Die Schafe, die auf dem kargen Hügel in Sichtweite zur türkischen Grenze weiden, lassen sich von dem Gewirr aus glitzernden Rohren, Pumpen und Zisternen nicht aus der Ruhe bringen. In praller Sonne, bei 50 Grad, kraxeln sie gleichgültig über die kargen Felsen. Magne Normann dagegen ist aufgeregt. Der geschäftsführende Direktor für den Nahen Osten und Irak beim norwegischen Ölkonzern DNO stakst in einem natürlichen Teerpool herum und lächelt zufrieden. "Hier sprudelt das Öl von selbst bis an die Oberfläche", sagt er begeistert. "Woanders ist das noch keine Erfolgsgarantie. Doch hier im irakischen Kurdistan sind wir bei jedem gebohrten Loch auf Öl gestoßen."
Seit sechs Wochen pumpt DNO Öl aus dem kurdischen Tawke-Feld in die irakische Exportpipeline, die zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt. Damit sind die Norweger der erste westliche Konzern seit über drei Jahrzehnten, der auf irakischem Territorium Öl fördert. 1972 hatte Saddam Hussein die Ölindustrie verstaatlicht und alle ausländischen Konzerne ausgewiesen. ´ Weltweit beklagen Konzerne das Ende der Ära des leicht zugänglichen Öls. Im irakischen Teil Kurdistans ist das anders: Bis zu 45 Milliarden Barrel Öl und 1500 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen nach Schätzungen direkt unter der Oberfläche liegen. Ein gigantischer Schatz, bereit, mit minimalem Aufwand gefördert zu werden. Kurdistan - das wohl letzte große Abenteuer der Ölindustrie. Rund 30 ausländische Konzerne tummeln sich bereits in der Region. "Wir leisten hier Pionierarbeit", sagt Normann. Nicht uneigennützig: "Wo noch liegen die Förderkosten bei unter zwei Dollar pro Barrel?"
Hinzu kommt: Kurdistan nimmt eine zunehmend wichtige strategische Stellung für Europa ein. Nun wurde in Ankara feierlich der Vertrag über den Bau der acht Milliarden Euro teuren Nabucco-Gaspipeline unterzeichnet. Sie führt von der Osttürkei in das Herz Europas. Durch den Bau der Pipeline soll die Abhängigkeit von russischem Erdgas reduziert werden - mit kurdischer Hilfe. Seit Mai beteiligen sich die österreichischen und ungarischen Ölkonzerne OMV und Mol an der Erschließung der Khor-Mor- und Chamchamal-Gasfelder. Acht Milliarden Dollar wollen die Europäer in das Projekt stecken, und die Gasproduktion auf 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigern. Die Hälfte soll dann über Nabucco nach Europa fließen. Ist Kurdistan einmal an das Gasnetz Europas angeschlossen, dürfte auch der Öltransport später einfacher zu regeln sein.
Kurdistans Regierung setzt sich leidenschaftlich für das Nabucco-Projekt ein. Sie sieht es als eine Garantie für die Stabilität der Region an. Aschti Hawrami, Minister für Bodenschätze, verspricht "jede erdenkliche Unterstützung", damit genug Gas für den Export zur Verfügung steht. Für die Europäer hängt viel von dem kurdischen Gas ab - es kann über Erfolg oder Misserfolg von Nabucco entscheiden. Aserbaidschan verkauft sein Erdgas vollständig an die Türkei, Turkmenistan und Kasachstan haben Lieferverträge mit Russland abgeschlossen. Bleibt Kurdistan. Nur: Eine Gaspipeline in die Türkei gibt es bislang noch nicht.
Die Hauptstadt ist in Aufbruchstimmung
Unter Saddam Hussein wurden die Kurden massiv unterdrückt, die Region vernachlässigt. Doch nach dem Sturz des Diktators 2003 hat sich die kurdische Autonomieregion stark entwickelt. Die Hauptstadt Erbil mit ihren eine Million Einwohnern ist in Aufbruchstimmung. Ein Wald von Kränen erhebt sich über dem Stadtzentrum. Bürohäuser, Shopping-Malls, Hotels und ein unterirdischer Busbahnhof werden dort gebaut. Irgendwo am Horizont leuchten die Rutschen eines neuen Aqua-Parks. Es gibt kaum noch Stromausfälle, obwohl die Klimaanlagen in der Gluthitze des Sommers permanent laufen. Immer mehr Kurden kehren aus dem Exil zurück. Ohne Angst vor Anschlägen schlendern die Menschen am Abend durch die Straßen und Parks, Springbrunnen sorgen für Abkühlung. Nein, Erbil ist keine schöne Stadt. Doch die Lebensqualität verbessert sich täglich. Manch ein Politiker träumt schon vollmundig davon, die Stadt in ein zweites Dubai zu verwandeln.
