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Belgorod Tote, Nazis, polnische Soldaten: Der Krieg tobt auch in Russland – was ist da los?

Belgorod
Zwei von 4000 Einwohnern aus der Region Belgorod, die wegen der Angriffe in Notunterkünfte umgesiedelt worden sind.
 
© Olga Maltseva / AFP
4000 Menschen mussten evakuiert werden, es gibt Tote und Gefangene. Proukrainische Milizen, die seit Tagen das russische Belgorod überfallen, sorgen für erhebliche Unruhe. Nun wird bekannt: Offenbar mischen auch polnische Freiwillige mit. Was ist da los?

"Es sind jetzt fünf Tage vergangen, seitdem russische Rebellen die Grenze überschritten haben, und obwohl das Moskauer Regime das gesamte Gebiet dem Erdboden gleichgemacht hat, haben sie die wenigen Schützentrupps immer noch nicht vertrieben." So kommentiert der deutsche und proukrainische Militärblogger "Tendar" die Partisanenangriffe auf die russische Belgorod-Region. Details über die Einsätze und die Folgen gelangen nur spärlich nach außen. Zuletzt bestätigten die Behörden aber, dass eine Energieanlage "in Flammen" stehe. Anscheinend wurden auch russische Soldaten gefangen genommen.

Gouverneur in Belgorod bestätigt russische Gefangene

Um Letztere zu befreien, soll der Gouverneur der Region, Wjatscheslaw Gladkow, bereit gewesen sein, mit den pro-ukrainischen russischen Kämpfern zu verhandeln, wie er im Messengerdienst  Telegram schrieb. Diese Mitteilung war zugleich das Eingeständnis, dass die Partisanen mit ihrem Angriff auf russischem Gebiet durchaus erfolgreich sind.

Bei den Kämpfern mit denen Gladkow verhandeln will handelt es sich offenbar um eine Gruppe mit dem Namen "Russisches Freiwilligenkorps" (RDK oder auch RVC nach der englischen Bezeichnung). Es ist eine von zwei Armeen, die seit Ende Mai mit schnellen Einsätzen das Grenzgebiet um Belgorod überfallen. Das Freiwilligenkorps gibt an, ein Teil der regulären ukrainischen Truppen zu sein, was die Führung in Kiew allerdings bestreitet. Angeführt wird das RDK von Denis Kapustin. Der kam vor rund 20 Jahren als Flüchtling von Russland nach Deutschland und wurde vom Verfassungsschutz damals als einer der "einflussreichsten Neo-Nazis" bezeichnet.

Dass ausgerechnet ein bekennender Rechtsextremer an der Seite der Ukraine gegen Russland kämpft, stützt die Moskauer Legende von den angeblichen Nazis, die in Kiew regieren würden und von denen Putin sie befreien möchte. Diese unwahre Erzählung beruht unter anderem auf dem Asow-Regiment, das 2014 ein Sammelbecken für ukrainische Nazis war und zu dem auch Denis Kapustin Kontakte hatte. Mittlerweile ist die umstrittene Miliz Teil der regulären ukrainischen Truppen geworden und der Einfluss von Rechtsextremen weitgehend beendet.

Ziel: Bataillone für "Nicht-Russen"

Das "Russische Freiwilligenkorps" rekrutiert nur ethnische Russen. Ihr Ziel ist es, Putins Herrschaft zu beenden. Für die Nazi-Miliz ist der Kremlchef nicht in der Lage, das Land ausreichend zu schützen. Außerdem kämpfen sie für die slawische Vorherrschaft in dem Vielvölkerstaat, weil sie die asiatischen und zentralasiatischen Russen als minderwertig betrachten. Anscheinend gibt es aber auch RDK-Kämpfer, die es anderen russischen Ethnien ermöglichen wollen, gegen das Regime in Moskau und für die Ukraine kämpfen zu können.

