Anzeige
Anzeige

Gauck in Myanmar Der berührende Besuch bei San Suu Kyi

Zwei Widerstandskämpfer, eine Mission. Sie habe nicht nur Sympathie erfahren, sondern Empathie, sagte Myanmars Oppositionsführerin San Suu Kyi nach einem Treffen mit dem Bundespräsident Gauck.
Von Jens König, Naypyidaw

Da stehen sie nun auf der "Lake View"-Terrasse einer weitläufigen Hotelanlage in Naypyidaw, er im dunklen Anzug, sie in roter Bluse, rot-goldenem Rock und mit gelben Rosen im Haar, der deutsche Präsident und Myanmars Oppositionsführerin. Allein schon dieser Augenblick hat großen Symbolwert. Joachim Gauck und Aung San Suu Kyi, zwei ehemalige Regimegegner, zwei Kämpfer für Freiheit und Demokratie - sie treffen sich in Myanmar, bis 2011 eine Militärdiktatur, und reden darüber, wie das südostasiatische Land zu Aussöhnung und Demokratie finden kann.

Gauck kann dazu mit seinen Erfahrungen aus der DDR einiges beitragen. Aung San Suu Kyi hat das in dem Gespräch mit ihm sofort bemerkt. "In der Theorie kann jeder mit unserer Demokratiebewegung sympathisieren", sagt sie auf der Terrasse. "Aber wenn du am eigenen Leib etwas erlitten hast, worunter andere Länder gerade leiden, dann ist diese Sympathie auf einem anderen Level. Es ist dann Empathie."

2015 will sie Präsidentin werden

Aung San Suu Kyi, eine 68-jährige Lady. Schmales Gesicht, graziler Körper. Kerzengerade steht sie da. Spricht ein sehr britisches Englisch. Volksheldin. Friedensnobelpreisträgerin. Eine Ikone. Sie ist für Myanmar, das frühere Birma, das, was Nelson Mandela für Südafrika war. Bei den Wahlen 2015 will sie Präsidentin werden.

Gauck merkt man schnell an, wenn ihn etwas rührt. Dieses Gespräch mit Aung San Suu Kyi hat ihn berührt. Er nennt sie ein "Vorbild".

Er findet es anmaßend, mit ihr verglichen zu werden, als eine Art deutsche Ausgabe von ihr. Es ist ihm geradezu peinlich, trotz seiner oppositionellen Biografie. "Ich musste nicht in den Knast und für meine Überzeugungen so leiden wie sie", sagt er. "Aber unsere Sehnsucht nach Freiheit verbindet uns." Für ihn war es ein "Treffen unter Freunden."

Freiheit - auf dem Papier

Aung San Suu Kyi ist 15 Jahre lang von den Militärs gefangen gehalten worden, sie stand unter Hausarrest. Ein Jahr nach ihrer Freilassung 2010 war die Diktatur zu Ende. Danach begann ein Reform- und Aussöhnungsprozess in Myanmar, eingeleitet von ehemaligen Generälen. Eine Art Wende von oben. Freie Wahlen, freie Presse, Privatwirtschaft, all das steht zumindest auf dem Papier.

Eine Diktatur lässt sich jedoch nicht so einfach abschütteln. An vielen Schalthebeln der Macht sitzen immer noch Militärs. Die Infrastruktur ist marode. Weite Teile der Bevölkerung leben in Armut. Konflikte mit vielen der insgesamt 135 anerkannten ethnischen Minderheiten brechen auf. Es gibt Gewaltexzesse gegen Muslime in dem buddhistischen Land. Gauck hat einige der Probleme bei seinem Besuch kritisch angesprochen.

Der ökonomisch aufregenste Ort

Und trotzdem gilt Myanmar, das vom Westen lange abgeschottet und mit Sanktionen überzogen war, momentan als einer der aufregendsten asiatischen Märkte. Das einst reichste Land Südostasiens erlebt seine kapitalistische Wiedergeburt. Westliche Politiker und Unternehmer geben sich in Rangun, dem Zentrum Myanmars, die Klinke in die Hand. Es herrscht Goldgräberstimmung.

