ATOMWAFFENPLÄNE Sorge und Empörung

Die Pläne der USA über einen erweiterten Einsatz von Atombomben sind am Montag weltweit mit Zurückhaltung und zum Teil mit Empörung aufgenommen worden. Die Bundesregierung sei entschieden dafür, die nuklearen Potenziale zurückzuführen, erklärte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye am Montag. US-Regierungskreise hatten am Wochenende bestätigt, dass vom Verteidigungsministerium derzeit ein Szenario für den Gebrauch von Atomwaffen gegen eine Reihe von Staaten erarbeitet wird. Russland äußerte sich am Montag besorgt.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin verwies auf die offiziellen Stellungnahmen von US-Regierungsmitgliedern, wonach es keine konkrete Planung für einen Atomwaffeneinsatz gebe. Die Bundesregierung hoffe, dass die Verhandlungen zwischen den USA und Russland über eine weitere Reduzierung von Atomwaffen zum Erfolg führten. Überdies sei der in den Medien genannte Pentagon-Bericht geheim; maßgeblich sei die offizielle Stellungnahme der USA.

Russland fordert Stellungnahme des Pentagons

Der russische Außenminister Igor Iwanow erklärte, sollten sich die Berichte als wahr erweisen, wäre dies ein Einlass zu großer Besorgnis, nicht nur in Russland, sondern in der gesamten internationalen Gemeinschaft. »Solche Pläne können die Situation nur destabilisieren und verschärfen«, sagte Iwanow. Russland erwarte jetzt eine Stellungnahme, um die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass die USA keine Angriffepläne ausarbeiteten. Verteidigungsminister Sergej Iwanow kündigte an, er werde bei seinem Besuch in Washington seinen amerikanischen Kollegen Donald Rumsfeld auf die Berichte ansprechen und eine Erklärung verlangen.

Ein Sprecher des französischen Außenministeriums sagte am Montag, es gebe keine offizielle Stellungnahme der USA, die auf eine Änderung der Nukleardoktrin hinweise. Frankreich sieht seine Atomwaffen als Mittel zur Abschreckung. Der Sprecher verwies auf eine Grundsatzrede von Staatspräsident Jacques Chirac vom Sommer 2001.

Chirac erklärte damals: »Unsere Atomstreitmacht richtet sich gegen kein Land und wir haben es stets abgelehnt, die Atomwaffe als Kampfwaffe im Rahmen einer Militärstrategie anzusehen.«

In dem geheimen Pentagon-Bericht wurden Russland, China, Nordkorea, Iran, Irak, Syrien und Libyen als mögliche Ziele genannt. Außerdem würden kleinere Atomwaffen für den Einsatz in bestimmten Situationen entwickelt, hieß es weiter. Dazu hatte US-Außenminister Colin Powell erklärt, die USA hätten keine konkreten Pläne zum Einsatz von Atomwaffen. Es gehe um die Abschreckung potenzieller Angriffe mit Massenvernichtungswaffen.

Iran reagierte verärgert auf den Pentagon-Bericht. Regierungssprecher Abdollah Ramesansadeh verglich die Vereinigten Staaten mit Terroristen und erklärte, der Bericht zeige, dass Amerika sich niemals an internatonale Vereinbarung über den Einsatz von Atomwaffen halten werde. Japan, das einzige Land, das jemals Ziel eines Nuklearangriffs war, sprach sich generell gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen aus, wollte den Bericht aber nicht kommentieren.

In Brüssel wies NATO-Generalsekretär George Robertson die Berichte als unbestätigt und nicht zuverlässig zurück. Das australische Verteidigungsministerium erklärte, der Pentagon-Bericht sei Teil einer routinemäßigen militärischen Planung. Ähnlich hatten sich einen Tag zuvor die britische und die italienische Regierung geäußert.

Auch kleine Bomben im Atomwaffenarsenal der USA

Die USA verfügen über ein gewaltiges Arsenal von Atomwaffen. Vorrangig im Blickpunkt standen bislang die weit reichenden strategischen Systeme, die während des Kalten Krieges zur Abschreckung vor einem Angriff dienten.

In ihrem Feldzug gegen den internationalen Terrorismus setzen die USA jetzt verstärkt auf Waffen, die eine geringere Reichweite haben und regional oder vor Ort eingesetzt werden können. Zu solchen taktischen Nuklearwaffen gehören etwa Atomgranaten, -minen und Mini-Bomben.

Unbekannte Anzahl weiterer Sprengsätze

Den Vorrat an sogleich einsatzfähigen taktischen Sprengköpfen beziffert die in Washington ansässige »Arms Control Association« (ACA) auf nahezu 1700. Eine unbekannte Anzahl weiterer Sprengsätze würden als Reserve gebunkert.

Die gut 7000 Sprengköpfe für den strategischen Einsatz machen immer noch den weitaus größten Teil des amerikanischen Nuklearpotenzials aus. Sie werden mit Trägersystemen an ihr Ziel gebracht, etwa landgestützten Interkontinentalraketen, von U-Booten aus oder mit Fernbombern. In diesem Bereich haben sich Amerikaner und Russen im Grundsatz auf eine weitere Reduzierung verständigt.

Mit der gewaltigen Vernichtungskraft so genannter Mini-Atombomben könnten etwa Höhlensysteme von Terroristen oder unterirdische Bunker von Diktatoren gezielt zertrümmert werden. Militärs argumentieren, dass sich mit kleinen Nuklearsätzen unerwünschte Schäden in der Umgebung der Ziele eher vermeiden ließen. Auch seien sie billiger als der Einsatz von vielen konventionellen Bomben, die bis zu mehrere hunderttausend Dollar pro Stück kosten.

Bereits unter Präsident Bill Clinton wurden im Jahr 2000 Studien für kleine Atomwaffen mit präzise eingegrenzter Wirkung in Auftrag gegeben. Kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush wurde die Idee wieder aufgegriffen. Begründung: Der Irak habe möglicherweise Massenvernichtungswaffen unterirdisch verborgen. Auch die mit dem Abbau strategischer Potenziale verbundenen Risiken seien durch den Ausbau des Arsenals kleiner Atomwaffen leichter zu verkraften.