Bischof Tutu zur Wahl in Südafrika "Ich bin froh, dass ich nicht Gott bin"

Desmond Tutu befürchtet das Schlimmste vom Ausgang der Wahl in Südafrika: Er würde sich schämen, wenn ANC-Kandidat Jacob Zuma Präsident würde - was sehr wahrscheinlich ist. Im Interview sagt der Friedensnobelpreisträger: "Inzwischen gibt es interessante Alternativen."

Herr Erzbischof, gehen Sie heute wählen? Vor einem halben Jahr wollten Sie die Wahl boykottieren.

Ja, ich denke schon. Damals war ich sehr traurig über die Situation in unserem Land. Bisher habe ich immer für den Afrikanischen Nationalkongress, den ANC, gestimmt, obwohl ich kein Mitglied irgendeiner Partei bin. Und es gab damals keine echten Alternativen, für die man hätte stimmen können. Inzwischen gibt es interessante Alternativen.

Sie werden also den "Congress of the People" (Cope) wählen, die Partei, die sich vor einem halben Jahr vom ANC abgespalten hat?

Ich werde für die Partei stimmen, die mir sagt, wie sie gegen die politische Verschmutzung vorgehen wird.

Diese Partei wird aber nicht gewinnen, sondern der ANC mit Spitzenkandidat Jacob Zuma.

Das stimmt. Es gibt immer noch genügend Leute, die es für eine Gotteslästerung halten, ihre Stimme nicht dem ANC zu geben. Wegen allem, was er für die Befreiung des Landes getan hat. Natürlich muss man es sich zweimal überlegen, ob man gegen die Partei Nelson Mandelas stimmen kann. Es ist jedoch eine gute Sache für die Entwicklung unserer Demokratie, wenn Leute auch andere Parteien wählen. Wir waren ja fast schon ein Einparteienstaat. Der ANC muss mehr über die Menschen nachdenken, die er regiert. Wenn man zu viel Macht hat, verliert man seine Bescheidenheit.

Sie sagten, Sie würden sich schämen, wenn Jacob Zuma Ihr Präsident würde. Was beschämt Sie an ihm?

Ich hatte gehofft, dass all die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, vor Gericht geklärt werden. Das wäre die beste Weise gewesen, die Korruptionsverdächtigungen aus der Welt zu schaffen. Wenn man unschuldig ist, hat man einen Prozess ja nicht zu fürchten. Wie die Staatsanwaltschaft nun die Anklage gegen Zuma fallen ließ - das hat mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben.

Vor zwei Jahren wurde Zuma von vielen scharf kritisiert. Inzwischen scheinen selbst Kritiker ihr Herz für ihn entdeckt zu haben. Wundert Sie das?

Politik ist eine interessante Sache. So mancher Kommentator hofft gegen alle Indizien, dass Zuma klug genug sein wird, gescheite Leute um sich zu scharen. Er ist ja auch ein warmer Mann, der einen viel besseren Draht zu Menschen hat als sein Vorgänger. Aber wenn man ihn etwa mit Barack Obama vergleicht - wie soll er dem das Wasser reichen?

Es gibt nicht viele Obamas auf dieser Welt.

Gewiss. Aber ich hätte gehofft, dass Zuma nicht mit diesem ganzen Ballast ins Präsidentenamt einzieht. Er kommt mit einem Handicap, und das ist traurig.

Und dass sich Nelson Mandela mit einem T-Shirt mit Zuma-Aufdruck gezeigt hat? Wurde der alte Mann missbraucht?

Mandela sagte einmal, dass er sich, wenn er in den Himmel kommt, als erstes dem dortigen ANC-Ortsverein anschließen wird. Er ist ein unglaublich treues Parteimitglied - das grenzt schon fast an blinde Loyalität.

Als Sie kürzlich die ANC-Führung dafür kritisierten, dass sie sich zunehmend wie Götter fühlten, reagierte besonders die Jugendliga harsch: Sie sei von Ihrem "Geschwalle angewidert".

Diese Kinder haben viele Menschen enttäuscht. Auch in der Art, wie sie mit Ex-Präsident Thabo Mbeki umgesprungen sind. Darüber bin ich traurig.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, was Tutu von der Fußballweltmeisterschaft in seinem Land hält.

