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Bedrohung durch den IS "Die türkischen Panzer richten sich gegen die Kurden"

Die Kurden in Deutschland bangen mit den Verteidigern von Kobane. Im stern-Gespräch erzählen drei von ihnen, warum sie einen Einmarsch der Türkei fürchten und der Westen der PKK helfen sollte.

Seit Wochen bangen die in Deutschland lebenden Kurden mit den Verteidigern der vom Islamischen Staat attackierten syrischen Grenzstadt Kobane. Nach einer Demonstration gegen die Gewalt des IS vergangene Woche in Hamburg wurde der Deutsch-kurdische Kulturverein in der Hansestadt von Islamisten überfallen. Der stern sprach mit dem Sprecher des Kulturvereins, Yavuz Fersoglu, dem Politilogen Dr. Sebahattin Topcuoglu und dem Juristen Yusuf Akbayir über die Situation der Kurden in Deutschland und der Türkei.

In der vergangenen Woche gab es in Hamburg und Celle heftige Auseinandersetzungen zwischen Kurden auf der einen Seite und Anhängern des IS, jungen Arabern, aber auch Türken, auf der anderen. Steuern wir auf einen Konflikt zwischen Türken und Kurden in Deutschland zu?

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Nein. Viele politisch interessierte Türken und einfach menschlich denkende Türken fühlen in diesen Tagen mit den bedrohten Kurden – einige Nationalisten ausgenommen.

Yusuf Akbayir:

Und auch einige, die einem intoleranten Islam anhängen. Das sind nicht so wenige, in vielen Abstufungen. Mir fällt auf, wie heftig und emotional aufgewühlt manche Türken auf das Einrücken israelischer Truppen in Gaza reagiert haben. Und wie undifferenziert sie auf die Gewalt des IS reagieren. Vielen fällt die Kritik am sogenannten Kalifat schwerer als an Israel, weil sie den IS als sunnitisch ansehen. Für sie ist das nur ein pubertierender Junge in der großen Familie, der ein bisschen ungezogen ist.

Yavuz Fersoglu:

In Deutschland gehen wir Kurden gegen den IS auf die Straße. Natürlich frage ich: Warum schließen sich nicht auch türkische Gruppen an? Das hat auch etwas mit der Politik der Türkei zu tun!

Die türkische Armee hat Panzer an der Grenze zu Syrien aufgefahren.

Yavuz Fersoglu:

Aber nicht gegen den IS, sondern gegen uns Kurden. Erdogan wartet doch nur darauf, dass die Stadt Kobane fällt. Dann werden seine Truppen vielleicht einmarschieren, nur um eine Pufferzone zu errichten, genau in dem Gebiet, das die Kurden von Assad befreit haben.

Sie meinen das Gebiet, das die Kurden Rojawa nennen?

Yavuz Fersoglu:

Ja, jene drei Kantone, in deren Mitte Kobane liegt. Die Türkei hat islamistische Kräfte nach Syrien gebracht, so hat sie an der Entwicklung mitgewirkt. Das Ziel der Regierung in Ankara war es immer, Kräfte gegen die kurdische Freiheitsbewegung zu bündeln.

Dr. Sebahattin Topcuoglu: Verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt. Und wir zweifeln nicht an den Berichten von Augenzeugen, die gesehen haben, dass türkische Züge an der Grenze angekommen sind und Waffen zum IS nach Syrien gebracht wurden. Selbst US-Vize-Präsident Joe Biden hatte zuletzt den Verdacht geäußert, Ankara würde al-Kaida-Ableger finanziell unterstützen.

Später musste er sich dafür entschuldigen.

Yavuz Fersoglu:

Um den Nato-Partner Türkei nicht zu desavouieren.

Wollen Sie denn militärische Hilfe aus der Türkei.

Nein, wir wollen keine türkischen Soldaten im kurdischen Gebiet. Wir wollen, dass die Türkei endlich die Kurden über die Grenze lässt, die unsere Kämpfer in Kobane unterstützen wollen. Dass sie Waffen für die Kurden durchlässt und nicht mehr für den IS. Dass es einen Korridor gibt. Wir wollen, dass die UN uns unterstützt.

Warum gelingt es den Kurden nicht, vom Westen als vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen zu werden? Ihre größte politische Vertretung, die kurdische Arbeiterpartei PKK, wird von der EU als Terrorgruppe eingestuft.

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Die PKK ist eine linke, emanzipatorische Partei und ist damit per se für den Westen eher dubios. Fakt ist jedoch: Christen, Armenier und Assyrer finden bei den Kurden Schutz. Wenn der Westen in Syrien Demokratie will, muss er auf Kurdistan setzen.