"Die gute Sicherheitslage ist der Schlüssel zum Erfolg", sagt Kiwan Siwaily, Technologieberater bei dem ersten privaten kurdischen Ölunternehmen KAR. Siwaily hat an der Ruhr-Universität in Bochum seinen Doktortitel erworben. "Wir haben seit Jahren keine großen Anschläge oder Entführungen gehabt." Intensiv geschützt werden vor allem die Ölanlagen. Auf dem Erbil-Feld, wo DNO gerade die zweite Testbohrung durchführt, durchstreifen schwer bewaffnete Sicherheitsleute rund um die Uhr das Gelände. Auf einer Anhöhe haben sie einen mit Sandsäcken geschützten Posten gebaut.
Die politischen Risiken nehmen zu
Während sich die Sicherheitslage verbessert, nehmen politische Risiken zu. Denn Bagdad und Erbil streiten heftig über die Kontrolle des Öls. "Die irakische Verfassung von 2005 gibt Kurdistan das Recht, Verträge über die Entwicklung seiner Felder abzuschließen", beruhigt Minister Hawrami. In Bagdad sieht man das allerdings anders: Dort werden alle kurdischen Verträge, die nach 2007 abgeschlossen wurden, als illegal eingestuft. Wer in Kurdistan nach Öl bohrt, kommt auf eine schwarze Liste - und wird von allen Ölgeschäften ausgeschlossen.
Das kurdische Öl wird zwar von der Zentralregierung in Bagdad vermarktet und die Einnahmen in einen nationalen Ölfonds eingezahlt, aus dem Kurdistan 17 Prozent zurückerhält. Doch während der Irak den ausländischen Konzernen immer noch die Lizenzen verweigert, sind westliche Ölförderer in Kurdistan willkommen. Auf ein gemeinsames nationales Ölgesetz können sich die vielen Fraktionen in Bagdad seit zwei Jahren aber nicht einigen. Bisher weiß auch niemand, wer die Konzerne in Kurdistan für die geleistete Arbeit bezahlen soll.
Es steht mehr auf dem Spiel als Öl
Für Bagdad steht mehr als nur Öl auf dem Spiel. Es geht um den Zusammenhalt des Landes. Die Zentralregierung in Bagdad befürchtet, dass das Erdöl Kurdistan die Grundlage für die Eigenständigkeit bieten könne, nach der die Region seit Jahrzehnten strebt. Unvergessen ist den meisten Kurden die Verfolgung durch Saddam Hussein, die in dem Giftgasangriff auf den Ort Halabdscha gipfelte. Damals, 1988, sollen 5000 Kurden umgekommen sein. "Wir haben von Bagdad nichts Gutes erfahren", sagt Massud Abdkhaliq, Politologe und Chefredakteur der Zeitung "Standard". "Saddam hat Tausende Kurden vertrieben und unser Land gestohlen. Mit den Öleinnahmen aus dem kurdischen Kirkuk-Feld hat er den Krieg gegen uns den finanziert. Das darf sich nicht wiederholen."
Die neuen Funde steigern das Selbstbewusstsein der irakischen Kurden. Politiker wie der Parlamentsabgeordnete Naznaz Mohammed fordern bereits die vollständige Unabhängigkeit. Vor zwei Wochen hat das Parlament einen Verfassungsentwurf vorgelegt, in dem es den territorialen Anspruch auf die ehemals kurdischen Gebiete jenseits der heutigen Autonomiegrenze, darunter die ölreiche Stadt Kirkuk, erhebt. Der Entwurf sorgt in Bagdad für Entrüstung. "Beide Seiten müssen kühlen Kopf bewahren", sagt Siwaily. "Kein Nachbar will ein unabhängiges Kurdistan - weder Türken, Iraner noch Syrer. Nur im Verbund mit dem Irak kann Kurdistan erblühen."
Ohne irakische Pipelines geht nichts
Kurdistan ist bei seinen Ölexporten auf die irakischen Pipelines angewiesen. Und Bagdad kann die Öleinnahmen gut gebrauchen. 96 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölexport. Der Preisverfall zwang die Regierung in diesem Jahr zu einem massiven Sparkurs. Viele Wiederaufbauprojekte liegen auf Eis. "In dieser Situation kann ich nicht verstehen, warum sich Bagdad gegen die kurdischen Exporte stemmt", sagt Govand Scherwani, Ölexperte und Chefkoordinator im Forschungsministerium. "Wir könnten bis Ende des Jahres 250.000 Barrel pro Tag exportieren."
Ölmanager Normann lässt sich von den politischen Querelen nicht beirren. "Harte Arbeit", sagt er zwar. Doch er versteht seine Worte nicht als Klage. Die Kanadier pressen schließlich ihr Öl aus dem Sand heraus. Und die Russen bohren seit Jahren im Permafrostboden. "Nirgends kommt man heute leichter an Öl als hier."