Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bekommt bei seiner ersten Afghanistan-Reise eine Ahnung von den "kriegsähnlichen Zuständen" am Hindukusch, von denen er nach seinem Amtsantritt gesprochen hatte. Am Tag nach seinem Besuch in Kabul am Donnerstag sprengt sich dort ein Selbstmordattentäter in die Luft.
Als Guttenbergs Delegation am Freitag mit Hubschraubern vom Feldlager in Masar-i-Scharif zu den deutschen Soldaten ins nordafghanische Kundus fliegt, feuern Bordschützen Warnschüsse über unsicherem Gelände ab. Nach Guttenbergs Landung startet die Bundeswehr zur Sicherheit eine Aufklärungsdrohne. "Afghanistan", sagt Guttenberg, "wird uns sicher noch eine Weile fordern".
Guttenberg ist das erste Regierungsmitglied, das seit dem von einem deutschen Oberst am 4. September angeordneten verheerenden Luftangriff nahe Kundus in die Region kommt. Viele Soldaten zeigen sich angetan von ihrem neuen Minister. Dass er anders als sein Vorgänger Franz Josef Jung die Lage als "kriegsähnlich" beschreibt, ist Balsam für ihre Seele. "Damit trifft er den Kern", sagt ein Offizier. Die Soldaten kämpften zum Teil in schweren Gefechten. Was sei das anderes als Krieg? Einer der Kameraden des Offiziers fügt hinzu: "Es ist gut, dass der Minister Tacheles redet, damit man versteht, dass es hier nicht rosarot zugeht. Wir gehen mit Masse raus, damit wir heile wieder reinkommen."
Guttenberg hatte sich vor einer Woche öffentlich hinter den deutschen Oberst Georg Klein gestellt, der die Bombardierung der zwei von Taliban gekaperte Tanklastwagen befohlen hatte. Auch mit dieser Haltung spricht Guttenberg vielen Soldaten in Kundus aus der Seele. Ein Hauptmann, der mit Klein in Kundus gedient hat und an diesem Samstag zurück in die Heimat reist, sagt, der Oberst habe überlegt gehandelt. "Das war eine günstige Gelegenheit, die genutzt werden musste", meint der 37-Jährige. "Die Soldaten stehen hinter Klein." Zu den Zivilisten, die bei dem Bombardement auch getötet wurden, sagt der Offizier: "Wer sich mit den Taliban herumtreibt, paktiert auch mit ihnen." Die Zahl der Anschläge habe seitdem abgenommen. Auch einen erneuten Luftangriff würde er "jederzeit befürworten".
Die Soldaten in Kundus fühlen sich von ihrem neuen Minister verstanden. Mehrere von ihnen sprechen von "einem guten Start von Guttenberg". Eher verlegen reagieren einige Soldaten im Gespräch allerdings auf Guttenbergs Aufforderung, Soldaten sollten auch Gefühle zeigen. Viele schweigen dazu. Guttenberg sagt, im Soldatenberuf gehe es eben nicht nur darum, "kühl dem Soldatentum als solches nachzugehen". Emotionen spielten eine wesentliche Rolle. Der deutschen Bevölkerung müsse vermittelt werden, dass Soldaten ihren Beruf mit "hoher Professionalität, aber auch mit Herz reißen". Auch für ihn selbst sei sein neues Amt ein "Herzensanliegen".
Doch bei allen Emotionen dominieren doch die brutale Wirklichkeit und eben jene "kriegsähnlichen Zustände" den Antrittsbesuch des Ministers. Der Einsatzoffizier der Sanitätskompanie in Kundus, Hauptmann Uwe Sokolowski, berichtet, nachdem Sanitätsfahrzeuge gezielt von Aufständischen beschossen worden seien, sei das Rote Kreuz inzwischen entfernt worden. Dafür seien die Fahrzeuge nun mit Maschinengewehren aufgerüstet worden. "Das ist ein absoluter Quantensprung." Der gezielte Beschuss der Wagen habe eine große psychologische Wirkung auf die Sanitäter und die Soldaten. "Alle Sanitätsfahrzeuge in Kundus haben bereits im Feuerkampf gestanden."
Die Zeiten, in denen das Camp im Norden als "Bad Kundus" verspottet wurde, weil es in der Region so ruhig war, sind lange vorbei. Angesichts der bitteren Realität kündigt Guttenberg vor seiner Abreise nach Berlin denn auch an, die Eingreifkräfte - also jene Soldaten, die im Ernstfall außerhalb der Lagermauer mit den Taliban kämpfen - würden deutlich aufgestockt. Die bereits in Kundus stationierten 450 Eingreifkräfte würden um eine Einsatzkompanie mit 120 Soldaten verstärkt. Nüchtern stellt der Minister fest: "Hier ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen."