US-Wahlkampf Hauptgewinn Trostpreis: Warum kandidieren Republikaner, die keine Chance haben?

Chris Christie, Mike Pence, Ron DeSantis und Vivek Ramaswamy: Diese vier Kandidaten kommen auf rund 32 Prozent Zustimmung – zusammen. Donald Trump bringt mehr als 50 Prozentpunkte auf die Wählerwaage
Chris Christie, Mike Pence, Ron DeSantis und Vivek Ramaswamy: Diese vier Kandidaten kommen auf rund 32 Prozent Zustimmung – zusammen. Donald Trump bringt mehr als 50 Prozentpunkte auf die Wählerwaage
© Morry Gash / AP / DPA
Chris Wer? Doug Wienochgleich? Nikki Daklingeltwas? Beim ersten TV-Duell der Republikaner wurde es eng auf der Bühne, acht Kandidaten drängelten sich im Scheinwerferlicht. Keiner hat eine Chance gegen den abwesenden Donald Trump. Warum überhaupt antreten?

Irgendwo hat Donald Trump ja Recht. Warum sollte er an einer TV-Debatte teilnehmen, wo er doch mit "50, 60, einer Umfrage zufolge bei 70" Prozentpunkten gegenüber den "acht, zehn Leuten" (er wüsste gar nicht genau, wie viele da antreten) führt? Und das auch noch bei Fox: Ein Sender, der "nicht gerade freundlich" zu ihm gewesen sei.

Während Meinungsmacher Tucker Carlson (gegenüber dem Fox auch nicht gerade freundlich war) dem einsamen Spitzenkandidaten den verbalen Teppich ausrollte und Trump den erwartungsgemäß fusselig redete, fetzten sich bei Fox acht (es sind acht) Kandidaten um jede Sekunde Redezeit. Von diesen acht ziemlich besten Feinden, stellt realistisch betrachtet niemand, großzügig gesehen allerallerhöchstens einer eine echte Gefahr für den vierfachangeklagten Ex-Präsidenten dar.

Da stellt sich die Frage: Warum überhaupt kandidieren? Warum wagen sich diese aussichtslosen, diese Long-Shot-Kandidaten in einen Strudel aus Stress, Zermürbung und Demütigung, wo sie am Ende doch nur krachend scheitern können? 

Donald Trump und die Republikaner: viele Gegner, wenig Konkurrenz

Die Zustimmungswerte der zehn stärksten Trump-Verfolger kommen laut Daten der US-Website "Fivethirtyeight" zusammengenommen auf gerade einmal 41 Prozent. Trump alleine bringt 52 Prozentpunkte auf die Wählerwaage. Selbst die aus Trump-Sicht ungünstigsten Prognosen sehen ihn um mindestens 37 Prozentpunkte vor dem Zweitplatzierten Ron DeSantis. Letzterer galt lange als einzige echte Alternative. Mitte Februar lagen Floridas Gouverneur und der Ex-Präsident noch nahezu gleichauf. Danach ging es für den "Trump mit Hirn" steil bergab und für den Original-Trump kontinuierlich bergauf. Sogar bislang gut getarnte Kontrahenten wie Prügelrhetoriker Vivek Ramaswamy fledderten offenbar in der Fanbasis des Kulturkämpfers aus dem Süden.

Der Rest der Jagdgesellschaft trabt im mittleren einstelligen Prozentbereich hinterher: Trumps Ex-Vize Mike Pence, die ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley, der einzige schwarze republikanische Senator Tim Scott oder der frühere Gouverneur von New Jersey Chris Christie.

Darauf folgen die echten Ultra-Longshots, die Blinden unter den Lahmen. Namen wie Asa Hutchinson, Will Hurd oder Doug Burgum dürfte der US-Durchschnittswähler nur aus einem Satz kennen: Ich kenne Asa Hutchinson, Will Hurd oder Doug Burgum nicht.

An der Hackordnung im Bewerberfeld hat sich über Monate kaum etwas geändert. Das wird es auch dann nicht. Passiert nichts absolut Unerwartetes, macht Trump das Rennen.

Republikanische Präsidentschaftskandidaten: vier Gründe für einen aussichtslosen Kampf

Tatsächlich stapeln sich die Hüte im rechten Ring. Dutzende Konservative wollen für die Grand Old Party ins Rennen um das Weiße Haus gehen. Darunter auch viele Männer und Frauen, von denen kaum jemand je gehört hat, die so tief unter dem Radar fliegen, dass Umfragen sie nicht erfassen.

Grundsätzlich sei es normal, dass zu diesem Zeitpunkt noch viele (Wackel-)Kandidaten dabei sind, erklärt Timothy Hagle, Politikwissenschaftler an der Universität von Iowa dem stern. Das Bewerberfeld werde im Zuge der ersten parteiinternen Aussiebprozesse stark ausgedünnt. Veranstaltungen wie der Iowa Caucus Mitte Januar sind dazu da, die Spreu vom Weizen zu trennen. 

