EU-GIPFEL Göteborg: Deutliches Signal für EU-Erweiterung

Der von schweren Krawallen begleitete EU-Gipfel in Göteborg ist mit einem deutlichen Signal für die Erweiterung der Europäischen Union zu Ende gegangen.

Erste Länder sollen als Mitglied bei Europawahl 2004 teilnehmen - Reaktionen positiv

Der von schweren Krawallen begleitete EU-Gipfel in Göteborg ist mit einem deutlichen Signal für die Erweiterung der Europäischen Union zu Ende gegangen. Den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs zufolge sollen die ersten EU-Beitrittskandidaten 2004 als Mitglieder an der Wahl zum Europaparlament teilnehmen. Zudem sollen die Verhandlungen mit den erfolgreichsten Kandidaten bis Ende 2002 abgeschlossen sein. Ein konkretes Datum für den Beginn der Erweiterung wurde aber nicht genannt. Die Beitrittskandidaten werteten die Ergebnisse positiv.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einem »Signal, dass der Beitrittsprozess dynamisch weitergeführt wird«. Einen Durchbruch nannte der schwedische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Göran Persson die Ergebnisse. Der Zeitplan mache deutlich, »dass die Erweiterung unumkehrbar ist«.

Ursprünglich hatte sich die Bundesregierung dagegen ausgesprochen, den Kandidaten die Teilnahme an der Europawahl »als Mitglieder« in Aussicht zu stellen. In Nizza hatten die EU-Chefs lediglich die Hoffnung auf eine Beteiligung der ersten Beitrittskandidaten an der Europawahl geäußert. Dafür wäre eine Ratifizierung der Beitrittsurkunden bis 2004 nicht zwingend gewesen. Schröder sagte, das Ziel sei nun derart offen formuliert, dass er keinen Anlass gesehen habe, nicht zuzustimmen. Die Kandidaten müssten noch »erhebliche Anstrengungen« unternehmen, um die Bedingungen für den Beitritt zu erfüllen.

Kein konkretes Datum für Beginn der Erweiterung

Vehement sprach sich Schröder gegen ein konkretes Datum für den Beginn der Erweiterungsrunde aus. Dadurch entstünde die Gefahr, dass »man sich selber unter Druck setzt«. Von den EU-Staaten hatten sich die schwedische Präsidentschaft, Großbritannien und Dänemark für die Festschreibung eines Datums ausgesprochen, während Deutschland und Frankreich dagegen waren. Die zwölf Beitrittskandidaten hatten angesichts des irischen Neins zum Vertrag von Nizza eine Verzögerung des Erweiterungsprozesses befürchtet.

Am Samstagmittag kamen die EU-Chefs mit ihren Kollegen der Beitrittskandidaten einschließlich der Türkei zusammen. Laut Persson sprachen fast alle Vertreter der Kandidaten von einem »notwendigen Durchbruch«. Der polnische Ministerpräsident Jerzey Buzek betonte:

»Wir hoffen nicht auf Zugeständnisse aus politischen Gründen, wir machen unsere Hausaufgaben.«

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte: »In dieser Woche haben wir einen riesigen Schritt zum Beitritt gemacht.« Besonders begrüßte er, dass der Zeitpunkt der Aufnahme neuer Mitglieder nach deren Leistungen entschieden werde. Ungarn liegt in den Erweiterungsverhandlungen zusammen mit Zypern mit 22 abgeschlossenen von insgesamt 31 Kapiteln in Führung. Polen ist mit 16 Kapiteln nur im Mittelfeld.

Stärkere Stellung für Umweltpolitik

Der Umweltpolitik will die EU künftig den gleichen Stellenwert einräumen wie der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Gipfel erklärte die nachhaltige Entwicklung - den Erhalt der Lebensgrundlagen für künftige Generationen - zu einem ihrer Hauptziele. So soll beispielsweise der Anteil der erneuerbaren Energiequellen am Gesamtstromverbrauch auf EU-weit 22 Prozent angehoben werden.

Nach den gewaltsamen Krawallen vom Freitag setzten am Samstag mehrere tausend Menschen die Demonstrationen gegen die EU fort. Bis zum späten Nachmittag blieben die Proteste friedlich.

Aktiverer Part der EU in Nahost

Die Staats- und Regierungschefs hatten sich auf dem Gipfel ferner dazu durchgerungen, nach langer politischer Zurückhaltung im Nahen Osten einen aktiveren Part einzunehmen.

Der außenpolitische EU-Beauftragte Javier Solana wird dabei in vorderster Reihe stehen. Die Ansprüche der EU formulierte er am Samstag recht deutlich.

Zwar wies er den Amerikanern auch weiterhin die führende Rolle bei den Vermittlungsbemühungen im Nahen Osten zu. Doch die EU wollte er dabei durchaus an US-Seite wissen. Die Europäer, so berichtet er den Staats- und Regierungschefs, müssten den Israelis und den Palästinensern helfen, von der derzeitigen Waffenruhe zu einem wahren Frieden zu kommen. Europa sei nun präsent im Nahen Osten, die internationale Gemeinschaft höre mittlerweile durchaus zu, wenn die EU sich zu Nahost äußere. »Unsere Bemühungen müssen sich ergänzen«, sagt er in Richtung Washington.

Schröder: »Gewalt muss beendet werden«

Bundeskanzler Gerhard Schröder spricht von einem »Dreiklang« und meint damit die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die USA, die auch gemeinsam die Mitchell-Vorschläge für den Weg zu einem Nahost-Frieden erarbeitet haben. Einen vollständigen Siedlungsstopp wolle auch die EU, die Gewalt müsse beendet werden, sagt Schröder und bescheinigt Solana »hervorragende Arbeit«. »Es ist eben wichtig, eine Adresse für europäische Außenpolitik zu haben.«

Schon Bundesaußenminister Joschka Fischer hatte auf seiner kürzlichen Reise durch den Nahen Osten darauf verwiesen, dass es nicht darum gehe, in der ersten Reihe zu stehen. Es gehe aber um gemeinsame Unterstützung, um Absprachen. Die Amerikaner hätten ganz andere Möglichkeiten und Mittel vor Ort zu agieren.

So fordern die 15 Staats- und Regierungschefs ihren Chefdiplomaten Solana denn auch auf, seine Bemühungen in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Parteien, der Kommission, dem EU-Vorsitz, den Vereinigten Staaten und »anderen Akteuren« fortzusetzen. Die EU als größter Geldgeber für die Palästinenser hat sich aus ihrer politischen Kraftlosigkeit ganz offensichtlich freigeschwommen. Ein europäischer Diplomat bringt die Zukunft der Nahost-Diplomatie aus europäischer Sicht auf den Punkt: »Einer agiert, einer flankiert«, sagt er. »Und umgekehrt.«

Angesichts der schweren Krawalle beim EU-Gipfel in Göteborg fordert Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zusammen mit seinem französischen Kollegen Daniel Vaillant die Einberufung einer Sondersitzung der EU-Innenminister. Schily sagte der »Bild am Sonntag«: »Dem kriminellen Treiben umherziehender Verbrecherbanden muss schnellstmöglich ein Ende gemacht werden. Die europäischen Innenminister müssen sich auf wirkungsvolle und harte Maßnahmen gegen die Gewaltakte dieser Verbrecher verständigen.«