Wenn er seinen schwarzen Schlapphut trägt, wirkt der Mann wie ein Kleinstadt-Sheriff. In Wahrheit jagt Franz-Hermann Brüner Gauner in ganz Europa. Der Chef der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf hat den vielleicht härtesten Job, der in Brüssel zu vergeben ist - und jetzt droht er ihn zu verlieren.
Vor dreieinhalb Jahren wurde der ehemalige bayerische Oberstaatsanwalt nach Brüssel geholt, um den endemischen Schmu mit den EU-Milliarden zu bekämpfen. Jetzt gerät der 58-jährige selbst unter massiven Druck. Hohe EU-Beamte verhöhnen ihn als "absoluten Stümper", das Parlament bescheinigt ihm kurz und vernichtend "Ineffizienz" und Kommissionspräsident Romano Prodi will ihn rundweg entmachten.
Noch sind die Pläne hoch vertraulich. Prodis Leute denken daran, Untersuchungen gegen eigene Beamte künftig lieber wieder in Kommissionsregie zu führen. Ihnen war Brüners offiziell unabhängiges Amt seit jeher ein Dorn im Auge. Olaf (abgekürzt für: Office Européen de Lutte Antifraude) könne sich künftig darauf konzentrieren, den "schweren Betrug" zu bekämpfen, so kürzlich der scheinheilige Vorschlag eines Mitarbeiters von Prodis Vize Neil Kinnock. Nach einer internen Sitzung zwölf hoher Beamter verzeichnete das Protokoll "Einigkeit", dass es so mit Olaf nicht weiter gehe.
Willkürliche Verfahren und vergurkte Ermittlungen
Brüner saß mit am Tisch und widersprach nicht. Der Zögling des vornehmen Bodensee-Internats Salem hatte mal wieder verpasst, Rückgrat zu zeigen. Seit er in Brüssel ist, laviert er ständig zwischen den Fronten – und nun sind trotzdem alle sauer. Während er seine Zeit weiter am liebsten mit Konferenzhopping rund um den Globus verbringt, türmen sich auf seinem Schreibtisch in Brüssel die Beschwerden: über willkürliche Verfahren und vergurkte Ermittlungen.
Nie wurde das so deutlich wie im Multimillionenskandal um das EU-Statistikamt Eurostat. Es sei Brüners Schuld, verbreiten Prodi-Helfer, dass die schweren Vorwürfe jahrelang unbearbeitet blieben. Immerhin lag den Olaf-Ermittlern bereits seit März 2000 ein interner Eurostat-Prüfbericht vor, der schwarze Kassen und potentiellen "Betrug" (so der Report) detailliert beschrieb. Aber lange blieben dieser und weitere alarmierende Eurostat-Dossiers bei Olaf unbearbeitet. "Drei Jahre Funkstille und dann geht es plötzlich an die Staatsanwaltschaft", erregte sich Prodis Generalsekretär David O’Sullivan.
Ganz aufrichtig ist das nicht - immerhin lagen der Kommission all diese Hinweise ebenfalls vor. Die Kommission dürfe nicht Olaf zum Sündenbock für eigene Versäumnisse machen, hält darum der Europaabgeordnete und Betrugsexperte Herbert Bösch (SPÖ) dagegen. Aber auch er bescheinigt Brüners Amt eine "schwache Vorstellung". Bis vor wenigen Monaten überließ der Olaf-Chef den riesigen Eurostat-Fallkomplex einem Mini-Team von zwei Ermittlern: ein Beleg für Brüners "Unfähigkeit", Prioritäten festzulegen und dafür das nötige Personal zu mobilisieren, fand der Olaf-Überwachungsausschuss unter dem früheren Interpol-Generalsekretär Raymond Kendall. Erst "unter dem Druck der Aktualität" habe das Amt reagiert. Und erst als die Kommission parallel eine eigene Taskforce aufstellte, rekrutierte auch Brüner mehr Ermittler für Eurostat.
Mit widersprüchlichen Aussagen verwirrte der gebürtige Bad Nauheimer Freund und Feind. Erst warnte er O’Sullivan intern, dass er gegen einen Eurostat-Mann wegen "potentieller Bestechung" ermittele. Dann verbreitete er, kein Beamter habe sich bereichert. Die Eurostat-Vertragsfirma Eurogramme zeigte er am 4.Juli 2002 bei der Luxemburger Justiz wegen (so Brüner schriftlich) "betrügerischer Manöver" an. Doch noch im Februar 2003 beruhigte er den SPD-Europaabgeordneten Helmut Kuhne, es gebe "keinen Grund", Geschäfte mit der Firma zu stoppen.
