Bei einem hochrangigen Beamten des US-Verteidigungsministeriums sind beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im vergangenen Jahr Symptome aufgetreten, die denen des sogenannten Havanna-Syndroms ähneln. Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh bestätigte den Fall in Washington auf die Frage nach einem entsprechenden Medienbericht. "Ich kann bestätigen, dass ein hochrangiger Beamter des Verteidigungsministeriums Symptome hatte, die denen ähneln, die bei den ungewöhnlichen Gesundheitsvorfällen gemeldet wurden." Die Person sei beim Gipfel in Vilnius gewesen, habe aber nicht zur Delegation des Verteidigungsministers gehört.
Als Havanna-Syndrom werden rätselhafte Symptome wie Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit zusammengefasst, über die zahlreiche in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende US-Diplomaten und ihre Angehörigen klagten. Auch an anderen Orten der Welt wurden ähnliche Beschwerden gemeldet. Betroffene gaben an, dass die Symptome begannen, nachdem sie etwa ein seltsames Geräusch hörten oder starken Druck in ihrem Kopf spürten.
Die US-Regierung hatte anfangs nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Art Angriff gehandelt haben könnte. Vor gut einem Jahr gingen die US-Geheimdienste laut einem offiziellen Bericht dann mehrheitlich davon aus, dass kein "ausländischer Gegner" für das sogenannte Havanna-Syndrom verantwortlich ist. Die gemeldeten Beschwerden seien stattdessen wahrscheinlich das Ergebnis von Vorerkrankungen, anderer Krankheiten oder Umweltfaktoren.
Havanna-Syndrom sorgte bereits 2016 für Schlagzeilen
Am Montag hatten Journalisten des Magazins "Der Spiegel" gemeinsam mit Kollegen des US-Nachrichtenmagazins "60 Minutes" (CBS) und des russischen Portals "The Insider" eine Recherche veröffentlicht, die darlegt, warum hinter dem Havanna-Syndrom womöglich doch Angriffe des russischen Geheimdienstes stecken könnten. "Der Spiegel" zitiert auch einen Betroffenen, der behauptet, erste Fälle des Syndroms seien schon 2014 aufgetaucht – im US-Konsulat in Frankfurt am Main.
Den Berichten zufolge sollen Mitglieder der Einheit 29155 des russischen Militärgeheimdiensts GRU die Vorfälle mit sogenannten Energiewaffen ausgelöst haben. Die Einheit ist für Auslandseinsätze zuständig. Ihr werden mehrere Angriffe außerhalb Russlands zur Last gelegt – unter anderem die versuchte Vergiftung des Ex-Doppelagenten Sergej Skripal im britischen Salisbury im Jahr 2018.
Die ersten Fälle des Havanna-Syndroms waren nach bisherigen Erkenntnissen im Jahr 2016 bei US-Diplomaten in der kubanischen Hauptstadt aufgetaucht, daher der Name. Dutzende kanadische und US-Diplomaten sowie deren Angehörige in Havanna litten unter Gesundheitsproblemen wie Benommenheit, Müdigkeit und Kopfschmerzen sowie Hör- und Sehproblemen.
Später wurden auch Fälle von Diplomaten und Geheimdienstmitarbeitern bekannt, die in China, Deutschland, Australien, Russland, Österreich und sogar in der US-Hauptstadt Washington im Einsatz waren.
Die Journalisten kommen somit zu einem anderen Ergebnis als ein im März 2023 veröffentlichter Bericht der US-Geheimdienste: Dieser hatte laut Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines ergeben, dass die Verantwortung eines "gegnerischen Staats" für die Vorfälle "höchst unwahrscheinlich" sei.
Moskau weist Vorwürfe zurück – Washington schweigt
In Russland wies Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag den Bericht als "haltlos" zurück. Über das Thema sei "in der Presse seit vielen Jahren gesprochen" worden, niemand habe aber "jemals irgendwelche überzeugenden Beweise veröffentlicht".
Aus dem US-Außenministerium hieß es, man wolle die Berichte weder bestätigen noch kommentieren. Man habe betroffene Mitarbeiter mithilfe des Havanna-Gesetzes umfangreich entschädigt und unterstützt. Der Geheimdienstausschuss sei im März 2023 zu dem Schluss gekommen, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein ausländischer Gegner für das Havanna-Syndrom verantwortlich sei. An dieser Einschätzung halte man fest. Die Geheimdienste würden neue Informationen auswerten, wenn es solche gebe.