufügen, er schickt die Air Force One nicht, um Joe Biden in Wilmington, Delaware, abzuholen. Der 46. Präsident ist gezwungen, ein Privatflugzeug zu benutzen (...) Das Alter des 'Großvaters' der Nation bringt für diesen das Risiko mit sich, dass viele ihn als Kurzzeit-Präsidenten sehen, der nur eine Amtszeit macht, und bereits auf seine Stellvertreterin Kamala Harris blicken. Doch auf ihn selbst warten ab jetzt drei gewaltige Herausforderungen: Massenimpfungen, wirtschaftliche Erholung und der Wiederaufbau eines Dialogs mit fast der Hälfte Amerikas, die nicht einmal die Rechtmäßigkeit der Regierung anerkennt."

"The Times" (Großbritannien): "Joe Biden geht zu Recht davon aus, dass Amerika immer dann am stärksten ist, wenn es mit Verbündeten zusammenarbeitet. Er muss zeigen, dass Amerika seinen Führungswillen nicht verloren hat. Nirgendwo wird diese Führung so gebraucht, wie bei den zwei vordringlichsten Herausforderungen, mit denen westliche Demokratien konfrontiert sind: China und der Klimawandel. Biden ist zwar weniger konfrontativ als sein Vorgänger, doch er hat klargemacht, dass auch er China als strategischen Rivalen des Westens betrachtet. (...) Derweil begrüßen die europäischen Staaten insbesondere Bidens Versprechen, dem Pariser Klimaabkommen wieder beizutreten. Doch sein Ziel eines neuen globalen Klimavertrags erfordert stärker auf Kooperation ausgerichtete Beziehungen zu Peking. Wie er die Spannung zwischen diesen zwei außenpolitischen Zielen überwinden will, ist noch unklar."

"De Tijd" (Belgien): "Die Gestaltung der Beziehungen zu Europa wird eine delikate Übung. Militärisch sollen sie durch die Nato verstärkt werden. Doch auch unter Biden werden die USA verlangen, dass die Mitglieder der Transatlantik-Organisation ihre Militärausgaben erhöhen. Ein scharfer Konflikt mit China und Russland zeichnet sich ab. Dafür sind höhere Verteidigungsausgaben erforderlich. Wird Europa bei der Aufrüstung mitmachen? Und werden die Sanktionen, die Donald Trump verhängt hat, aufgehoben? Das ist nicht sicher. (...)

Der wichtigste Auftrag für den neuen Präsidenten besteht darin, das Vertrauen der traditionellen Verbündeten wieder herzustellen. Jüngsten Umfragen zufolge wird das nicht einfach. Das Vertrauen in Joe Biden ist in Europa zwar groß, doch das Vertrauen in die USA ist dramatisch gesunken."

"The Irish Times" (Irland): "Für viele Amerikaner symbolisiert der Anblick Joe Bidens bei seiner Vereidigung das Ende eines Alptraums. Zu Recht feiern sie die Stärke der Institutionen, die den Angriffen der letzten vier Jahre standgehalten haben. Doch die Hinterlassenschaft Donald Trumps lässt sich nicht so leicht überwinden. Amerikas Ansehen ist schwer beschädigt. Seine Rivalen sehen sich ermutigt, das Vertrauen seiner Verbündeten ist erschüttert. Seine Demokratie ist einer echten Gefahr ausgesetzt. Trump wurde geschlagen. Die Demokraten haben in Washington einen Durchmarsch hingelegt. Doch während das Land die Glut des Feuers austritt, das Trump vor vier Jahren entzündete, wird das ganze Ausmaß der Aufgabe des Wiederaufbaus erst allmählich klar."

"Washington Post" (USA): "Nun, wir haben es geschafft. Etwa 1461 Tage, nachdem Donald Trump sein Amt als Präsident angetreten hat, muss er es verlassen. Nachdem er im Kampf um die Wiederwahl am 3. November Joseph R. Biden Jr. unterlag, wird dieser am Mittwochmittag als 46. Präsident vereidigt. Viele Amerikaner, die den Schaden begutachten, den Mr. Trump angerichtet hat – am spektakulärsten durch die Aufwiegelung des Mobs am Kapitol am 6. Januar – sind verständlicherweise nicht geneigt, etwas viel Positiveres als Erleichterung zu empfinden. Sie sollten jedoch dieses bedeutsame Ereignis nicht unter Wert verkaufen.

Gemessen an dem, was hätte schiefgehen können (...), ist die bevorstehende Amtseinführung Bidens ein Grund zum Feiern. (...) Auch für unsere Institutionen ist das Glas halb voll. (...) Das notwendige Minimum zur Aufrechterhaltung der Republik wird in der Tat getan werden, ungeachtet all der Belastungen, dem das System in vier Jahren politischen Zwists, der durch den Präsidenten verschärft wurde, und in einem Jahr, in dem Krankheit und Tod das soziale Gefüge destabilisiert haben, ausgesetzt war. (...) Mr. Biden hat gesagt, dass er auch der Präsident derer sein wird, die ihn nicht gewählt haben. Dieses Versprechen steht in der besten amerikanischen politischen Tradition, die trotz allem nicht gestorben ist."