Die andauernden Attacken gegen US-Truppen im Irak könnten nach Ansicht eines hochrangigen amerikanischen Offiziers bereits vor dem Krieg von langer Hand geplant worden sein. "Ich glaube, (der frühere irakische Machthaber) Saddam Hussein hatte immer geplant, einen Guerillakrieg zu führen, sollte der Irak fallen", sagte der Kommandant der 82. Luftlande-Division, Generalmajor Charles Swannack, der "Washington Post" (Donnerstag).
Wahrscheinlich sei Saddam aber vom raschen Fall Bagdads überrascht worden und habe daher einige Zeit gebraucht, seine Anhänger zu reorganisieren, sagte Swannack. Deshalb habe es einige Monate gedauert, bis die Angriffe verstärkt wurden. Saddam habe vermutlich bereits vor dem Krieg überall im Lande Waffenverstecke angelegt, sagte der General, der die US-Einsätze in dem für die amerikanischen Truppen besonders gefährlichen Sunniten-Dreieck zwischen Bagdad, Falludscha und Tikrit leitet. Ex-General David Grange widersprach dieser Theorie im Nachrichtensender CNN. Er glaube nicht, dass Saddam so clever gewesen sei.
"Ziemlich nahe an einem Krieg"
"Wir sind in einen Aufstand verwickelt, und das ist ziemlich nahe an einem Krieg", räumte US-Vizeaußenminister Richard Armitage bereits am Samstag in Bagdad ein. Ein halbes Jahr, nachdem US- Präsident George W. Bush die Kampfhandlungen im Irak für beendet erklärt hatte, vergeht kein Tag, ohne dass amerikanische Soldaten den Attacken von Aufständischen zum Opfer fallen. 29 Angriffe pro Tag registrierte das US-Militär in der vergangenen Woche. Seit neuestem werden sogar Hubschrauber angegriffen.
Die Untergrundkämpfer wenden die klassischen "Hit-and-Run"-Taktik an: zuschlagen und das Weite suchen. Eine einzige Panzerfaustgranate kann eine hinreichend zerstörerische Wirkung entfalten, wenn sie ihr Ziel trifft. In den meisten Fällen geschieht das zwar nicht. Doch wenn nur ein oder zwei Anschläge tödlich enden, reicht das den Aufständischen, um den nötigen psychologisch Effekt zu erzielen.
Vor allem um den geht es. General Ricardo Sanchez, Kommandeur der US-Truppen im Irak, mag rein militärisch Recht haben, wenn er sagt, der Widerstand auf dem derzeitigen Niveau sei "strategisch unbedeutend". Mit ihren Panzerfäusten und selbst gebauten Bomben können die Aufständischen der amerikanischen High-Tech-Armee keinen Zentimeter irakischen Bodens abringen. Doch die täglichen Hiobsbotschaften aus dem Zweistromland, die Bilder von den überstellten Särgen zerrütten die Moral an der Heimatfront: Die Zustimmung für Bushs Irak-Politik geht in den USA merklich zurück.
Man habe einen "handfesten Plan", um das "Sicherheitsproblem" - wie Armitage sich ausdrückt - in den Griff zu bekommen. Über einen derartigen "Plan" verfüge auch der US-gesponserte provisorische Regierungsrat, erklärte Tage zuvor auch dessen turnusmäßiger Vorsitzender Dschalal Talabani.
Regierungsrat drängt zur Eile
Diese Pläne sind jedoch nicht deckungsgleich. Zwar wollen Amerikaner wie Iraker, dass der Kampf gegen den Aufstand in irakische Hand übergeht. Die USA wollen dies aber nur einer sorgfältig ausgewählten, gründlich ausgebildeten Spezialmiliz überlassen, was Zeit kostet. Der Regierungsrat drängt dagegen zur Eile. Einige seiner Mitglieder, wie etwa der Kurden-Politiker Talabani, gebieten über eigene Milizen, die ihrer Ansicht nach "den Job übernehmen" könnten.
Doch dafür können sich die Amerikaner nicht erwärmen. Kurdische Peschmergas oder Kämpfer der schiitischen Badr-Brigaden würden im sunnitischen Dreieck, dem Gebiet westlich und nördlich von Bagdad, wo sich der Widerstand konzentriert, das sichere Rezept für ein Abgleiten in einen Bürgerkrieg bedeuten. Bereits jetzt hat der Aufstand im Sunniten-Gebiet einen "nationalistischen" Anstrich. Er wird nicht mehr nur von Anhängern des gestürzten Machthabers Saddam Hussein getragen, sondern auch von breiteren Bevölkerungsschichten, die aufgebracht sind über das oft unsensible Auftreten der Besatzer bei Razzien und Verhaftungen.