Auf welches Kurdistan? Auf das des Präsidenten der autonomen Region Kurdistan Masoud Barzani? Oder auf ein zukünftiges der PKK?

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Der Peschmerga-Chef Masoud Barzani tut nicht genug, um die kurdischen Interessen zu vertreten, auch gegenüber der Türkei. Er unterhält selbst wirtschaftliche Beziehungen zu Ankara. Deshalb unterstützt er die PKK nicht.

Und zwischen den Kurden gibt es keine Einigkeit.

Yavuz Fersoglu:

Das Problem der mangelnden internationalen Unterstützung der Kurden liegt tatsächlich in ihrer Geschichte. Die Kurden hatten nie einen eigenen Staat, in dem sie ihre Interessen nach außen vertreten konnten. Aber wir wollen diese Trennung zwischen den kurdischen Gruppen nicht.

Aber es gibt sie.

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Die Frage ist doch im Moment: Warum bewaffnen die westlichen Staaten die Peschmerga, aber verteufeln die PKK? Ich verstehe dieses Vorgehen nicht. Es waren nicht die Peschmerga, sondern Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten der PYD, des militärischen Arms der syrischen Schwesterorganisation der PKK, die die jesidischen Kurden im Sindschar-Gebirge beschützt haben.

In der EU ist die PKK als Terrororganisation gelistet.

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Es ist nicht mehr zeitgemäß, die PKK als terroristische Organisation einzustufen. Das muss endlich in der Öffentlichkeit diskutiert werden und die Bundesregierung sollte sich die Frage stellen: Warum steht die PKK auf der Terrorliste, wenn sie doch Minderheiten in der Region schützt?

Für viele in Deutschland ist die PKK eine radikale Organisation, die Autobahnen besetzt.

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Natürlich ist es früher zu Konfrontationen gekommen. Heute kann man aber feststellen, dass die PKK die größte kurdische Bewegung ist.

Die bei ihren Landsleuten Schutzgelder eintreibt.

Yusuf Akbayir:

Ich bin nirgendwo organisiert, in keiner kurdischen Gruppierung. Und ich habe das weder in meinem näheren noch in meinem entfernten Bekanntenkreis erlebt, dass jemand Schutzgeld an die PKK zahlen musste. Es wird unter den hier lebenden Kurden für die PKK gesammelt, aber die Leute spenden von sich aus, gerade auch jetzt.

Yavuz Fersoglu: Tatsächlich wird in Deutschland viel Geld für die PKK gesammelt. Auch wenn die Organisation verboten ist, sympathisieren doch sehr viele hier lebende Kurden mit ihr. Es könnte schon möglich sein, dass in der Vergangenheit über Umwege auch Geld von Drogenhändlern in die Spendendose der PKK eingeflossen ist. Fakt ist jedoch, dass die Partei Heroin-Händler verfolgt. Gebe es wirklich stichhaltige Beweise für kriminelle Verstrickungen der PKK, hätten die westlichen Geheimdienste das doch schon längst publik gemacht.

Vom Marxismus zum Terrorismus - und jetzt zum Partner des Westens?

Yavuz Fersoglu:

Früher oder später gibt es niemanden außer den Kurden, um die Region zu stabilisieren. Und die PKK kämpft seit Jahrzehnten. Die meisten Kurden unterstützen sie.

Yusuf Akbayir:

Die Bevorzugung der Peschmerga durch den Westen ist völlig falsch. Die PKK und die PYD der syrischen Kurden setzten sich für Frauenrechte und den Schutz von Minderheiten ein. Warum sind sie das Feindbild des Westens? Die Peschmerga dagegen, die wesentlich konservativer sind, und viel stärker in alten patriarchalischen Strukturen verhaftet als die Frauen und Männer der PKK, werden als Partner gesehen, die mit Waffen ausgerüstet werden.

Aber die Peschmerga kämpfen im Zweifel auch nicht gegen die Türkei.

Dr. Sebahattin Topcuoglu:

Ich denke, dass es ein Fehler des Westens ist, in diesem Konflikt gerade auf die Türkei zu setzen. Auch wenn sie ein Nato-Partner ist. Aber unter Erdogan droht sie sich in einen islamistischen Staat zu verwandeln. Früher haben die Kurden auf eine Aufnahme der Türkei in die EU gehofft, weil so die Rechte der Minderheiten gestärkt würden. Heute würden wir vor einer Aufnahme dieser Türkei warnen.

Das Gespräch führten Michael Chmurycz und Kuno Kruse

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