Schon auf dem Weg zum Damaskustor scheuchen israelische Polizisten junge Araber durch die Straßen. Sie zerstreuen sich, sammeln sich erneut, gehen auf die Sicherheitskräfte zu, rennen wieder weg. Ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Polizisten wollen verhindern, dass sich die Jungs der Altstadt nähern. Es ist der erste Freitag nach den verheerenden Angriffen der Hamas, und die Anspannung ist spürbar groß vor dem muslimischen Freitagsgebet in der israelischen Hauptstadt Jerusalem.
Einerseits, weil es in der Vergangenheit immer wieder zu Ausschreitungen rund um die al-Aksa Moschee auf dem Tempelberg kam, wenn die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern andernorts eskalierten. Aber auch, weil die Hamas für diesen Freitag eine "Generalmobilmachung" angekündigt hatte. Ein "Tag der Wut" sollte es werden, mit Angriffen auf Polizisten und Siedler in der Westbank und Protesten in Ost-Jerusalem.
Der Zugang zur al-Aksa-Moschee wurde eingeschränkt
An fast jeder Ecke in der Stadt stehen kleine Gruppen schwer bewaffneter Polizisten. An einer Kreuzung haben sie drei junge Palästinenser eingekreist, sie stehen mit den Händen an der Wand, die Beine weit auseinandergespreizt. Sie werden durchsucht, dann dürfen sie wieder gehen.
Jerusalem ist eine der zentralen Streitfragen im Nahostkonflikt. Israel beansprucht Jerusalem als "ewige und unteilbare Hauptstadt" für sich. Die Palästinenser halten ihrerseits an ihrem Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Staates fest. Seit die Terrororganisation Hamas am vergangenen Samstag die Angriffe startete, mehr als 1200 Menschen tötete und wohl über 150 Personen verschleppte, ist auch das rund 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernte Jerusalem wieder in erhöhter Alarmbereitschaft.
In Sichtweite des Damaskustors, das direkt in das muslimische Viertel der Altstadt führt, steht ein junger Araber, 25, und grillt kleine Kebabspieße auf Holzkohle. Eigentlich, sagt er, wollte er zum Freitagsgebet in die al-Aksa-Moschee. Aber er durfte nicht. Die israelischen Sicherheitskräfte haben den Zugang aufgrund der aktuellen Bedrohung beschränkt, sie lassen nur ältere Leute passieren.
Der Tempelberg in der Altstadt mit dem Felsendom und der al-Aksa-Moschee ist für Juden wie Muslime von besonderer Bedeutung. Es ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.
Der Mann am Kebabstand sagt, die Situation in Ost-Jerusalem sei extrem angespannt seit den Angriffen der Hamas. Er lehne Gewalt ab. "Israel und Palästina sind eins", sagt er, salam, Frieden.
Wenige Meter weiter haben ein paar Männer Gebetsteppiche zwischen Essensständen und geschlossenen Läden ausgerollt, sie knien nieder, murmeln, beten "Allahu Akbar". Als wollten sie zeigen: Wir sind trotzdem hier. Die Polizisten sind nie weit entfernt. Ein orthodoxer Jude nähert sich, er schreit herum, die Polizisten greifen schnell ein. Bloß keine Provokation. In der aktuellen Situation braucht es nicht viel, damit aus einem Streit ein Flächenbrand entsteht.
Einen arabischen Mann nimmt die Polizei am Damaskustor fest, warum, ist unklar. Sie bringt ihn mit einem Transporter weg, auf dem Dach des Wagens weht eine große Israel-Fahne.
Erst einen Tag zuvor gab es einen Angriff auf eine nahegelegene Polizeistation, ein Terrorist schoss auf zwei israelische Polizisten und verletzte sie, der Angreifer wurde getötet. Auch in der Westbank kam es zu Gewalt. Im Süden von Nablus erschossen radikale jüdische Siedler einen Mann, 62, und seinen 25 Jahre alten Sohn.
Vom "Tag der Wut", den die Terroristen der Hamas ausgerufen hatten, ist am Freitag in Jerusalem allerdings nichts zu sehen. Bis zum Abend kommt es nicht zur Eskalation. Viele Bewohner bleiben zuhause, in der Altstadt sind die meisten Geschäfte geschlossen, aus Angst vor Gewalt. Die heiligen Viertel von Jerusalem gleichen dieser Tage einer Geisterstadt.