Die Newsseite "The Insider" hat mit Soldaten des Freiwilligenkorps gesprochen. Einer von ihnen, er wird Wladislaw genannt, sagt, dass er in Jakutien im Osten Russlands versucht habe, eine Antikriegsbewegung zu gründen. "Dann habe ich verstanden, dass für eine unabhängige Ukraine ein bewaffneter Widerstand nötig ist. Mein Ziel war es daher, eine Bataillone für 'Nicht-Russen' zu gründen, weil sie sonst keine Möglichkeit zum Kämpfen haben. Bislang gibt es welche für Tataren, Tschetschenen und Russen, aber keine für Jakuten, Kalmücken und Kaukasier."

Auch die "Legion Freies Russland", die zweite Miliz die in der Region Belgorod kämpft, will Wladimir Putin entmachten. "Das Endziel heißt Moskau", sagte der in Polen arbeitende "Legion"-Sprecher dem "Spiegel". Mit Videos und Bildern dokumentieren sie täglich ihre Einsätze. Die Miliz nennt sich selbst "Partisanen", die "ein neues, freies Russland" aufbauen wollten. Auf der Website heißt es, die Gruppe organisiere Anschläge auf die russische Militär- und Eisenbahninfrastruktur. Nach den ersten Überfällen auf Belgorod kürzlich kündigte die "Legion" an, das Ausmaß der Einsätze würde "mit der Zeit zunehmen".

Polen gründen Freiwilligenkorps im Februar

An den Kämpfen sind Medienberichten zufolge auch Polen beteiligt. Dabei handele es sich um Söldner, die unter dem Namen "Polnisches Freiwilligenkorps" auf der Seite der ukrainischen Armee kämpften, berichteten die Online-Nachrichtenportale "Polsatnews.pl" und "Wprost.pl". Sie beriefen sich auf eigene Mitteilungen der Gruppe auf Telegram und ein Video, das Soldaten auf dem Weg in Richtung Belgorod zeigen soll.

Nach Informationen von "Polsat" soll das "Polnische Freiwilligenkorps" im Februar gegründet worden sein. Anfangs habe es nur als aus Polen bestehende, eigenständige Einheit an der Seite der ukrainischen Armee gekämpft. Inzwischen agiere die Truppe auch gemeinsam mit einem "Russischen Freiwilligenkorps". Wie viele Polen beteiligt sein sollen, ging aus den Berichten nicht hervor.

Die Regierung in Moskau bezeichnet die Partisanen als Terroristen, die von der Ukraine aus gesteuert würden. Kiew habe den Überfall geplant, um von der Niederlage im ostukrainischen Bachmut abzulenken, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Denis Kapustin dagegen erklärte jüngst, zwar habe die Ukraine die Kämpfer "ermutigt", ihnen aber keinerlei Waffen, Ausrüstung oder Anweisungen für das Eindringen geliefert. Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, "droht" sogar damit, seine Söldner in das Gebiet zu schicken, sollte das russische Verteidigungsministerium dort nicht "schleunigst" Ordnung schaffen, wie er in einem Video sagte.

"Jede Operation, die in Russlands stattfindet, ist ein Erfolg"

Wie groß die Schäden sind, die die Partisanen anrichten, darüber gibt es nur wenig Auskünfte. Laut den Behörden in Belgorod wurden mehrere Zivilisten getötet. Gouverneur Gladkow rief die Einwohner von Dörfern im Bezirk Schebekino auf, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Mehr als 4000 Menschen seien bereits in provisorischen Unterkünften in der Region untergebracht, teilte er mit. Die Milizen feiern jede Operation, "die auf dem Territorium Russlands stattfindet", als Erfolg. Denn sie "zwingt die Militärführung dazu, eine große Anzahl von Kräften zu genau dem Quadranten zu verlegen, und damit einige Teile der Front, Teile der Grenze freizulegen", wie Denis Kapustin jüngste sagte.

Quellen: DPA, AFP, "Tendar" auf Twitter, "The Insider", "Legion Freies Russland" auf Youtube, T-Online, "Spiegel"

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