Der Chefermittler als verfolgte Unschuld
Jetzt präsentiert sich der Chefermittler als verfolgte Unschuld. Prodi und Kinnock wollten ihn abschießen, weil er "unangenehme Wahrheiten überbringe". In Wahrheit hatte er sich immer wieder bemüht, den Kommissionsoberen peinliche Eingeständnisse zu ersparen: etwa in dem er den hohen britischen EU-Beamten Jonathan Faull öffentlich von Vorwürfen entlastete, die Brüners eigene Ermittler sehr wohl erhoben hatten.
Auf Druck des Europaparlaments war die Betrugsbekämpfungsbehörde 1999 gegründet worden. Ihr Auftrag war klar: die EU-Behörden nach einer Affärenserie vor weiterem Missbrauch zu schützen. Doch Brüner mühte sich eher als Kämpfer gegen Zigarettenschmuggler oder Zollbetrüger - alles Ermittlungen, bei denen Olaf wenig mehr tun konnte, als den Justizbehörden der Mitgliedsstaaten zu assistieren. Für eigene Untersuchungen bei Kommission und Co. stellte er dagegen bisher nicht mal 20 seiner 300 Leute ab.
Das war ganz im Sinn der Kommissionshierarchen, die Brüner bei Amtsantritt suggerierten, es gebe in der EU-Exekutive keine internen Korruptionsprobleme. "98 Prozent" der Betrugsfälle passierten nicht in der Kommission, sondern in den Mitgliedsstaaten, behauptete etwa die Prodi nahe stehende hohe italienische EU-Beamtin Maria Pia Filippone noch im April 2001 in kleiner Runde. Interne Olaf-Ermittlungen seien für die Kommission darum "kein echtes Problem".
Solche Vorgaben wurden für Brüner offenbar zum Programm. Die Folge: Bei heiklen Brüsseler Fällen fehlte es den Olaf-Leuten regelmäßig an Manpower. Typisch der Betrugsfall um das EU-geförderte Institut Irela, bei dem 3,5 Millionen Euro verschwanden: Gegen den langjährigen Institutspräsidenten Rolf Linkohr, einen SPD-Europaabgeordneten, fand Brüner nichts Belastendes, nur gegen drei angeblich beteiligte Beamte. Doch dort waren die Belege so dünn, dass der Olaf-Überwachungsausschuss unter Kendall im Februar scharfe Kritik übte. Vier Jahre habe Olaf gebraucht und am Ende offensichtlich "nichts" Neues herausgefunden. Brüners merkwürdige Entschuldigung: Man habe unter "schwerem Druck" gestanden.
"Nie wieder" eine solche Pleite
Ähnlich die Affäre um den Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU. Hier standen mehrere dutzend Gewerkschafts- und Arbeitgeberleute vor allem aus Südeuropa unter konkretem Verdacht, mit Reisespesen geschummelt zu haben. Brüners Experten ermittelten eher pro forma und befragten keinen einzigen der Verdächtigen. Die belgische Justiz eröffnete trotz Brüners Bitte gar nicht erst ein Verfahren. Olaf hatte so lange getrödelt, dass der Fall verjährt war. Aufseher Kendall wütete: "Nie wieder" wolle er eine solche Pleite sehen.
Seit die Kommission Druck macht, versucht Brüner nun erst recht, keinen Ärger mehr zu erregen. Symptomatisch, wie seine Ermittler Ende September einen möglichen Betrugsfall mit Kommissionsgeldern in Rumänien beerdigten. "Voller Vertrauen in die westliche Justiz", wie er später schrieb, hatte ein renommierter Bukarester Professor (bis vor kurzem Dekan seiner Fakultät) brisante Dokumente vorgelegt. Sie legten nahe, dass angebliche EU-geförderte Weiterbildungsveranstaltungen für rumänische Beamte nie stattgefunden hatten – pikanterweise unter der Oberhoheit eines britischen EU-Beamten, der zugleich Autor einer schmeichelhaften Kinnock-Biographie ist. Brüner setzte zwar einen Ermittler auf die Geschichte an. Doch anstatt die Vorwürfe ernsthaft zu prüfen, verließ der sich auf einen beruhigenden Bericht der EU-Kommission, würdigte die Unterlagen des Professors offenbar gar nicht erst groß - und ließ den Fall schließen. Grund: Es gebe "keinerlei Beweis".
