Großbritannien Britische Premierministerin Liz Truss erklärt Rücktritt

Großbritannien: "Kann das Mandat nicht erfüllen": Truss' Rücktrittserklärung im Wortlaut
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Der Druck war immens, nun hat die britische Premierministerin Liz Truss nach rund sechs Wochen ihren Rücktritt erklärt. Sie werde so lange im Amt bleiben, bis ein Nachfolger ernannt worden sei, sagte die konservative Politikerin am Donnerstag in London. "Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann. Ich habe daher mit Seiner Majestät dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Vorsitzende der Konservativen Partei zurücktrete." Truss hatte erst Anfang September die Nachfolge von Boris Johnson angetreten, der nach mehreren Skandalen und Eklats auf Druck der eigenen Partei zurückgetreten war. Bereits seit Mitte September kämpft Truss um ihr politisches Überleben im Amt, nachdem sie mit ihren Steuersenkungsplänen ein Fiasko an den Finanzmärkten ausgelöst hatte und sich zu einer Kehrtwende gezwungen sah. In ihrer Partei wuchsen zunehmend Unmut und Widerstand gegen sie. Umfragen zufolge liegen die Konservativen etwa 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei. Bei dem Forschungsinstitut YouGov ist Truss die unbeliebteste Regierungschefin seit dem Beginn der Erhebungen.
Erneut versinkt Großbritannien im Regierungschaos: Gerade einmal sechs Wochen war Boris Johnsons Nachfolgerin Liz Truss im Amt. Nun muss die Partei erneut eine Nachfolge an der Spitze finden.

Nach nur gut sechs Wochen im Amt hat die britische Premierministerin Liz Truss ihren Rücktritt angekündigt. "Ich habe mit dem König gesprochen, um ihm mitzuteilen, dass ich als Chefin der Konservativen Partei zurücktrete", sagte die konservative Politikerin am Donnerstag bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in der Londoner Downing Street. Als Premierministerin will sie noch im Amt bleiben, bis eine Nachfolge gefunden ist. Dieser Prozess solle bereits innerhalb der kommenden Woche ablaufen.

Nach Angaben der britischen Nachrichtenagentur PA ist Truss damit auf dem Weg, als britische Regierungschefin mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte einzugehen. Der Pfund-Kurs im Verhältnis zum Dollar legte nach der Ankündigung kurzzeitig zu.

Nachfolge von Liz Truss noch unklar

Wer ihre Nachfolge antreten wird, ist unklar. Es gab zunächst keine klare Favoritin oder klaren Favoriten. Der erst kürzlich ins Amt gekommene Finanzminister Jeremy Hunt lehnte Berichten zufolge eine Kandidatur umgehend ab. Ex-Finanzminister Rishi Sunak war im Sommer in einer Stichwahl um die Nachfolge von Ex-Premier Boris Johnson gegen Truss unterlegen. Doch er gilt als umstritten in der Fraktion. Als mögliche Alternativen gelten auch die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt und Verteidigungsminister Ben Wallace.

Berichten zufolge soll der skandalgeplagte britische Ex-Premierminister Boris Johnson eine erneute Kandidatur für den Posten planen. Das berichteten die Zeitungen "Times" und "Telegraph" am Donnerstag unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Johnson glaube, eine Kandidatur sei im "nationalen Interesse", hieß es in der "Times". Johnson, der nach der "Partygate"-Affäre und vielen weiteren Skandalen Anfang Juli zum Rücktritt gezwungen wurde, hat noch immer in Teilen der Partei eine loyale Unterstützerbasis. In Umfragen unter Parteimitgliedern schnitt Johnson zuletzt wieder gut ab.

Neuer Premier noch im Oktober

Wer auch immer es wird: Die konservative Fraktion will bis zum 31. Oktober einen neuen britischen Premierminister ins Amt gehoben haben, wie Graham Brady, der Vorsitzende des mächtigen 1922-Komitees der Konservativen Fraktion mitteilte. "Wir sind uns sehr bewusst über die Notwendigkeit im Sinne des nationalen Interesses, dies sehr schnell und klar zu regeln", sagte Brady. Im Sommer hat sich die Findung eines Nachfolgers des skandalgeplagten Ex-Premiers Boris Johnson wochenlang hingezogen.

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei forderte eine sofortige Neuwahl. Truss war bereits ohne eigenes Mandat ins Amt gekommen, nachdem sie im vergangenen Monat den skandalumwitterten Boris Johnson abgelöst hatte. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine Parlamentswahl. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb die Chefin der Schottischen Nationalpartei SNP am Donnerstag auf Twitter.

Rücktritt wegen Finanzchaos

Truss stand massiv unter Druck, seit sie mit geplanten Steuererleichterungen ein Finanzchaos ausgelöst hatte und später eine Kehrtwende hinlegen musste. Erst am vergangenen Freitag hatte Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und durch den früheren Außenminister Jeremy Hunt ersetzt. Hunt machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik wieder rückgängig. Er kündigte an, die eigentlich für zwei Jahre vorgesehene Energiepreisdeckelung auf sechs Monate zu beschränken.

Am Mittwoch beschleunigte das Ausscheiden von Innenministerin Suella Braverman den Verfall der Regierung. Zudem kam es im Parlament zu tumulthaften Szenen. Teilweise sollen konservative Abgeordnete eingeschüchtert und bedrängt worden sein, damit sie für die Regierung abstimmen. Viele Beobachter bezeichneten die Szenen als nie da gewesen. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte der BBC, konservative Kollegen hätten an seiner Schulter geweint.

Sturgeon fordert Neuwahlen

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat nach dem Zusammenbruch der britischen Regierung eine Neuwahl im Vereinigten Königreich gefordert. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb die Schottin am Donnerstag auf Twitter. "Es gibt gar keine Worte, um diesen Scherbenhaufen angemessen zu beschreiben", so Sturgeon. Normale Bürgerinnen und Bürger müssten dafür den Preis zahlen. Die Interessen der konservativen Tory-Partei, die innerhalb einer Woche eine Nachfolge für Truss finden will, dürften nun keine Rolle spielen.

Rund 24 Stunden vor ihrem Rücktritt hatte Truss bei der Fragestunde im britischen Unterhaus beteuert, nicht aufgeben zu wollen und "eine Kämpferin" zu sein. Nun wies sie zwar auf die schwierigen ökonomischen Zeiten und die politische Instabilität auf dem ganzen Kontinent hin, räumte aber auch ein, unter den aktuellen Bedingungen ihre Vision des radikalen Wirtschaftswachstums nicht mehr umsetzen zu können.

DPA · AFP
tkr/kng