Aufruhr im Iran In Teheran fallen erneut Schüsse

Kein Ende der Unruhen im Iran: Augenzeugen zufolge kam es auch am Sonntagabend in Teheran wieder zu Protestaktionen gegen die Anerkennung der Präsidentenwahl. Dabei sollen auch Schüsse gefallen sein. Der Westen verstärkte unterdessen den Druck auf die iranische Regierung. Kanzlerin Merkel forderte eine Neuauszählung der Wahl.

Trotz Verbots und eindringlicher Warnungen gehen die Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad offenbar weiter. Nach Angaben von Augenzeugen waren am Sonntagabend in vielen Stadtteilen Teherans Sprechchöre von Gegnern des ultrakonservativen Präsidenten zu hören. Neben "Allah ist groß" hätten sie immer wieder auch den Namen von Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi und "Tod dem Diktator" gerufen. Sicherheitskräfte hätten Warnschüssen abgefeuert. "Ich habe mehrere Schüsse in der Niawaran-Region gehört, sagte ein Augenzeuge. Ein weiterer Zeuge sprach von Schüssen im Saferanijeh-Distrikt. Am Samstag waren bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften sowie Gefolgsleuten Ahmadinedschads nach Polizeiangaben zehn Menschen ums Leben gekommen. Das staatliche iranische Fernsehen berichtete sogar von 13 Todesopfern, jedoch ohne dafür eine Quelle zu nennen.

Angesichts der blutigen Unruhen wächst auch der internationale Druck auf die Führung in Teheran. Nach Tagen zurückhaltender Reaktionen aus dem Westen verlangte Bundeskanzlerin Merkel am Sonntag eine Neuauszählung der Stimmen bei der umstrittenen Präsidentenwahl. "Deutschland steht auf Seiten der Menschen im Iran, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit ausüben wollen", sagte sie. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte: "Der Iran steht am Scheideweg. Entweder gelingt es jetzt, im Dialog aller politischen Kräfte die entstandene Situation wieder zu entschärfen, oder die Lage droht weiter zu eskalieren." Zuvor hatte bereits US-Präsident Barack Obama Teheran dazu aufgerufen, "alle gewalttätigen und unberechtigten Handlungen gegen die Menschen im eigenen Land zu stoppen".

Die Zusammenstöße am Samstag waren die schwersten seit Beginn der Protestaktionen. Wie die Polizei am Sonntag nach Abgaben der iranischen Nachrichtenagentur Mehr mitteilte, wurden "457 Randalierer, die an der Beschädigung öffentlichen Eigentums beteiligt waren", festgenommen. Nach Angaben aus Oppositionskreisen waren zuvor schon etwa 200 Kritiker Ahmadinedschads, darunter ehemalige Regierungsmitglieder, Dissidenten, Studenten und Journalisten, festgenommen worden. Unabhängige Meldungen gibt es nicht, da ausländische Medien nicht berichten dürfen und alle Oppositionsmedien gesperrt sind.

Die Polizei hatte angekündigt, hart gegen jede "illegale" Demonstration vorzugehen. Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi sagte nach Angaben seiner Anhänger ungeachtet dessen, er werde seinen Kampf fortsetzen. Er sei "bereit zum Märtyrer" zu werden. Mussawi, der bei der Präsidentenwahl unterlegen war und Ahmadinedschad Wahlbetrug vorwirft, erklärte am Samstag, er wolle seine Proteste fortsetzen. Er rief die Regierung auf, friedliche Kundgebungen zuzulassen. "Wenn sie mich verhaften, dann sollten alle streiken und die Arbeit niederlegen." Oppositionsanhänger protestieren seit nunmehr neun Tagen gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads und werfen ihm Wahlbetrug vor.

Die Zahl der Journalisten, die seit Beginn der Proteste festgenommen wurden, erhöhte sich am Wochenende drastisch. Mittlerweile säßen 33 Reporter und Internet-Blogger hinter Gittern, teilte die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) am Sonntag in Paris mit. Damit hat sich die Zahl der Festgenommenen seit Freitag nahezu verdoppelt. "Der Iran ist jetzt das weltgrößte Gefängnis für Medienvertreter", hieß es in einer ROG-Mitteilung. Unter den zuletzt Festgenommenen ist den Angaben zufolge auch der Chef der Vereinigung iranischer Journalisten, Ali Mazroui.

Die Konfrontation zwischen beiden Lagern hat sich weiter zugespitzt, seit sich der oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, am Freitag eindeutig hinter Ahmadinedschad gestellt und Wahlfälschung in großem Stil ausgeschlossen hat. Der zu den Reformern gezählte Ex-Präsident Mohammed Chatami warnte am Sonntag, Sicherheitskräfte und Militär könnten durch Verhängung des Kriegsrechts die Macht im Land übernehmen.

Am Sonntag sorgte ein Video im Internet für Aufregung, das angeblich den Tod einer jungen Frau am Rande der Demonstration in Teheran vom Samstag zeigt. In den sozialen Netzwerken hieß es, die 19-jährige Neda sei von einem Scharfschützen der berüchtigten und Ahmadinedschad nahestehenden "Basidsch"-Milizen tödlich getroffen worden, während sie mit ihrem Vater die Proteste beobachtete. Die Echtheit der Aufnahme und die geschilderten Umstände konnten jedoch nicht nachgeprüft werden.

AP · DPA · Reuters
mad/DPA/AP/Reuters