Doch gibt es Gründe, diesen aussichtslosen Kampf zu kämpfen. Hier die wichtigsten:

Grund 1: Echte Hoffnung

Ja, sie existieren, die Träumer. Einige der eigentlich chancenlosen Kandidaten dürften ungeachtet der Umfragewerte felsenfest an ihren Sieg glauben. Darauf angesprochen berufen sie sich gerne auf jene Underdogs, die es doch auch geschafft haben – Wundersieger wie Jimmy Carter, Barack Obama oder eben Donald Trump.

Kein Kandidat würde offen zugeben, mit einer Teilnehmerurkunde zufrieden zu sein. "Man würde ja auch nicht sagen, dass er im Februar den Super Bowl gewinnen wird und wir die Saison einfach absagen", sagte Kandidat Doug Burgum, der Umfragen zufolge abgeschlagen bei 0,5 Prozent liegt. "Nein, man spielt das Spiel."

Für sinkende Sterne wie DeSantis gibt es ohnehin keinen Weg zurück. Dessen bestes, vermutlich aber einziges Verkaufsargument, entpuppt sich als seine größte Schwäche. Er profilierte sich als der wählbare, als der weniger peinliche Donald Trump. Nur stellten sich allzu viele Wähler die Frage: Warum den Abklatsch nehmen, wenn das Original zu haben ist?

Grund 2: Willkommenes Rampenlicht

"Viele dieser Kandidaten, die für das Präsidentenamt kandidieren, kandidieren nicht wirklich für das Präsidentenamt", sagt Hagl. Sie sehen ihre Kandidatur eher als willkommene Gelegenheit, sich zu profilieren, Fuß zu fassen, auf nationaler Bühne von sich reden zu machen.

Für einige von ihnen ist die Kandidatur bereits zu so etwas wie Tradition geworden. Sie werfen alle vier Jahre das Netz aus und hoffen, dass etwas für sie oder sie selbst hängen bleiben. "Die Politik ist eine Industrie. Die Leute müssen ihren Namen frisch halten", so Politikexperte Curtis Loftis in der "New York Times" (NYT). Nicht selten freuen sich Kandidaten, die es am Ende nicht zum unangefochtenen Parteiliebling bringen, später über einen lukrativen Posten in der Privatwirtschaft – oder sie landen als einflussreiche Kommentatoren in den Medien.

Grund 3: Agendasetting

Nun kandidieren sicher nicht alle Bewerber aus rein opportunistischen Gründen. Manche von ihnen wollen bestimmte Themen in den Fokus rücken. Themen, die im politischen Normalbetrieb keine Chance auf nationales Scheinwerferlicht hätten. Die Idee: Der "kleine Mann" kann noch das sagen, was sich die Großen nicht trauen. Je bessere Chancen ein Kandidat hat, desto vorsichtiger muss er auch sein. Je mehr Stimmen er hat, desto größer die Angst, sie zu verlieren. Polarisierung kann ab einem bestimmten Level mehr schaden als nutzen.

Die einsamen Wölfe, diese oft wenig kompromissbereiten Einzelkämpfer, können die "echten" Kandidaten zwingen, Platz für ihre Ideologie einzuräumen, ihre Agenda aufzugreifen. So ist es beispielsweise Demokraten-Urgestein Bernie Sanders 2020 gelungen, die Parteilinie ein Stück weit nach links zu rücken – einfach nur, weil er kandidierte.

Grund 4: Munition sammeln

Wer ins Oval Office will, der nimmt in der Regel mehr als einen Umweg. Für das Gros der Bewerber ist eine Niederlage nicht das Ende, sondern der Anfang. Die aussichtsreicheren unter den Aussichtslosen schielen auf ansehnliche Trostpreise – auf einen Posten im Kabinett, gar auf die Vizepräsidentschaft. "Wenn man schon nicht zum Mond kommt, kann man wenigstens bei den Sternen landen", so Kandidaten-Beraterin Sarah Isgur in der "NYT".

Am Ende werden sich zwar die meisten Verlierer hinter Trump versammeln. Doch je mehr Stimmen sie bis dahin sammeln, desto teurer können sie ihre Loyalität verkaufen. Tim Scott und Nikky Haley dürften solche Kandidaten sein. Und dass die Reise langfristig nicht auf Platz Zwei enden muss, das hat zuletzt Joe Biden bewiesen. 

Je aussichtsloser der Rest, desto aussichtsreicher Trump

Donald Trump gibt sich siegessicher. Das ist nicht nur Teil seines Charakters, sondern auch der Wahrheit. So gut wie jede ernstzunehmende Prognose sieht ihn bei weit jenseits der magischen 50-Prozent-Marke.

Das heißt aber auch: Rund die Hälfte der konservativen Amerikaner will Trump nicht. Nur weiß diese andere Hälfte eben nicht, was sie will. Statt ihre Gunst einem einzigen starken Gegenkandidaten zu schenken, sind die potenziellen Wähler noch auf Findungssuche.

Trump kommt ein möglichst bunter Kandidatenstrauß enorm entgegen. Je mehr Bewerber, desto gespaltener die Wähler. Je gespaltener die Wähler, desto unwahrscheinlicher echte Konkurrenz.

Aber wer weiß? Die Amerikaner lieben eine gute Außenseiter-Story. Trump schrieb eine davon.