Warum wurde so schludrig ermittelt? Fragen von stern.de mochte Olaf nicht beantworten.
"Ernsthafte Zweifel" am "Wahrheitsgehalt"
Vollends dubios, wie Brüner im Oktober im Fall des Brüsseler Ausschuss der Regionen manövrierte. Dort hatten EU-Beamte mit Hilfe "gefälschter Angebote" Ausschreibungen für Druckaufträge getürkt - so sagt es der dem stern vorliegende geheime Olaf-Bericht. Bei einem französischen AdR-Mitglied fanden die Ermittler überdies Hinweise auf die mögliche "Fälschung" von Spesenerklärungen. Der Brüsseler regionale Verkehrsminister Jos Chabert ließ sich drei Tage auf Gran Canaria aus der EU-Kasse bezahlen. Gearbeitet wurde offenbar nur an einem. Der Report spricht gar von "ernsthaften Zweifeln" am "Wahrheitsgehalt" mehrerer Spesenerklärungen des Ministers. Dies könnte – so der Bericht - nach belgischem Recht mit "zwischen acht Tagen und einem Jahr Gefängnis" bestraft werden.
Doch Chabert weist die Vorwürfe der Ermittler als völlig unbegründet zurück und beruft sich dabei auf Brüner. Nicht einmal der habe irgendeine "Strafverfolgung" gefordert. In der Tat: Der Olaf-Chef, der bei Amtsantritt noch "null Toleranz" versprochen hatte, will den AdR-Fall partout nicht an die Justiz weitergeben. Dafür seien die Vorwürfe "ungenügend", schrieb er am 8.Oktober an den AdR-Präsidenten Albert Bore. Reinhold Bocklet (CSU), bis vor kurzem bayerischer Europaminister und AdR-Vizepräsident, verbreitete erleichtert, was ihm Brüner gesagt habe: Man habe es eher mit "administrativen Fehlern" zu tun.
Handelte Brüner aus politischer Rücksichtnahme? Er bestreitet das energisch. Doch wahr ist, dass das frühere eingeschriebene FDP-Mitglied heute gerne die Nähe zur bayerischen Regierungspartei sucht.
Härte zeigt der Chefermittler lieber bei Delinquenten ohne politischen Einfluss: so im Fall eines wenig bedeutenden französischen EU-Beamten, der ebenfalls mit mutmaßlicher Spesenschummelei aufgefallen war. Schadenssumme hier: 1700 Euro. Unnachgiebig zeigte Brüner den Mann im Mai bei der Staatsanwaltschaft in Paris an – wegen "betrügerischer Machenschaften".
"So ruiniert er Olaf"
Die Kleinen fangen, die Großen laufen lassen – so "ruiniert er Olaf", klagen Mitarbeiter. Auch immer mehr Europaabgeordnete verlieren die Geduld. Der niederländische Sozialdemokrat Michiel van Hulten findet Brüners Verhalten im Fall des AdR schlicht "unverständlich". Er und der britische Konservative Chris Heaton-Harris planen nun, die potentiellen Straftaten selbst bei der belgischen Justiz anzuzeigen.
Für Brüner wird es so immer enger. Zwar wollen die Europaabgeordneten das Anti-Korruptionsamt vor Prodis Zugriff retten, aber dafür vielleicht den Chefermittler in die Wüste schicken. Bereits im Frühjahr 2004 soll sein Posten neu ausgeschrieben werden, beschloss der Haushaltskontrollausschuss auf Antrag der deutschen Christdemokratin Diemut Theato.
Brüner hatte gehofft, man werde ihn ganz automatisch wiederernennen: Es gebe ja nicht so viele "gute Kriminalisten". Dass er sich da nicht mal wieder täuscht. Schon wird ein Top-Mann als Nachfolger gehandelt: Der Deutsche Jürgen Storbeck, bisher Chef des EU-Polizeiamtes Europol.