Deutschland möchte bei dieser Modernisierung dabei sein, sie unterstützen, politisch, wirtschaftlich, kulturell. Am Rande des Gauck-Besuchs wurden dem Land 500 Millionen Euro Schulden erlassen. Einige deutsche Unternehmer, die mit dem Bundespräsidenten ins Land gereist sind, möchten dort Geschäfte machen. Hilfsorganisationen und das Goethe-Institut sind auch schon vor Ort.

Größenwahn, in Stein gehauen

Wie weit der Weg für Myanmar noch ist, fast 50 Jahre Diktatur hinter sich zu lassen, sie vor allem aus den Köpfen der Menschen heraus zu kriegen, hat Gauck am Montag in Naypyidaw hautnah miterleben dürfen. Vom Flughafen aus ging es über riesige, 20 Spuren breite Straßen zum Präsidentenpalast. Vorbei an Hotels, in denen niemand wohnt, und Shopping-Malls, in denen niemand einkauft. Autos auf den Straßen? Keine zu sehen. Menschen? Auch keine. Nur an einem Abschnitt der Strecke standen Tausende Kinder in Schuluniformen in der sengenden Vormittagssonne und winkten mit steifen Armen Deutschlandfähnchen hin und her. Gauck hätte mit seinem Luftwaffen-Airbus eigentlich auch gleich vor dem Palast landen können. Platz genug hätte er gehabt.

Die Stadt Naypyidam ist von den Militärs auf dem Reißbrett geplant, aus dem birmesischen Nichts in ein paar Jahren hochgezogen und 2005 aus Angst vor den protestierenden Studenten in Rangun zur Hauptstadt erklärt worden. Der in Stein gehauene Größenwahn einer Diktatur. Präsident, Regierung und Parlament sitzen immer noch hier.

Wohin das Geld verschwindet

Als Gauck den Präsidenten Thein Sein, einen ehemaligen General, zum Gespräch traf, dürfte er sich an sozialistische Zeiten erinnert haben. Säle so groß wie Fußballstadien, riesige Kronleuchter, goldene Sessel, dicke goldfarbene Teppiche. Der ganze Präsidentenpalast atmet Ceausescu-Charme. Als in diesem Prunkhaus der deutsche Schuldenerlass für Myanmar unterzeichnet wurde, reagierten die mitgereisten deutschen Unternehmer sarkastisch: Jetzt wissen wir, wo unser Geld geblieben ist, sagten sie.

Aung San Suu Kyi hat den neuen Machthabern die Hand gereicht, nicht zur Freude aller ihrer Anhänger. In der Freiheit muss sie jetzt Moral mit Pragmatismus verbinden. Also eine fast normale Politikerin sein. Nicht einfach für eine der Realität fast schon entrückte Gestalt. Sie ist Chefin der Partei "National League for Democracy" und sitzt in einem Parlament, das immer noch von alten Militärs dominiert wird.

Kämpferin ohne Fundamentalismus

Vor ein paar Jahren haben sie einen Passus in die Verfassung geschrieben, der direkt gegen Aung San Suu Kyi gerichtet war: Politiker, deren Kinder nicht die myanmarische Staatsbürgerschaft besitzen, dürfen nicht Präsident werden. Die beiden Söhne von Suu Kyi sind in England geboren und britische Staatsbürger. Der Passus gilt bis heute. Wird er nicht geändert, darf sie bei der Wahl 2015 gar nicht kandidieren. Gauck hat den Präsidenten darauf angesprochen. Dieser murmelte etwas wie: Mal gucken, was daraus wird.

Trotzdem setzt Aung San Suu Kyi auf Versöhnung. Sie möchte ein Myanmar, das mit sich selbst in Frieden lebt. Als sie von der Terrasse des Hotels in Naypyidaw verschwunden und in ihr Auto gestiegen war, schwärmte Gauck noch einmal von ihr. Dass sie ethische Werte habe und trotzdem auf den Kompromiss setze, als urdemokratisches Element. "Sie ist eine Freiheitskämpferin ohne Fundamentalismus", sagte er.

Es klang ein bisschen so, als wollte er sagen: Sie ist da wie der Gauck.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel