Wachsende Spannungen Immer mehr Asylbewerber: Finnland macht die Ostgrenze dicht – und beschuldigt Russland

Ein Migrant (M) geht mit einem Fahrrad zwischen Beamten an der Grenzstation Vartius
Ein Migrant (M) geht mit einem Fahrrad zwischen Beamten an der Grenzstation Vartius. Seit Finnland vier Grenzstationen zur Russland geschlossen hat, kommen die meisten Flüchtlinge in Vartius an
© Miska Puumala/Lehtikuva / DPA
Seit einigen Tagen kommen an der finnisch-russischen Grenze deutlich mehr Asylsuchende an als sonst. Finnland hat als Reaktion Grenzübergänge geschlossen. Nun beschuldigt Finnland Moskau, die Finger im Spiel zu haben.

Schnee und Eis prägen gerade das Wetter in Finnland. Im östlichen Teil des Landes steigen die Temperaturen selten über die Null-Grad-Marke, und je weiter nördlich, desto eisiger. Trotz dieser widrigen Bedingungen erreichen seit einigen Tagen Dutzende, seit Wochen Hunderte Asylsuchende auf Fahrrädern die Ostgrenze Finnlands aus Russland. Am Montag kamen allein 35 Menschen aus Russland an den Grenzübergang Salla, wie der finnische Grenzschutz auf X berichtet.

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Die ungewöhnlichen Einreisen aus Russland in das nordeuropäische Land sorgen für weitere Spannungen an der Grenze – auch zwischen den Regierungen in Helsinki und Moskau.

Als Reaktion auf die steigenden Zahlen illegaler Grenzübertritte und Asylbewerber hat die finnische Regierung am Donnerstag beschlossen, mehrere Grenzübergänge zu schließen: Vaalimaa, Nuijamaa, Imatra und Niirala wurden am Samstag dichtgemacht. Asylbewerber haben nur noch die Option, ihre Anträge an zwei anderen Grenzübergängen – Vartius und Salla – zu stellen.

Finnland beschuldigt "ausländische Behörden oder andere Akteure" – gemeint ist Russland

Der Ministerpräsident des Nato- und EU-Staates, Petteri Orpo, betonte, dass die Situation an der Ostgrenze nicht eskalieren solle. Innenministerin Mari Rantanen sagte, dass die Schließung der Grenzübergänge an der Ostgrenze die illegale Einreise nach Finnland stoppen werde. Die Regierung sei bereit, bei Bedarf noch strengere Maßnahmen zu ergreifen. 

Inzwischen hat sich die Lage in Richtung der nördlich gelegenen Grenzübergänge verschoben. Seit letzter Woche kommen auch Asylsuchende nach Vartius, etwa 500 Kilometer entfernt von St. Petersburg – laut Grenzschutz das erste Mal in diesem Jahr, jetzt aber täglich. Zusätzliche Barrieren wurden nun errichtet, um die Sicherheit zu gewährleisten, wie der Grenzschutz am Montag mitteilte. Am Sonntag beantragten laut Grenzschutz 16 Personen in Vartius Asyl, nachdem es am Samstag noch 67 waren. Aus dem Südosten meldete dieser am Sonntag keine Asylbewerber mehr.

Die Migranten stammen aus dem Nahen Osten und Afrika, vorwiegend aus dem Irak, Jemen und Somalia. Laut Innenministerin Rantanen haben sich die Migranten offenbar legal in Russland aufgehalten.

Die Personen scheinen aber nicht aus freien Stücken die Reise nach Finnland auf sich zu nehmen. Es gebe Hinweise darauf, dass "ausländische Behörden oder andere Akteure" Personen, die illegal die Grenze nach Finnland überschritten haben, darin unterstützt haben, ins Land zu gelangen, so die konservative Regierung in Helsinki.

"Sie drängen die Menschen an die Grenze und schließen die Tore hinter ihnen"

Obwohl Finnland in seiner Mitteilung zur Grenzschließung nicht konkret wurde, wer diese "Akteure" sein könnten, ist ziemlich klar, dass damit Moskau gemeint ist. Berichte scheinen dies zu untermauern.

Der Leiter der Grenzübergangsstelle Vartius, Jouko Kinnunen, berichtete der Nachrichtenagentur STT, dass russische Beamte aktiv daran beteiligt seien, Asylbewerber über die Grenze zu bringen. "Sie drängen die Menschen an die Grenze und schließen die Tore hinter ihnen." Einige der Menschen hätten laut Kinnunens Eindruck gar nicht über die Grenze gewollt und sich gewehrt. Zudem hätten nicht alle einen Asylantrag gestellt. Derzeit sei die Lage aber ruhig und unter Kontrolle.

Finnlands Verteidigungsminister Antti Häkkänen wurde ebenfalls konkreter: "Wir haben Beweise dafür, wie Russland in Europa und anderen Teilen der Welt agiert. So gibt es beispielsweise in der Flüchtlingskrise im Mittelmeer Anzeichen dafür, dass Wagner im Hintergrund auf Russlands Befehl operiert, um die Migrantenkrise in Europa zu beschleunigen und seine Einheit zu destabilisieren. In den baltischen Ländern hat er die Migrationskrise instrumentalisiert, um die baltischen Länder und Polen zu destabilisieren." Die Gruppe Wagner ist eine russische Söldnertruppe, die in der Vergangenheit häufig im Auftrag des Kremls agierte. Ihr Anführer Jewgeni Prigoschin kam vor wenigen Monaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, die Hintergründe sind noch ungeklärt.

Häkkänen wies auf eine ähnliche Operation gegen Finnland in den Jahren 2015 und 2016 hin, als viele Asylbewerber auf Fahrrädern an den Grenzübergängen in Lappland ankamen. "Es gibt Anzeichen dafür, dass dies wieder beginnt", sagte er.

Russland weist Anschuldigungen von sich

Laut der finnischen Zeitung "Helsingin Sanomat" bringen russische Grenzbeamte die Migranten direkt zur finnischen Grenze. "Die Grenzbeamten führen Kontrollen durch und nehmen die Migranten mit", berichtete ein Hotelrezeptionist in Russland der Zeitung. 

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte Russland am Donnerstag bei X, vormals Twitter. Dessen "Instrumentalisierung von Migranten" sei "schändlich" und sie unterstütze Finnlands Schritte.

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Russland allerdings wäscht seine Hände in Unschuld. "Wir lassen derartige Anschuldigungen nicht gelten", erklärte der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskow, am Montag in Moskau zu den Vorwürfen, dass Russland Migranten ohne Papiere über die Grenze schleuse, um Finnland zu destabilisieren.

Er betonte, dass nur diejenigen die Grenzüberquerung nutzen dürften, die dazu berechtigt seien. Die Vorwürfe der Finnen bezeichnete er als "an den Haaren herbeigezogen" und kritisierte die "klare russophobe Haltung" Finnlands.

Wird die Grenze zu Russland schon am Mittwoch ganz geschlossen?

Arkady Moshes, Programmdirektor des Foreign Policy Institute, erklärte der Zeitung "Helsingin Sanomat", dass die russischen Grenzschützer nur aufgrund einer hochrangigen politischen Entscheidung ihre Aktivitäten geändert haben könnten. Dies bedeute, dass Russlands Präsident Wladimir Putin zumindest die Aktion gebilligt haben muss. "Von Finnland aus ist es unmöglich zu sagen, ob die Initiative von ihm ausging, aber zumindest muss die Genehmigung erteilt worden sein."

Finnland könnte aber tatsächlich sehr bald schärfere Maßnahmen an der Grenze umsetzen. Innenministerin Rantanen sagte der Zeitung "Helsingin Sanomat", dass man sich auf neue Maßnahmen vorbereite. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Yle berichtete darüber hinaus, dass das Militär an den Grenzübergängen beim Bau von Sperren unterstützt, um sich auf eine möglicherweise langanhaltende Situation vorzubereiten. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex wurde laut den Berichten angefragt.

F-35A-Kampfjet landet auf Autobahn – das ist Teil von Finnlands Verteidigungsstrategie
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Laut Informationen der finnischen Zeitung "Iltalehti" könnte die finnisch-russische Grenze bereits in der Nacht zum Mittwoch geschlossen werden. Dies habe das Blatt aus außen- und sicherheitspolitischen Quellen erfahren. Die Entscheidung könnte bereits am Montag getroffen werden.

Verteidigungsminister Häkkänen bezeichnete das mögliche Schließen der gesamten Ostgrenze als "kristallklare Botschaft an Russland". Russlands Vize-Außenminister Alexander Gruschko warnte am Montag hingegen vor den Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Interessen Finnlands. 

Finnland will Grenzzaun bis 2026 fertig haben

Nach Angaben von "Iltalehti" hat die Regierung jedoch festgestellt, dass das in internationalen Verträgen garantierte Recht, einen Asylantrag zu stellen, an der Ostgrenze aufgrund des russischen Vorgehens de facto an Bedeutung verloren habe. Da jedoch die Befürchtung besteht, dass abgelehnte Personen nicht in Russland aufgenommen werden, soll die Grenze vollständig geschlossen werden. Asylanträge könnten dann möglicherweise am Flughafen in Helsinki gestellt werden.

Russland und Finnland teilen eine 1340 Kilometer lange Landgrenze. Aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde das nördlichste Land der EU im April nach jahrzehntelanger militärischer Bündnisfreiheit Mitglied der Nato. Die Beziehungen zwischen Helsinki und Moskau haben sich dadurch in den vergangenen zwei Jahren signifikant abgekühlt.

Bisher wurden die Grenzen Finnlands hauptsächlich mit leichten Holzzäunen abgesichert, die primär das Vieh im Land halten sollten. Inzwischen entsteht entlang eines Teilstücks der finnisch-russischen Grenze jedoch ein 200 Kilometer langer Zaun, der von dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land errichtet wird. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2026 vorgesehen.