Das macht es den Amerikanern auch so schwer, den Aufstand zu niederzuschlagen. Zwar werden immer wieder Verhaftungen gemeldet, zuletzt sogar von mutmaßlichen lokalen Drahtziehern, sowie von Waffenfunden. Auch die von den Amerikanern ausgesetzten Prämien sind nicht unattraktiv. Doch ein gefasster Untergrundkämpfer wird rasch durch einen neuen ersetzt. Und an Waffen mangelt es nach dem vom US-Einmarsch herbeigeführten Zerfall der irakischen Armee ebenfalls nicht. Bis zum Aufbau neuer irakischer Sicherheitskräfte steht den Amerikanern, wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld neulich in einem durchgesickerten internen Papier feststellte, eine "lange, harte Schinderei" bevor.
Dennoch: Nach dem Selbstmordanschlag am Mittwoch auf das Hauptquartier der italienischen Carabinieri in Nasirija (Südirak) stellt sich erneut die Sicherheitsfrage. Aufständische und Terroristen können offenbar in jedem Winkel des Landes zuschlagen, auch im bisher als ruhig geltenden, schiitisch bevölkerten Süden. In Washington denkt man zunehmend darüber nach, in welchem Tempo und Ausmaß man die inzwischen reaktivierten oder neu entstandenen irakischen Strukturen mit Sicherheitsaufgaben betrauen könnte.
US-Zivilverwalter Bremer offenbar zum Rapport bestellt
"Ich habe Vorschläge unterbreitet, um mehr Kompetenzen an den provisorischen Regierungsrat abzutreten", hatte der offenbar zum Rapport bestellte US-Zivilverwalter Paul Bremer in der US-Hauptstadt erklärt. Der Rat war im Juli von Bremer ernannt worden. Obwohl sich der amerikanische Administrator ein Vetorecht vorbehält, hat das Gremium ein gewisses Eigenleben entfaltet. Sein turnusmäßiger Vorsitzender Dschalal Talabani hatte erst in der vergangenen Woche vehement die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an den Regierungsrat gefordert. "Wir wissen am besten, wie man diese Kriminellen und Terroristen bekämpft", hatte er sich selbstbewusst gegeben.
Doch gerade eine verfrühte Übertragung von Aufgaben an die erst rudimentär organisierten irakischen Strukturen könnte nach Ansicht von Beobachtern die Lage nur verschlimmern. Bremer und sein Stab unterstreichen mit Stolz, wie schnell es ihnen gelungen sei, einen irakischen Sicherheitsapparat mit einer Stärke von 110 000 Mann auf die Beine zu stellen. Doch 36 000 davon sind die in wenigen Tagen "ausgebildeten" Objektschützer. Und auch viele der 60 000 Polizisten wurden in nur zweiwöchigen Schnellkursen auf ihre komplexen Aufgaben vorbereitet.
Doch wenn die amerikanischen Zuständigen - auch mit Blick auf das nahende Präsidentschaftswahljahr - die US-Truppenpräsenz im Irak greifbar senken wollen, stehen sie vor schwierigen Entscheidungen. Viele engagierte irakische Polizisten brennen offenbar darauf, mit ihren verdächtig erscheinenden Landsleuten so umgehen zu können, "wie wir es gewohnt sind". Bislang sind fast alle Untergrundkämpfer vom US-Militär gefasst worden. Im US-Gewahrsam werden sie zwar mitunter rüde behandelt, aber nicht gefoltert.
Ex-Geheimdienstler als Helfer bei der Verbrechensbekämpfung?
Erschwert wird die Lage dadurch, dass die Verbrechensbekämpfung unter Saddam Hussein nicht der Polizei oblag, sondern dem Inlandsgeheimdienst Mukhabarat. Dieser stand für die brutale Unterdrückung der irakischen Bevölkerung und war deshalb von den Amerikanern umgehend aufgelöst worden. Mit Blick auf die für die Bekämpfung von Aufständischen zuständigen früheren Mukhabarat-Mitarbeiter meint ein irakischer Sicherheitsexperte: "Die Amerikaner werden nicht umhin kommen, sie zurückzuholen".