Sie waren bisher immer positiv, wenn es um Südafrika ging. Sie sprachen vom "Wunder" am Kap der Guten Hoffnung und prägten den Begriff der Regenbogennation. Müssen wir jetzt von der Nation der Gewitterwolken reden?

Es gibt diese Wolken. Aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass wir erst seit 15 Jahren frei sind. Schauen Sie sich Deutschland an: Ihr habt den Holocaust hervorgebracht und habt heute noch Neonazis. Oder die USA: Die sind seit dem 18. Jahrhundert frei, aber Gelegenheiten wie der Wirbelsturm Katrina bringen enorme Ungleichheiten zum Vorschein. Dieses Land kann ein Guantánamo, aber auch einen Obama hervorbringen. Wir in Südafrika mussten mit dem Kolonialismus und der Apartheid fertig werden und sollten gleichzeitig einen modernen Staat aufbauen. Ihr müsst auch uns eine Chance geben.

Aber Südafrika scheint die Richtung verloren zu haben.

Es stimmt, dass wir etwas vom Pfad abgekommen sind, den wir Anfang der 90er-Jahre mit Nelson Mandela eingeschlagen haben. Das ist bedauerlich. Aber wir sollten nicht unrealistisch sein. Sehr viele Leute, die hier an die Macht gelangten, kommen aus äußerst armen Verhältnissen. Viele von ihnen hatten nicht einmal ein Bankkonto und wurden plötzlich sehr reich. Es ist schon fast wieder erstaunlich, dass nicht mehr von ihnen korrupt geworden sind.

Als Christ haben Sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Wo genau sehen Sie Licht?

Von der Zivilgesellschaft, die wieder aufwachen muss. Freiheit braucht ewige Wachsamkeit. Wir haben hier einige der wundervollsten Menschen auf der Welt. Es gibt fantastische politische Aktivisten, aber auch reiche, weiße Südafrikaner, die sich für die Entwicklung der schwarzen Bevölkerung einsetzen. Die müssten das nicht tun. Sie könnten zu Hause bleiben und die Füße hochlegen.

Freuen Sie sich auf die Fußballweltmeisterschaft?

Sehr. Ich hoffe, dass sie dafür sorgen wird, dass wir uns wieder gut fühlen. Wie damals 1994, als wir die Lieblingsnation der Welt waren. Das haben wir verloren. Vielleicht bringt es uns der Weltcup wieder.

Sie haben die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir begrüßt. Das haben nur ganz wenige Afrikaner getan. Wie kommt das?

Ich wünschte, ich könnte diese Frage beantworten. Viele afrikanische Regierungen machen mit den Unterdrückern gemeinsame Sache. Die Afrikanische Union hat sich auch bei der Einhaltung der Menschenrechte bestimmte Standards gegeben. Sie werden allerdings nicht eingehalten. Schauen Sie sich an, wie viele Leute in Darfur gestorben sind. Baschir hatte mehr als genug Chancen, den Konflikt in Darfur zu lösen. Er hat der Welt jedoch den Mittelfinger gezeigt.

Müssen Entwicklungsländer derzeit die Handlungen von Bankern und Finanzspekulanten in der Ersten Welt ausbaden?

Es ist tatsächlich atemberaubend, wie die westlichen Regierungen, die der Dritten Welt immer die Öffnung der Märkte und einen schlankeren Staat gepredigt haben, plötzlich genau das Gegenteil tun: Sie verstaatlichen Banken und tun, was sie uns immer verboten haben. Die Weltwirtschaftsordnung ist in einer Schieflage. Die EU zahlt ihren Bauern für eine Kuh 2,50 Dollar Subventionen am Tag, während hier in Afrika viele Menschen von weniger als 1 Dollar pro Tag überleben müssen. Wer solche Ungerechtigkeiten duldet, darf nicht überrascht sein, wenn es das Phänomen Terrorismus gibt.

Stellen Sie sich manchmal vor, was der Alte mit dem weißen Bart dieser Tage wohl denkt, wenn er auf seine Schöpfung herabschaut?

Er weint, wenn er Darfur und Myanmar, Simbabwe und die Turbulenzen in Südafrika sieht. Er weint, wenn er die Opfer des Holocausts oder des Völkermords in Ruanda sieht und die Kinder, die ohne Essen und Trinkwasser sterben. Ich bin froh, dass ich nicht Gott bin.

FTD
Interview: Johannes Dieterich