Fünf Jahre lang stand er an der Spitze der Nato, von 2009 bis 2014. Zuvor war er mehr als sieben Jahre Ministerpräsident von Dänemark. Anders Fogh Rasmussen hatte also viele Gelegenheiten, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen, mit ihm zu sprechen und ihn kennenzulernen. In einem Interview mit der dänischen Zeitung "Berlingske" blickte er nun auf Putin, dessen Rhetorik – und warnt vor dem russischen Präsidenten.
"Wenn man zurückblickt, ist es klar, dass wir gewusst hätten, was uns erwartet, wenn wir ihn wirklich ernst genommen hätten, wenn wir gesehen hätten, was er tat und gehört hätten, was er sagte", so Rasmussen. Man sei zu naiv gewesen und habe Putins Absichten und Brutalität falsch eingeschätzt. "Wir haben viel zu sehr daran geglaubt, dass unsere liberalen Werte automatisch siegen würden. Wir hätten viel früher und stärker reagieren müssen."
Anders Fogh Rasmussen: "Putin extrem verzweifelt und gefährlich"
In dem "Berlingske"-Interview nennt der ehemalige Nato-Generalsekretär Putin in einem Atemzug mit Adolf Hitler und Josef Stalin. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich denke, Putin ist genau so schlimm wie Stalin und Hitler. Man kann auch sehen, dass er versucht hat, die Geschichte über Stalin umzuschreiben, um die von ihm begangenen Gräueltaten zu vertuschen." In der Geschichte Putins gebe es ein besonderes Element, das ihn nach Foghs Überzeugung so außerordentlich gefährlich macht, dass er die Parallele zu den größten Massenmördern des letzten Jahrhunderts zieht.
"Wo Chinas Führer Xi Jinping an der Spitze eines wohlhabenden Landes steht, regiert Putin ein Land, das auf jede erdenkliche Weise untergeht. Die russische Demografie ist problematisch, sie haben keine Wirtschaftsreformen durchgeführt und sie sind zu sehr abhängig von Energie", sagt Anders Fogh Rasmussen. "Das macht Putin extrem verzweifelt und damit besonders gefährlich." Der russische Präsident sei "irrational, paranoid und brutal".
Rasmussen sieht Freiheit und Demokratie in Gefahr
Eine besondere Gefahr sei Putins Macht über die Atomwaffen des Landes. "Das müssen wir ernst nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass ihn die Tatsache abschreckt, dass der Westen – insbesondere die USA – über Atomwaffen verfügt. Aber die Situation ist die, dass wir sehen können, wie unverschämt brutal er ist, wenn er Städte bombardiert – und dass seine Schlagkraft mit Atomwaffen enorm ist." Der ehemalige Ministerpräsident meint: "Der Kalte Krieg ist warm geworden."
Auch die Freiheit sei mit dem Ukraine-Krieg in Gefahr, so Rasmussen. Man könne sehen, dass Putin Freiheit und Demokratie als absolut größte Bedrohung für sich selbst sieht. Auch der Schulterschluss zwischen Russland und China, "um den Einfluss der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten auf die Welt zu bekämpfen", sei gefährlich. Der Krieg in der Ukraine sei "der Beginn eines Kampfes um die Weltordnung – zwischen Autokratien und Demokratien. Es steht extrem viel auf dem Spiel."

Moldau, Georgien und Baltikum könnten Putins nächste Ziele sein
Gleichzeitig lehnt Rasmussen eine Flugverbotszone, wie von der Ukraine gefordert, ab. Dies würde nämlich einen Krieg zwischen Russland und Nato auslösen, da die Nato russische Flugzeuge abschießen müsste, wenn sie den Luftraum verletzen. Rasmussen hält es allerdings nicht für ausgeschlossen, dass "die humanitäre Lage oder der russische Waffeneinsatz" irgendwann eine Grenze überschreiten, die die Nato zum Handeln veranlasst. "Wir wissen nicht, was passiert, und in einer so unsicheren Situation sollte nichts ausgeschlossen werden."
Zu den Sanktionen gegen Russland meint der 69-Jährige, dass man die Daumenschrauben angelegt lassen sollte, solange Putin an der Macht ist. "Russland ist jetzt ein internationaler Paria, angeführt von einem politischen Gangster – Wladimir Putin. Es kann nicht wegverhandelt werden. Deshalb ist es in meiner Welt auch so, dass die Sanktionen bestehen, solange er an der Macht ist – weil er für den Krieg verantwortlich ist." Sogar einen Importstopp von russischem Öl und Gas fordert der ehemalige Chef der Nato. Es sei unannehmbar, dass man auf diese Weise den Krieg Russlands finanziere. Er würde lieber einen höheren Preis für Energie bezahlen, als Freiheit zu verlieren, so Rasmussen.
Nächste Ziele Putins, so befürchtet Anders Fogh Rasmussen, könnten nach der Ukraine Moldau, Georgien und danach die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen werden. Die letzteren Drei sind Nato-Mitglieder. Dennoch habe er nicht die "Fantasie", um sich vorzustellen, dass Putin es wagen würde, einen Krieg mit der Nato vom Zaun zu brechen. Davor hätte Putin Angst. Aber er könnte sich vorstellen, dass Putin die Stimmung im Land beeinflussen und Cyberangriffe ausführen könnte.